Gero Karger: Er war ein Vorbild, weil er in sehr schwierigen politischen Zeiten für seine Überzeugung einstand und eben auch sein Leben riskiert hat ... sogar das seiner Familie und seiner Verlobten in Gefahr gebracht hat. Und er hat sich für seine Überzeugung foltern lassen. Er hat alles Eigene und alle möglichen Zukunftsperspektiven an den Rand gestellt und gefragt: Worum geht es für mich als Christ.
Christian Röhling: Für mich ist die Schriftensammlung «Widerstand und Ergebung» sehr wichtig geworden, da bewundere ich Bonhoeffer allein für den Ton, in dem er aus seiner Zelle schreibt: ein Ton der Zuversicht und Ermutigung. Im Grunde ist er Seelsorger in dieser Situation im Gefängnis geblieben. Er hat dort noch großartige Schriften verfasst und sich bei aller Enge immer wieder neuen Raum verschafft.
Frank Miege: Dass er das Gedicht «Von guten Mächten» in solch einer Situation schreiben konnte, das beeindruckt mich. Und dass er riskiert hat, schuldig zu werden.
Caroline Miesner: Da kann ich mich anschließen: Mir ist an Bonhoeffer deutlich geworden, dass man nicht nur die Option hat zwischen Schuldigwerden und NichtSchuldigwerden, sondern dass man zwischen zwei Optionen stehen kann, schuldig zu werden. Das gibt es sicher, in nicht so krasser Form, in vielen anderen Situationen. Was mir auch wichtig ist: Dass er als Professorensohn in ein Arbeiterviertel geht und dort versucht, mit den jungen Leuten zu arbeiten und sich wirklich auf sie einlässt. Deswegen ist er ein Vorbild für mich.
Karl-Heinrich Ostmeyer: Er war ein sehr klarsichtiger Mensch und hat die Entwicklung in Deutschland früh vorausgesehen. Er hätte die Möglichkeit gehabt, im Ausland zu bleiben, hat sich aber bewusst entschieden, nach Deutschland zurückzukehren. Das zeigt mir seinen Sinn für Verantwortung und die Absicht, seinen Weg bis zuletzt konsequent, und das heißt auch: bis zum Tod, zu gehen.
Hans-Christian Krahmer: Also gerade diesen Punkt kann ich bei Bonhoeffer nicht als gut empfinden. Wieso musste er sicheren Auges ins eigene Verderben gehen? Ich meine, er hätte Deutschland auch nach dem Krieg noch nützlich sein können und nicht nur als Märtyrer.
Angela Lehmann: Ich weiß nicht, ob er ein Vorbild für uns sein kann, weil ich hoffentlich nie in solche Situationen komme wie er. Aber ich habe oft darüber nachgedacht: Wie wäre die deutsche Kirche nach dem Krieg geworden, wenn Bonhoeffer noch gelebt hätte. Ich entdecke immer mal wieder Worte von ihm, die auch heute ganz aktuell sind. Zum Beispiel: «Nicht alle Wünsche erfüllt Gott, aber alle seine Verheißungen.» Das ist ein wunderschöner Vers, aktuell und tröstlich. Er hat eine wunderbare, klare Sprache; insofern ist er auch ein Vorbild für mich im Rhetorischen. Er trifft selbst heute immer noch die Gedanken, Wünsche und Sehnsüchte der Menschen.
Thomas Schumann: Für mich ist seine Gestalt ermutigend, denn er hat sich getraut, in einer unübersichtlichen Lage mutige Entscheidungen zu fällen. Ich glaube, dass auch wir immer wieder in solche Situationen geraten, zum Beispiel in der Frage der Globalisierung: Auch da sind ganz verschiedene Ebenen miteinander verschränkt, und die Schuldfrage ist nicht mehr eindeutig zu beantworten.
Kai Kleina: Er hat eben nicht gekniffen, sondern Stellung bezogen und ist, bis zur letzten Konsequenz, dafür eingestanden; man kann ja fast sagen, wie Christus.
Angela Lehmann: Viele, die Mitglieder der Bekennenden Kirche waren, haben nach dem Krieg mitgearbeitet und sich auch reichlich gestritten. Ich wüsste gern, was Bonhoeffer gesagt, auf welcher Seite er gestanden hätte.
Karl-Heinrich Ostmeyer: Zu großen Teilen ist es ja Spekulation: Was wäre gewesen wenn! Was wir von Bonhoeffer wissen, ist von seinem Biographen Eberhard Bethge veröffentlicht worden, und es ist fraglich, ob Bonhoeffer selber es in dieser oder einer ähnlichen Form herausgegeben hätte; vieles ist fragmentarisch geblieben.
Hans-Christian Krahmer: Hätte Bonhoeffer überlebt, dann hätte die Kirche nach dem Krieg anders ausgesehen: Bei den Theologen wären nicht diese beiden Lager entstanden, das der Anhänger von Karl Barth auf der einen und das der von Bultmann auf der anderen Seite. Er hätte sicher vermitteln oder Entscheidendes verändern können. Und auch als Seelsorger oder als Bischof kann ich ihn mir gut vorstellen, da hätte er einiges erreichen können. Auch auf dem Gebiet Seelsorge und Predigt hätte er n
Kai Kleina: Also, wie ich ihn kennen gelernt habe, kann ich mir nicht vorstellen, dass er gerne Bischof geworden wäre, das glaube ich einfach nicht, das war ihm zuwider. Ich glaube, er hätte lieber, wenn überhaupt, im Hintergrund die Fäden gezogen. Und da sicherlich maßgeblich und wahrscheinlich auch als Person durchaus relevant. Aber ich kann mir nicht vorstellen, dass er sich als Bischof nach vorn hätte schieben lassen, das wäre nicht sein Ding gewesen.
Jochen Cornelius-Bundschuh: Religion und religionsloses Christentum waren wichtige Punkte im Denken Bonhoeffers. Im Moment reden wir ja wieder von einer Renaissance der Religion. Hat er sich geirrt?
Gero Karger: Bonhoeffer hat sich seine Gedanken in der Gefängniszelle gemacht, den Tod vor Augen, und das ist nicht sein letztes Wort. Er hat nichts abgeschlossen. Wenn wir heute zu anderen Ergebnissen kommen, denke ich, Bonhoeffer hätte seine Ansicht auch noch mal revidiert oder angepasst. Das, was er in «Widerstand und Ergebung» geschrieben hat, ist nicht das letzte Wort.
Caroline Miesner: Ich denke, Bonhoeffer wehrt sich dagegen, dass die Religion Lückenbüßer ist. Bei allem, was wir nicht mehr erkennen, da greift dann die Religion. Bonhoeffer hat gesagt: Das brauchen wir eigentlich nicht, wir verkünden den Gott, der zu den Menschen kommt. Dementsprechend sollte unser Handeln so sein, dass wir uns zu den Menschen hin bewegen. Diese Diesseitigkeit ist mir ganz wichtig geworden in der Beschäftigung mit Bonhoeffer.
Christian Röhling: Ja, für Bonhoeffer war Christsein: in der Welt dienen!
Jochen Cornelius-Bundschuh: Spielt in Ihrem Kirchenbild der Satz «Kiche für andere» eine Rolle? Das ist doch einer der ganz großen Blöcke neben der Sozialethik, der kirchengeschichtlichen Perspektive, der Ökumene ...
Nicole Moritz: Kirche für andere ... Kirche nicht nur für die zahlenden oder getauften Mitglieder einer Kirchengemeinde: Die Frage stellt sich ja spätestens dann, wenn man in einem sehr bunten, multikulturellen Stadtteil wohnt, weil dort nicht nur die, die offensichtlich zur Kirche gehören, vor der Tür stehen, sondern auch noch viele andere. Und im Religionsunterricht sitzen eben auch muslimische Kinder.
Angela Lehmann: Erst mal ist da die Gemeinschaft der Christen, dann die Frage nach der sichtbaren und unsichtbaren Kirche - und wie überschneiden sich die Kreise. Wie gehen wir zum Beispiel angesichts der Prioritätendiskussion damit um, wenn im evangelischen Kindergarten 80 Prozent der Kinder aus muslimischen Familien kommen. Schließen wir den aus Kos-tengründen ganz, oder sollen nur noch christliche Kinder aufgenommen werden? Kirche für andere - auch Andersgläubige?
Frank Miege: Das war ja für Bonhoeffer auch kein Prioritätensetzungsprogramm in Zeiten knapper Kassen. Es war eine grundsätzliche Frage der programmatischen Ausrichtung von Theologie sowie des kirchlichen und christlichen Lebens: Wir gehören in die Welt, wir müssen uns auch hier engagieren und einmischen. Welche institutionellen Konsequenzen das dann hat und wofür wie viel Geld ausgegeben wird, das ist noch mal eine andere Frage.
Aber es heißt: Christsein kann nicht bedeuten, bei der Nabelschau stehen zu bleiben, sich nur in die Kirche zurückzuziehen und sich von der Gesellschaft abzugrenzen. Das war zweifellos ein Reaktionsmuster auf die damalige Krise. Ich denke, das sind die entscheidenden Weichenstellungen. (06.02.2006)
Vikarinnen und Vikare über Bonhoeffer: «Er hat eben nicht gekniffen»
Gero Karger: Er war ein Vorbild, weil er in sehr schwierigen politischen Zeiten für seine Überzeugung einstand und eben auch sein Leben riskiert hat ... sogar das seiner Familie und seiner Verlobten in Gefahr gebracht hat. Und er hat sich für seine Überzeugung foltern lassen. Er hat alles Eigene und alle möglichen Zukunftsperspektiven an den Rand gestellt und gefragt: Worum geht es für mich als Christ.
Christian Röhling: Für mich ist die Schriftensammlung «Widerstand und Ergebung» sehr wichtig geworden, da bewundere ich Bonhoeffer allein für den Ton, in dem er aus seiner Zelle schreibt: ein Ton der Zuversicht und Ermutigung. Im Grunde ist er Seelsorger in dieser Situation im Gefängnis geblieben. Er hat dort noch großartige Schriften verfasst und sich bei aller Enge immer wieder neuen Raum verschafft.
Frank Miege: Dass er das Gedicht «Von guten Mächten» in solch einer Situation schreiben konnte, das beeindruckt mich. Und dass er riskiert hat, schuldig zu werden.
Caroline Miesner: Da kann ich mich anschließen: Mir ist an Bonhoeffer deutlich geworden, dass man nicht nur die Option hat zwischen Schuldigwerden und NichtSchuldigwerden, sondern dass man zwischen zwei Optionen stehen kann, schuldig zu werden. Das gibt es sicher, in nicht so krasser Form, in vielen anderen Situationen. Was mir auch wichtig ist: Dass er als Professorensohn in ein Arbeiterviertel geht und dort versucht, mit den jungen Leuten zu arbeiten und sich wirklich auf sie einlässt. Deswegen ist er ein Vorbild für mich.
Karl-Heinrich Ostmeyer: Er war ein sehr klarsichtiger Mensch und hat die Entwicklung in Deutschland früh vorausgesehen. Er hätte die Möglichkeit gehabt, im Ausland zu bleiben, hat sich aber bewusst entschieden, nach Deutschland zurückzukehren. Das zeigt mir seinen Sinn für Verantwortung und die Absicht, seinen Weg bis zuletzt konsequent, und das heißt auch: bis zum Tod, zu gehen.
Hans-Christian Krahmer: Also gerade diesen Punkt kann ich bei Bonhoeffer nicht als gut empfinden. Wieso musste er sicheren Auges ins eigene Verderben gehen? Ich meine, er hätte Deutschland auch nach dem Krieg noch nützlich sein können und nicht nur als Märtyrer.
Angela Lehmann: Ich weiß nicht, ob er ein Vorbild für uns sein kann, weil ich hoffentlich nie in solche Situationen komme wie er. Aber ich habe oft darüber nachgedacht: Wie wäre die deutsche Kirche nach dem Krieg geworden, wenn Bonhoeffer noch gelebt hätte. Ich entdecke immer mal wieder Worte von ihm, die auch heute ganz aktuell sind. Zum Beispiel: «Nicht alle Wünsche erfüllt Gott, aber alle seine Verheißungen.» Das ist ein wunderschöner Vers, aktuell und tröstlich. Er hat eine wunderbare, klare Sprache; insofern ist er auch ein Vorbild für mich im Rhetorischen. Er trifft selbst heute immer noch die Gedanken, Wünsche und Sehnsüchte der Menschen.
Thomas Schumann: Für mich ist seine Gestalt ermutigend, denn er hat sich getraut, in einer unübersichtlichen Lage mutige Entscheidungen zu fällen. Ich glaube, dass auch wir immer wieder in solche Situationen geraten, zum Beispiel in der Frage der Globalisierung: Auch da sind ganz verschiedene Ebenen miteinander verschränkt, und die Schuldfrage ist nicht mehr eindeutig zu beantworten.
Kai Kleina: Er hat eben nicht gekniffen, sondern Stellung bezogen und ist, bis zur letzten Konsequenz, dafür eingestanden; man kann ja fast sagen, wie Christus.
Angela Lehmann: Viele, die Mitglieder der Bekennenden Kirche waren, haben nach dem Krieg mitgearbeitet und sich auch reichlich gestritten. Ich wüsste gern, was Bonhoeffer gesagt, auf welcher Seite er gestanden hätte.
Karl-Heinrich Ostmeyer: Zu großen Teilen ist es ja Spekulation: Was wäre gewesen wenn! Was wir von Bonhoeffer wissen, ist von seinem Biographen Eberhard Bethge veröffentlicht worden, und es ist fraglich, ob Bonhoeffer selber es in dieser oder einer ähnlichen Form herausgegeben hätte; vieles ist fragmentarisch geblieben.
Hans-Christian Krahmer: Hätte Bonhoeffer überlebt, dann hätte die Kirche nach dem Krieg anders ausgesehen: Bei den Theologen wären nicht diese beiden Lager entstanden, das der Anhänger von Karl Barth auf der einen und das der von Bultmann auf der anderen Seite. Er hätte sicher vermitteln oder Entscheidendes verändern können. Und auch als Seelsorger oder als Bischof kann ich ihn mir gut vorstellen, da hätte er einiges erreichen können. Auch auf dem Gebiet Seelsorge und Predigt hätte er n
Kai Kleina: Also, wie ich ihn kennen gelernt habe, kann ich mir nicht vorstellen, dass er gerne Bischof geworden wäre, das glaube ich einfach nicht, das war ihm zuwider. Ich glaube, er hätte lieber, wenn überhaupt, im Hintergrund die Fäden gezogen. Und da sicherlich maßgeblich und wahrscheinlich auch als Person durchaus relevant. Aber ich kann mir nicht vorstellen, dass er sich als Bischof nach vorn hätte schieben lassen, das wäre nicht sein Ding gewesen.
Jochen Cornelius-Bundschuh: Religion und religionsloses Christentum waren wichtige Punkte im Denken Bonhoeffers. Im Moment reden wir ja wieder von einer Renaissance der Religion. Hat er sich geirrt?
Gero Karger: Bonhoeffer hat sich seine Gedanken in der Gefängniszelle gemacht, den Tod vor Augen, und das ist nicht sein letztes Wort. Er hat nichts abgeschlossen. Wenn wir heute zu anderen Ergebnissen kommen, denke ich, Bonhoeffer hätte seine Ansicht auch noch mal revidiert oder angepasst. Das, was er in «Widerstand und Ergebung» geschrieben hat, ist nicht das letzte Wort.
Caroline Miesner: Ich denke, Bonhoeffer wehrt sich dagegen, dass die Religion Lückenbüßer ist. Bei allem, was wir nicht mehr erkennen, da greift dann die Religion. Bonhoeffer hat gesagt: Das brauchen wir eigentlich nicht, wir verkünden den Gott, der zu den Menschen kommt. Dementsprechend sollte unser Handeln so sein, dass wir uns zu den Menschen hin bewegen. Diese Diesseitigkeit ist mir ganz wichtig geworden in der Beschäftigung mit Bonhoeffer.
Christian Röhling: Ja, für Bonhoeffer war Christsein: in der Welt dienen!
Jochen Cornelius-Bundschuh: Spielt in Ihrem Kirchenbild der Satz «Kiche für andere» eine Rolle? Das ist doch einer der ganz großen Blöcke neben der Sozialethik, der kirchengeschichtlichen Perspektive, der Ökumene ...
Nicole Moritz: Kirche für andere ... Kirche nicht nur für die zahlenden oder getauften Mitglieder einer Kirchengemeinde: Die Frage stellt sich ja spätestens dann, wenn man in einem sehr bunten, multikulturellen Stadtteil wohnt, weil dort nicht nur die, die offensichtlich zur Kirche gehören, vor der Tür stehen, sondern auch noch viele andere. Und im Religionsunterricht sitzen eben auch muslimische Kinder.
Angela Lehmann: Erst mal ist da die Gemeinschaft der Christen, dann die Frage nach der sichtbaren und unsichtbaren Kirche - und wie überschneiden sich die Kreise. Wie gehen wir zum Beispiel angesichts der Prioritätendiskussion damit um, wenn im evangelischen Kindergarten 80 Prozent der Kinder aus muslimischen Familien kommen. Schließen wir den aus Kos-tengründen ganz, oder sollen nur noch christliche Kinder aufgenommen werden? Kirche für andere - auch Andersgläubige?
Frank Miege: Das war ja für Bonhoeffer auch kein Prioritätensetzungsprogramm in Zeiten knapper Kassen. Es war eine grundsätzliche Frage der programmatischen Ausrichtung von Theologie sowie des kirchlichen und christlichen Lebens: Wir gehören in die Welt, wir müssen uns auch hier engagieren und einmischen. Welche institutionellen Konsequenzen das dann hat und wofür wie viel Geld ausgegeben wird, das ist noch mal eine andere Frage.
Aber es heißt: Christsein kann nicht bedeuten, bei der Nabelschau stehen zu bleiben, sich nur in die Kirche zurückzuziehen und sich von der Gesellschaft abzugrenzen. Das war zweifellos ein Reaktionsmuster auf die damalige Krise. Ich denke, das sind die entscheidenden Weichenstellungen. (06.02.2006)