epd: Der Ökumenische Rat der Kirchen wird 60 Jahre alt. Was sind seine größten Erfolge?
Hein: Der ÖRK hatte eine wichtige Vermittlerrolle im Ost-West-Konflikt und bot schon vor dem Fall des Eisernen Vorhangs viele Begegnungsmöglichkeiten. Erfolgreich war auch die deutliche Positionierung im Anti-Apartheid-Kampf, wenngleich das damals umstritten war. Hier hat sich der Weltkirchenrat politisch deutlich bewährt.
epd: Wie lange kann der ÖRK noch von diesen Meriten leben?
Hein: Die aktuelle Schwierigkeit besteht darin, dass diese beiden Herausforderungen politischer Art nun weg sind. Deswegen fehlen dem Ökumenischen Rat Kontroversen, die klar benennbar sind. Das Thema Globalisierung eignet sich nur in Maßen dafür. Es gibt in allen Teilen der Welt Gewinner und Verlierer der Globalisierung; sie ist nicht nur ein Nord-Süd-Problem. Trotzdem halte ich es für wichtig, dass die ökumenische Bewegung das Thema Globalisierung aufnimmt, weil die ökumenische Bewegung global ist.
epd: Ist der Weltkirchenrat nach dem Ende des Ost-West-Konflikts durch das Erstarken der Orthodoxie weniger politisch geworden?
Hein: Der ÖRK hat weiterhin eine politische Aufgabe. Manchmal hat man aber den Eindruck, dass das große gemeinsame Ziel fehlt. Der ÖRK nimmt eigentlich zu allem Stellung. Eine kleine UNO muss der Weltkirchenrat aber nicht sein.
epd: Der Weltkirchenrat hat seine Beziehungen zu den orthodoxen Kirchen verbessert. Ist der vor Jahren gefundene Kompromiss mit einem Konsensverfahren und dem Verzicht auf ökumenische Gebete tragfähig?
Hein: Ich habe den Eindruck, dass die großen Aufgeregtheiten jetzt überwunden sind. Es wird weiterhin kontrovers diskutiert, aber das Konsensverfahren hat auch eine gewisse Tendenz, die Kanten und Ecken abzuschleifen.
epd: Was sind die Hauptpunkte der Kontroverse?
Hein: Besonders schwierig wird es, wenn orthodoxe Kirchen einen Alleinvertretungsanspruch für ihr Land erheben. Die russisch-orthodoxe Kirche zeigt sich etwa im Blick auf eine Entsendung eines ÖRK-Delegierten der russischen Lutheraner, mit denen die EKD eng zusammenarbeitet, äußert zurückhaltend. Die orthodoxe Kirche muss lernen, mit konfessioneller Pluralität zu leben.
epd: Stehen die orthodoxen Kirchen derzeit näher bei den reformatorischen Kirchen oder beim Vatikan?
Hein: Die orthodoxen Kirchen haben ein hierarchischeres Amtsverständnis als die reformatorischen Kirchen. Mein Eindruck ist, dass der gegenwärtige Papst in Fragen des Kirchenverständnisses derzeit eher die Nähe zu den orthodoxen Kirchen sucht als zu uns. Wir müssen immer wieder deutlich machen: Wir sind Kirche, wir sind aus gutem Grund Kirche, und wir haben eine wunderbare reformatorische Tradition, auf die wir uns berufen. Wir müssen es vermeiden, uns nur über vermeintliche Defizite gegenüber anderen Konfessionsfamilien zu erklären. Wir haben ein eigenes Profil und ein überzeugendes Kirchenverständnis.
epd: Ist in Zukunft eine Mitarbeit der römisch-katholischen Kirche im Weltkirchenrat über die Mitgliedschaft in der ÖRK-Kommission für Glauben und Kirchenverfassung hinaus zu erwarten?
Hein: Als Organisation ist eine Mitgliedschaft nicht denkbar. Vom Selbstanspruch der römischkatholischen Kirche her kann ich mir das nicht vorstellen, obwohl ich mir das wünschen würde.
Die römisch-katholische Kirche versteht sich als Weltkirche. Aber die Weltkirche ist größer als die römisch-katholische Kirche.
epd: Wie steht der ÖRK zu den Pfingstkirchen und charismatisch geprägten Kirchen? Welche Chancen hat eine Annäherung und wo liegen die Gefahren?
Hein: Die Spannbreite der Form von Religiosität ist durch die Pfingstkirchen und die charismatischen Kirchen gewachsen. Die ÖRK-Vollversammlung 2006 in Porto Alegre in Brasilien hat gezeigt, dass diese Bewegung da ist und es nicht nützt, sie auszugrenzen.
Ich bin sehr dafür, sie zu integrieren. Die Frage ist aber, ob sie selbst sich überhaupt auf die Bewegung des Weltkirchenrates einlassen, die auch immer eine politische Bewegung gewesen ist. Es gibt einige Pfingstkirchen mit gewissem institutionellen Charakter, auf der anderen Seite gibt es Gemeinden, die sich überhaupt nicht in einer Organisation einbinden lassen. Damit sind sie als Gegenüber für den Weltkirchenrat nur schwer zu fassen.
epd: Für die evangelische Kirche sind liberalere Positionen in der Sexualethik oder die Frauenordination nicht mehr in Frage zu stellen. Erwarten sie von den anderen ÖRK-Mitgliedskirchen ein Entgegenkommen oder kann es auf Dauer bei einem Dissens bleiben?
Hein: Ich erwarte, dass wir darüber im offenen Gespräch bleiben. Als die Frage der Sexualethik im Zentralausschuss diskutiert worden ist, stellten sich schnell deutliche kulturelle Dissonanzen heraus. Die muss ich akzeptieren. An dieser Stelle wird es nicht so bald eine Übereinstimmung geben.
epd: Aus Genf wird gegenüber den Mitgliedskirchen die finanzielle Situation des Ökumenischen Rates der Kirchen beklagt. Besteht eine Bereitschaft der Mitgliedskirchen, höhere Beiträge zu zahlen?
Hein: Ich bin gespannt auf den Rechenschaftsbericht, der zur finanziellen Situation gegeben wird. Auf Dauer kann es nicht angehen, dass rund ein Drittel der Kosten des Ökumenischen Rates ausschließlich aus Deutschland bestritten wird. Es gibt auch andere reiche Kirchen des Nordens.
Beispielsweise sind einige Kirchen in Amerika und einige orthodoxe Kirchen in der Lage, mehr zu tun als bisher. Geld ist hier auch Ausdruck solidarischer Verantwortung. Es kann keine virtuelle Mitgliedschaft geben, die die finanzielle Beteiligung scheut.
epd: Sie sind einer der Vertreter der EKD im ÖRK-Zentralausschuss. Wie geht es mit den deutschen ÖRK-Beiträgen denn weiter?
Hein: Wir wollen unser finanzielles Engagement zurückfahren, aber wir wollen uns nicht prinzipiell zurückziehen. Es gibt eine ökumenische Verpflichtung in der evangelischen Kirche. Daher wäre es fatal, wenn der Geldhahn abgedreht würde. Die Tatsache, dass wir als Deutsche auf die finanzielle Situation hinweisen, wird von anderen allerdings nicht gern gehört.
epd: Ist die Arbeit des ÖRK aus deutscher Sicht effizient genug?
Hein: Wir haben bei der letzten Zentralausschusssitzung vor eineinhalb Jahren die Zahl der Programme erheblich reduziert, um den Eindruck zu beenden, dass sich der ÖRK verzettelt. Der Grundsatz für die Arbeit des Ökumenischen Rates sollte heißen: „Do less, but do it right.“
epd: Sehen Sie seit 2006 Fortschritte?
Hein: Die Problemlage gibt es weiterhin.
epd: Fehlt eine nachhaltige Kontrolle?
Hein: Kritisches Nachfragen ist in vielen Bereichen notwendig. Wir hatten beschlossen, dass die ÖRK-Programme nicht nur vom Zentralausschuss verabschiedet werden, sondern dass jedes Programm evaluiert wird. Vor jedem neuen Programmstart oder vor jeder Verlängerung soll kritisch hinterfragt werden, ob dies nötig ist. Ein Unternehmen wie der ÖRK hat natürlich eine Tendenz zur Abgeschlossenheit. Vieles läuft intern in Genf ab und wird wenig nach außen kommuniziert.
epd: Der ÖRK und seine Anliegen werden sowohl innerkirchlich als auch in der säkularen Öffentlichkeit kaum noch wahrgenommen.
Hein: Die öffentliche Wahrnehmung des ÖRK ist auch Ausdruck seiner gegenwärtigen Situation. Ich wünsche mir absolut mehr Professionalität in der Vermittlung der Arbeit des ÖRK. Wenn man keine Visionen und Leitbilder entwickelt, die auch kommuniziert werden können, kann man die spärliche Wahrnehmung aber nicht allein der Öffentlichkeitsarbeit anlasten.
epd: Ist denn mehr Öffentlichkeit überhaupt gewollt? In Porto Alegre haben Spitzenfunktionäre des ÖRK erklärt, dass die Organisation mehr in seine Mitgliedskirchen hinein wirken solle als in die Öffentlichkeit und Gesellschaft. Ein solcher Ansatz weicht vom Selbstverständnis deutscher Protestanten ja erheblich ab.
Hein: An der regen Reisetätigkeit des Generalsekretärs und an den Verlautbarungen, die aus Genf kommen, stelle ich fest, dass das politische Engagement des ÖRK fortgesetzt wird. Ich wundere mich manchmal, wie häufig der Generalsekretär unterwegs ist.
epd: Zu viel?
Hein: Ja. Es wäre gut, in Genf mehr Präsenz zu zeigen. Aber ich habe dem Generalsekretär keine Vorschriften zu machen.
epd: Kann man schon eine vorläufige Bilanz zur „Dekade zur Überwindung der Gewalt“ ziehen?
Hein: Wir haben die fatale Situation, dass in der von ÖRK ausgerufenen Dekade zur Überwindung der Gewalt die Gewalt als angebliches Konfliktlösungsmodell immer mehr um sich greift.
Was richten also solche Dekaden aus? Die Kampagne zur Überwindung zur Gewalt hat in einzelnen Kirchen auch hier in Deutschland manch beeindruckendes Beispiel gebracht, insgesamt ist sie aber nur sehr spärlich wahrgenommen worden.
epd: Kann man zum Ende der Dekade objektiv messen, was sie gebracht hat?
Hein: Ich bezweifle, ob der ÖRK wirklich konkret friedensschlichtend gewirkt hat - wie etwa die Gemeinschaft Sant'Egidio, unter deren Dach Konfliktparteien zusammengeführt worden sind. Eine solche Rolle für den ÖRK würde ich mir für die Zukunft aber wünschen, um das Potenzial des Weltkirchenrates deutlich zu machen. Es geht darum, Menschen unterschiedlicher Herkunft und Kultur zusammenzuführen. Wir müssen als Weltkirchenrat konkret sein.
epd: Welche Rolle kann der ÖRK im interreligiösen Dialog mit dem Islam einnehmen?
Hein: Im ÖRK kommen Kirchen mit erheblichen Erfahrungen im christlich-islamischen Dialog zusammen. Denken Sie etwa an die Christen in Indonesien, die im größten islamischen Land der Welt leben, oder an die anglikanische Kirche in Pakistan oder die orthodoxen Kirchen im vorderen Orient. Das ist ein ganz großer Trumpf des ÖRK. Der reflektierte Dialog der Religionen könnte gerade im Ökumenischen Rat einen Ort haben und der ÖRK könnte eine Rolle als "Ermöglicher" dieses Dialogs spielen.
epd-Interview
Bischof Hein bemängelt Effizienz und Führung in Genfer ÖRK-Zentrale
epd: Der Ökumenische Rat der Kirchen wird 60 Jahre alt. Was sind seine größten Erfolge?
Hein: Der ÖRK hatte eine wichtige Vermittlerrolle im Ost-West-Konflikt und bot schon vor dem Fall des Eisernen Vorhangs viele Begegnungsmöglichkeiten. Erfolgreich war auch die deutliche Positionierung im Anti-Apartheid-Kampf, wenngleich das damals umstritten war. Hier hat sich der Weltkirchenrat politisch deutlich bewährt.
epd: Wie lange kann der ÖRK noch von diesen Meriten leben?
Hein: Die aktuelle Schwierigkeit besteht darin, dass diese beiden Herausforderungen politischer Art nun weg sind. Deswegen fehlen dem Ökumenischen Rat Kontroversen, die klar benennbar sind. Das Thema Globalisierung eignet sich nur in Maßen dafür. Es gibt in allen Teilen der Welt Gewinner und Verlierer der Globalisierung; sie ist nicht nur ein Nord-Süd-Problem. Trotzdem halte ich es für wichtig, dass die ökumenische Bewegung das Thema Globalisierung aufnimmt, weil die ökumenische Bewegung global ist.
epd: Ist der Weltkirchenrat nach dem Ende des Ost-West-Konflikts durch das Erstarken der Orthodoxie weniger politisch geworden?
Hein: Der ÖRK hat weiterhin eine politische Aufgabe. Manchmal hat man aber den Eindruck, dass das große gemeinsame Ziel fehlt. Der ÖRK nimmt eigentlich zu allem Stellung. Eine kleine UNO muss der Weltkirchenrat aber nicht sein.
epd: Der Weltkirchenrat hat seine Beziehungen zu den orthodoxen Kirchen verbessert. Ist der vor Jahren gefundene Kompromiss mit einem Konsensverfahren und dem Verzicht auf ökumenische Gebete tragfähig?
Hein: Ich habe den Eindruck, dass die großen Aufgeregtheiten jetzt überwunden sind. Es wird weiterhin kontrovers diskutiert, aber das Konsensverfahren hat auch eine gewisse Tendenz, die Kanten und Ecken abzuschleifen.
epd: Was sind die Hauptpunkte der Kontroverse?
Hein: Besonders schwierig wird es, wenn orthodoxe Kirchen einen Alleinvertretungsanspruch für ihr Land erheben. Die russisch-orthodoxe Kirche zeigt sich etwa im Blick auf eine Entsendung eines ÖRK-Delegierten der russischen Lutheraner, mit denen die EKD eng zusammenarbeitet, äußert zurückhaltend. Die orthodoxe Kirche muss lernen, mit konfessioneller Pluralität zu leben.
epd: Stehen die orthodoxen Kirchen derzeit näher bei den reformatorischen Kirchen oder beim Vatikan?
Hein: Die orthodoxen Kirchen haben ein hierarchischeres Amtsverständnis als die reformatorischen Kirchen. Mein Eindruck ist, dass der gegenwärtige Papst in Fragen des Kirchenverständnisses derzeit eher die Nähe zu den orthodoxen Kirchen sucht als zu uns. Wir müssen immer wieder deutlich machen: Wir sind Kirche, wir sind aus gutem Grund Kirche, und wir haben eine wunderbare reformatorische Tradition, auf die wir uns berufen. Wir müssen es vermeiden, uns nur über vermeintliche Defizite gegenüber anderen Konfessionsfamilien zu erklären. Wir haben ein eigenes Profil und ein überzeugendes Kirchenverständnis.
epd: Ist in Zukunft eine Mitarbeit der römisch-katholischen Kirche im Weltkirchenrat über die Mitgliedschaft in der ÖRK-Kommission für Glauben und Kirchenverfassung hinaus zu erwarten?
Hein: Als Organisation ist eine Mitgliedschaft nicht denkbar. Vom Selbstanspruch der römischkatholischen Kirche her kann ich mir das nicht vorstellen, obwohl ich mir das wünschen würde.
Die römisch-katholische Kirche versteht sich als Weltkirche. Aber die Weltkirche ist größer als die römisch-katholische Kirche.
epd: Wie steht der ÖRK zu den Pfingstkirchen und charismatisch geprägten Kirchen? Welche Chancen hat eine Annäherung und wo liegen die Gefahren?
Hein: Die Spannbreite der Form von Religiosität ist durch die Pfingstkirchen und die charismatischen Kirchen gewachsen. Die ÖRK-Vollversammlung 2006 in Porto Alegre in Brasilien hat gezeigt, dass diese Bewegung da ist und es nicht nützt, sie auszugrenzen.
Ich bin sehr dafür, sie zu integrieren. Die Frage ist aber, ob sie selbst sich überhaupt auf die Bewegung des Weltkirchenrates einlassen, die auch immer eine politische Bewegung gewesen ist. Es gibt einige Pfingstkirchen mit gewissem institutionellen Charakter, auf der anderen Seite gibt es Gemeinden, die sich überhaupt nicht in einer Organisation einbinden lassen. Damit sind sie als Gegenüber für den Weltkirchenrat nur schwer zu fassen.
epd: Für die evangelische Kirche sind liberalere Positionen in der Sexualethik oder die Frauenordination nicht mehr in Frage zu stellen. Erwarten sie von den anderen ÖRK-Mitgliedskirchen ein Entgegenkommen oder kann es auf Dauer bei einem Dissens bleiben?
Hein: Ich erwarte, dass wir darüber im offenen Gespräch bleiben. Als die Frage der Sexualethik im Zentralausschuss diskutiert worden ist, stellten sich schnell deutliche kulturelle Dissonanzen heraus. Die muss ich akzeptieren. An dieser Stelle wird es nicht so bald eine Übereinstimmung geben.
epd: Aus Genf wird gegenüber den Mitgliedskirchen die finanzielle Situation des Ökumenischen Rates der Kirchen beklagt. Besteht eine Bereitschaft der Mitgliedskirchen, höhere Beiträge zu zahlen?
Hein: Ich bin gespannt auf den Rechenschaftsbericht, der zur finanziellen Situation gegeben wird. Auf Dauer kann es nicht angehen, dass rund ein Drittel der Kosten des Ökumenischen Rates ausschließlich aus Deutschland bestritten wird. Es gibt auch andere reiche Kirchen des Nordens.
Beispielsweise sind einige Kirchen in Amerika und einige orthodoxe Kirchen in der Lage, mehr zu tun als bisher. Geld ist hier auch Ausdruck solidarischer Verantwortung. Es kann keine virtuelle Mitgliedschaft geben, die die finanzielle Beteiligung scheut.
epd: Sie sind einer der Vertreter der EKD im ÖRK-Zentralausschuss. Wie geht es mit den deutschen ÖRK-Beiträgen denn weiter?
Hein: Wir wollen unser finanzielles Engagement zurückfahren, aber wir wollen uns nicht prinzipiell zurückziehen. Es gibt eine ökumenische Verpflichtung in der evangelischen Kirche. Daher wäre es fatal, wenn der Geldhahn abgedreht würde. Die Tatsache, dass wir als Deutsche auf die finanzielle Situation hinweisen, wird von anderen allerdings nicht gern gehört.
epd: Ist die Arbeit des ÖRK aus deutscher Sicht effizient genug?
Hein: Wir haben bei der letzten Zentralausschusssitzung vor eineinhalb Jahren die Zahl der Programme erheblich reduziert, um den Eindruck zu beenden, dass sich der ÖRK verzettelt. Der Grundsatz für die Arbeit des Ökumenischen Rates sollte heißen: „Do less, but do it right.“
epd: Sehen Sie seit 2006 Fortschritte?
Hein: Die Problemlage gibt es weiterhin.
epd: Fehlt eine nachhaltige Kontrolle?
Hein: Kritisches Nachfragen ist in vielen Bereichen notwendig. Wir hatten beschlossen, dass die ÖRK-Programme nicht nur vom Zentralausschuss verabschiedet werden, sondern dass jedes Programm evaluiert wird. Vor jedem neuen Programmstart oder vor jeder Verlängerung soll kritisch hinterfragt werden, ob dies nötig ist. Ein Unternehmen wie der ÖRK hat natürlich eine Tendenz zur Abgeschlossenheit. Vieles läuft intern in Genf ab und wird wenig nach außen kommuniziert.
epd: Der ÖRK und seine Anliegen werden sowohl innerkirchlich als auch in der säkularen Öffentlichkeit kaum noch wahrgenommen.
Hein: Die öffentliche Wahrnehmung des ÖRK ist auch Ausdruck seiner gegenwärtigen Situation. Ich wünsche mir absolut mehr Professionalität in der Vermittlung der Arbeit des ÖRK. Wenn man keine Visionen und Leitbilder entwickelt, die auch kommuniziert werden können, kann man die spärliche Wahrnehmung aber nicht allein der Öffentlichkeitsarbeit anlasten.
epd: Ist denn mehr Öffentlichkeit überhaupt gewollt? In Porto Alegre haben Spitzenfunktionäre des ÖRK erklärt, dass die Organisation mehr in seine Mitgliedskirchen hinein wirken solle als in die Öffentlichkeit und Gesellschaft. Ein solcher Ansatz weicht vom Selbstverständnis deutscher Protestanten ja erheblich ab.
Hein: An der regen Reisetätigkeit des Generalsekretärs und an den Verlautbarungen, die aus Genf kommen, stelle ich fest, dass das politische Engagement des ÖRK fortgesetzt wird. Ich wundere mich manchmal, wie häufig der Generalsekretär unterwegs ist.
epd: Zu viel?
Hein: Ja. Es wäre gut, in Genf mehr Präsenz zu zeigen. Aber ich habe dem Generalsekretär keine Vorschriften zu machen.
epd: Kann man schon eine vorläufige Bilanz zur „Dekade zur Überwindung der Gewalt“ ziehen?
Hein: Wir haben die fatale Situation, dass in der von ÖRK ausgerufenen Dekade zur Überwindung der Gewalt die Gewalt als angebliches Konfliktlösungsmodell immer mehr um sich greift.
Was richten also solche Dekaden aus? Die Kampagne zur Überwindung zur Gewalt hat in einzelnen Kirchen auch hier in Deutschland manch beeindruckendes Beispiel gebracht, insgesamt ist sie aber nur sehr spärlich wahrgenommen worden.
epd: Kann man zum Ende der Dekade objektiv messen, was sie gebracht hat?
Hein: Ich bezweifle, ob der ÖRK wirklich konkret friedensschlichtend gewirkt hat - wie etwa die Gemeinschaft Sant'Egidio, unter deren Dach Konfliktparteien zusammengeführt worden sind. Eine solche Rolle für den ÖRK würde ich mir für die Zukunft aber wünschen, um das Potenzial des Weltkirchenrates deutlich zu machen. Es geht darum, Menschen unterschiedlicher Herkunft und Kultur zusammenzuführen. Wir müssen als Weltkirchenrat konkret sein.
epd: Welche Rolle kann der ÖRK im interreligiösen Dialog mit dem Islam einnehmen?
Hein: Im ÖRK kommen Kirchen mit erheblichen Erfahrungen im christlich-islamischen Dialog zusammen. Denken Sie etwa an die Christen in Indonesien, die im größten islamischen Land der Welt leben, oder an die anglikanische Kirche in Pakistan oder die orthodoxen Kirchen im vorderen Orient. Das ist ein ganz großer Trumpf des ÖRK. Der reflektierte Dialog der Religionen könnte gerade im Ökumenischen Rat einen Ort haben und der ÖRK könnte eine Rolle als "Ermöglicher" dieses Dialogs spielen.