THEMA Zwischen den Jahren – eine besondere Zeit »Ist es nun Tag oder Nacht? Weder noch. Es ist etwas dazwischen.« Eine „Zeit zwischen den Jahren” – die gibt es ja eigentlich gar nicht. Genau genommen ist es in einem Moment kurz vor zwölf, im nächsten schon kurz nach – und das war dann die Jahreswen- de, mit nichts dazwischen als einem Feuer- werk. Das aber meinen wir nicht, wenn wir die Redewendung „Zwischen den Jahren” nutzen. Dann denken wir heutzutage an die Tage von Weihnachten bis Neujahr. Für unsere Vorfahren begannen bereits am 21. Dezember mit der Wintersonnen- wende die Raunächte, jene Nächte um den Jahreswechsel, denen – je nach euro- päischer Region – besondere Bedeutung zugemessen wurde. Manchmal werden sie auch zwölf heilige Nächte genannt oder „Zwölfte”. Diese zählte man dann vom Weihnachtstag, dem 25. Dezember, bis zum 6. Januar, der „Erscheinung des Herrn” oder „Heilige Drei Könige”. Kalendertraditionen Warum „zwischen den Jahren”? Es gibt kalendarische Gründe: So liegt eine Diffe- renz von zwölf Tagen in der Jahreseintei- lung nach dem Mond- und dem Sonnenka- lender. Oder: Der Gregorianische Kalender – mit neuer Schaltjahresregelung – nach der Reform durch Papst Gregor XIII. (1582) wurde nicht überall zeitgleich eingeführt. So unterschieden sich die Jahreszahlen von Gebiet zu Gebiet; mal galt der traditionelle mittelalterliche 24. Dezember als Jahresen- de, mal der 6. Januar – es gab also eine Zeit „dazwischen”. Erst seit 1691 liegt der letzte Tag des Jahres fest – benannt nach Papst Silvester I. Dass Weihnachten am 25. Dezember gefeiert wird, legte Papst Liberius 354 fest. Als zu Julius Cäsars Zeiten der Julianische Kalender eingeführt wurde (45 v. Chr.), lag die Wintersonnenwende noch auf dem 25. Dezember und wurde als heidnisches Fest gefeiert. Die frühen Christen beschlossen, an diesem Tag nun auch die Geburt Jesu zu feiern. Rauch und Bräuche Nach alten Überlieferungen sollten in der Zeit zwischen den Jahren finstere Mächte wirken, Geister erscheinen, Dämo- nen Haus und Hof übernehmen. Es galt, keine Wäsche aufzuhängen – Frau Holle könnte sie mitnehmen und daraus ein Lei- chentuch für den Besitzer machen ... Für die Germanen waren die Raunäch- te eine heilige Zeit, in der nicht gearbeitet wurde. Es wurde ausgiebig geräuchert, um Mensch und Tier, Hab und Gut zu beschüt- zen – daher möglicherweise das Wort Rau- nacht, von „Rauch” und „räuchern”. Auch Vorhersagen wurden gemacht: So wurde jede der zwölf Nächte einem der kommen- den Monate des Jahres zugeschrieben, die erste dem Januar, die zweite dem Februar ... Und alles, was in den Nächten beobach- tet wurde, galt als Prognose, zum Beispiel für das Wetter. Und wir? Nun ja – lassen uns zum Jahresende mit Bleigießen fürs Kommende wahrsagen und vertreiben die Geister mit lauten Böllern. Licht und Dunkelheit Die Menschen lieben es licht und hell. Sommer ist die schönste Zeit des Jahres. Schon Anfang Oktober beginnt ein Kla- gen, wie früh nun die Sonne untergehe. Dann, nach der Umstellung auf die Win- terzeit, gibt es ein kurzes Lob der gewonne- nen Stunde Morgenlicht. Bis schließlich En- de November und im Dezember alles der Wintersonnenwende entgegengeht – im- mer mehr Dunkel um uns. So lange Aben- de, so tiefe Nächte. Zum Bangewerden? Vielleicht. Kalte Winter können schrecken, waren früher eine arme, hungrige Jahres- zeit. Aber sie sind nicht endlos, sondern wandeln sich mit jedem Tag. Pfarrerin Eri- ka Eckhardt (Marburg) beschrieb es einmal als „rhythmischen Wechsel polarer Kräfte: Schon zwölf Tage vor der Wintersonnen- wende versucht die Sonne, die Dunkelheit zurückzudrängen. Jeden Tag geht sie zwar noch ein paar Minuten später auf, aber zur gleichen Zeit unter. Nach dem 21. De- zember ist es umgekehrt: Weitere zwölf Tage geht sie fast zur gleichen Zeit auf, aber mehrere Minuten später unter.” Tag und Nacht sind im größten Ungleichge- wicht – und doch im ständigen Auf-Bruch. Kaum ist die längste Nacht erreicht, wird die Dunkelheit Minute für Minute weniger. Wer es genau wissen will: Am 21. Dezem- ber ist die Sonne nur 7:43 Stunden am Himmel, aber am Neujahrstag bereits fast acht Stunden, am 31.1. schon volle neun. Zeit zum Sternegucken Was wünschen wir uns denn gegen- seitig? Eine gesegnete Weihnachtszeit! Schwerpunkt auf Zeit – es geht nicht um einen Punkt, der, kaum erreicht, schon vo- rüber ist, nicht nur um den eiligen, heili- gen Abend. Eine beglückende Erfahrung ist es, an einem Dezembertag den Griff zum Lichtschalter einmal sein zu lassen. Auch keine Kerze darf vorerst brennen. Nur da sein und es hinter den Fenstern lang- sam dämmern, immer trüber und grauer werden lassen, bis die Farben ganz ver- schwunden sind und die Augen kaum ent- ziffern können: Ist es nun Tag oder Nacht? Weder noch. Es ist etwas dazwischen. Dies „Dazwischen” können wir in der gesamten Weihnachtszeit empfinden. Es still werden lassen, geduldig das Nichtmehr und das Nochnicht erfahren. Dunkelheit ist kostbar, wir können sie nicht selbst herstellen. In ihr sind wir mehr als sonst auf uns selbst zurückgeworfen – oder aber: Wir können bei uns ankommen. Das Weihnachtserleb- nis des Friedens, der Stille in uns spüren. Und dann, ganz langsam, den Blick nach vorn richten. Ein neues Jahr beginnt. Wenn es licht wird Ist es nicht schon ein wenig heller ge- worden? Spätestens an „Mariä Lichtmess”, dem 2. Februar, ist das deutlich spürbar. Im astronomischen Jahreslauf liegt Licht- mess genau zwischen Wintersonnenwende (21.12.) und Frühjahrs-Tagundnachtgleiche (21.03.) Erst dieser Tag galt in der katho- 6 blick in die kirche | MAGAZIN | Dezember 2017