Redaktion ekkw.de
Veröffentlicht 27 Jul 2018

Bad Karlshafen (epd). «Wir sind eine arme Stadt, was die Finanzen angeht, aber eine reiche Stadt, was die Baustellen angeht», sagt Marcus Dittrich, parteiloser Bürgermeister von Bad Karlshafen. Dennoch versteht es die Kleinstadt im äußersten Norden Hessens, aus der Not eine Tugend zu machen. Zum einen muss sie die 6,5 Millionen Euro für den Ausbau ihres Hafens nur zu einem kleinen Teil selbst finanzieren. Andererseits wird der unschöne Anblick durch ein pfiffiges «Baustellen-Erlebnis-Programm» etwas erträglicher.

An diesem Programm beteiligt sich auch die evangelische Kirchengemeinde, die ihr in den 1960er Jahren errichtetes Gotteshaus mit einem inzwischen marode gewordenen Kirchturm direkt am Hafen hat. Zu einem Hafen gehöre auch ein Leuchtturm, habe ein Gemeindemitglied vorgeschlagen, erzählt Pfarrer Daniel Fricke. Und dafür würde sich der Turm, das weitaus höchste Bauwerk am Hafen, gut eignen. Inzwischen ist die Idee in die Tat umgesetzt worden, der Turm wird abends von 21 bis 23.30 Uhr von einem wandernden Licht angestrahlt. «Am Tag ist der Anblick furchtbar, aber wenigstens am Abend kann er zum Hingucker werden», sagt Fricke über den Turm, für den er mit der Aktion zugleich Geld für eine Sanierung sammeln will.

Zu Beginn des 18. Jahrhunderts hatte Landgraf Carl (1654-1730) mitten in der Stadt an der Weser ein Hafenbecken anlegen lassen, das als Umschlagsplatz für einen Handel über einen Kanal nach Kassel dienen sollte. Dadurch wollte Carl nachteiligen Zollabgaben entgehen, die das «Stapelrecht» von Hannoversch Münden an der Weser mit sich brachte. Doch nur wenige Kilometer des Kanals wurden tatsächlich gebaut. In den 1930er Jahren wurde dann die Verbindung des Hafens zur Weser gekappt, das Becken somit jeglicher Funktion beraubt. Nun soll im Zuge der Restaurierung eine neue Schleuse entstehen und das Becken wieder für kleinere Schiffe und Boote geöffnet werden. «Es gibt schon einige Anfragen nach Liegeplätzen», sagt Bernd Schabbing, Geschäftsführer der Bad Karlshafen GmbH, die die Stadt zusammen mit der Tourismusorganisation «Grimmheimat Nordhessen» wieder nach vorne bringen will. Im April 2019 sollen die ersten Boote einfahren können.

Ein Besuch der kleinen Stadt lohnt freilich auch ohne Boot, ist doch das symmetrische, barocke Stadtbild rund um das Hafenbecken weitgehend erhalten geblieben. Strenge Regeln des Denkmalschutzes schreiben sogar die Farbe vor, mit der die kleinen Häuser bemalt werden müssen. Grelle Leuchtreklame ist ebenfalls tabu. Ausgerechnet die evangelische Kirche, die erst in den 1960er Jahren gebaut wurde, wirkt in ihrer Klobigkeit wie ein Fremdkörper. Carls Pläne hatten zwar zwei Kirchen für die Stadt vorgesehen, umgesetzt wurden sie aber nicht. Eine Kapelle im «Invalidenhaus», in dem Carl seine verletzten Offiziere unterbrachte, diente lange Jahre als Kirche. «Auf Gotteshäuser legten die Reformierten auch keinen so großen Wert», erläutert Schabbing.

Während der Flüchtlingskrise 2015/16 bewies die Stadt, dass sie aus ihrer Geschichte gelernt hat. Mit ihren gut 3.600 Einwohnern, davon 1.400 im benachbarten Stadtteil Helmarshausen, war sie bereit, bis zu 600 Flüchtlinge in Sammelunterkünften aufzunehmen. «Jetzt sind es noch 200 bis 250», sagt Schabbing. Viele hätten inzwischen eine eigene Wohnung oder seien mangels Arbeitsplätzen weggezogen. In der Tat sind in Bad Karlshafen die Stellen rar gesät. Immerhin gibt es noch rund 20 Hotels und Restaurants für die Touristen.

Die immer wieder zu hörende und auch in historischen Dokumenten zu findende Version, Carl habe den Ort vor rund 300 Jahren allein aus Barmherzigkeit für die Glaubensflüchtlinge gegründet, ist laut Schabbing aber zu naiv. «Ein barocker Herrscher baut eine Stadt und einen Hafen nicht nur, um Glaubensflüchtlinge unterzubringen. Der wollte ein Zeichen setzen», ist der Geschäftsführer überzeugt.

Carl erhoffte für sein vom 30-jährigen Krieg gebeuteltes Land in der Tat einen wirtschaftlichen Aufschwung. Um den Start der Hugenotten zu erleichtern, gewährte er ihnen zahlreiche Privilegien wie etwa Steuerfreiheit. Das allerdings wurde für die Stadt zum Bumerang. Denn die einheimische Bevölkerung, ob dieser Privilegien verärgert, boykottierte kurzerhand die von den Hugenotten hergestellten Waren. Als Folge zogen zahlreiche von ihnen fort in die Uckermark. «Nach 20 Jahren gab es hier schon mehr deutsche als französische Einwohner», sagt Fremdenführerin Herma Böhm. Heute gebe es gerade noch vier Familien mit hugenottischen Wurzeln.

Dennoch sind sich die Bad Karlshafener ihrer Tradition bewusst. Ein Hugenottenmuseum direkt am Hafen informiert eindrücklich über die Geschichte der Glaubensflüchtlinge und ihre Integration, die zunächst übrigens ein Beibehalten der französischen Sprache vorsah. Im Herbst ist gar ein zweitägiges Hugenotten-Festival geplant. (27.07.2018)