Archiv: «Die persönlichen Gespräche haben gerade in dieser Zeit große Bedeutung» 2021-12-29 34480

Drei Fragen an Klinikpfarrerin Gudrun Kühnemuth
«Die persönlichen Gespräche haben gerade in dieser Zeit große Bedeutung»

«Die persönlichen Gespräche haben gerade in dieser Zeit große Bedeutung»
Gudrun Kühnemuth, Klinikpfarrerin im Klinikum Eschwege und Sprecherin der Klinikseelsorgekonferenz der Evangelischen Kirche von Kurhessen-Waldeck im ekkw.de-3-Fragen-an...

Drei Fragen an...

Kassel (medio). Von der vierten Welle der Coronapandemie sind die Mitarbeitenden in den Krankenhäusern besonders betroffen. Über die Belastungen für Ärztinnen und Ärzte, für das Pflegepersonal sowie über die Sorgen der Patientinnen und Patienten sprachen wir mit Gudrun Kühnemuth, Klinikpfarrerin im Klinikum Eschwege und Sprecherin der Klinikseelsorgekonferenz der Evangelischen Kirche von Kurhessen-Waldeck (EKKW). Sie schildert, wie sich Seelsorge unter der Pandemie verändert hat. 

Auch Bischöfin Dr. Beate Hofmann und Bischof Dr. Michael Gerber nehmen in diesen Tagen das Krankenhauspersonal besonders in den Blick. Als Zeichen der Stärkung haben sie über die Klinikseesorge 3.270 Lebkuchen in die Krankenhäuser im Gebiet der EKKW und des Bistums Fulda verschickt. «Wir verstehen das als ein Zeichen der Solidarität mit Ihnen und sehen es als unseren Auftrag, in unseren Stellungnahmen und in der Verkündigung gerade in diesen Wochen auch auf Ihre Herausforderungen hinzuweisen, um so bei möglichst vielen Menschen Verständnis und Sensibilität zu wecken», heißt es in einem Begleitbrief der beiden Leitenden Geistlichen. Die Lebkuchen haben der Schwälmer Brotladen (Gilserberg) und die Bäckerei Happ (Fulda) gespendet. 

Die Fragen an Gudrun Kühnemuth, Klinikpfarrerin im Klinikum Eschwege und Sprecherin der Klinikseelsorgekonferenz der Evangelischen Kirche von Kurhessen-Waldeck stellten Anja Berens, Sprecherin der EKKW, und Ramona Kopec, Leitende Redakteurin der Onlineredaktion des Medienhauses der EKKW.

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Als Klinikseelsorgerin sind Sie nicht nur mit den Ängsten von Patientinnen und Patienten und ihren Angehörigen konfrontiert, sondern auch mit den Herausforderungen, vor denen Ärztinnen, Ärzte und Pflegekräfte stehen.
Wie bewerten Sie die aktuelle Situation in den Kliniken?

Ärztinnen, Ärzte und Pflegekräfte arbeiten in den Kliniken mit hoher Motivation und Engagement für die Patientinnen und Patienten. Sie haben ein hohes Berufsethos, das darin besteht, den ihnen anvertrauten Menschen gerecht zu werden, sich ihnen zuzuwenden, für sie da zu sein und sie bestmöglich zu versorgen. Sie geben ganz viel Kraft in ihre Arbeit und tun alles, was ihnen möglich ist. Darüber hinaus sind sie in der Zeit, in der keine Besuche in den Kliniken möglich sind, oft Vermittler zwischen Patienten, Patientinnen und Angehörigen.  Unter der gegenwärtigen hohen zusätzlichen Belastung der Versorgung von Patienten und Patientinnen, die an Covid 19 erkrankt sind, kommen allerdings viele an ihre Belastungsgrenze. 
Da ist die Belastung auf seelischer Ebene durch die schweren Covid-Verläufe und der Kampf um das Leben der Erkrankten auf den Intensivstationen. Auf der körperlichen Ebene ist auch das Tragen der Voll-Schutzkleidung sehr anstrengend. Die steigende Anzahl von Covid-Patienten und der Blick auf eine mögliche 5. Corona-Welle, die durch die hochansteckende Omikron-Variante ausgelöst werden könnte, wird die Belastung noch weiter verschärfen. Zumal die Pflegesituation in den Kliniken ohnehin schon angespannt ist. 
Trotz dieser Extremsituation gibt es in den Teams eine große Solidarität und einen guten Zusammenhalt, der untereinander stärkt und Halt gibt. Einige Kliniken bieten Supervision für ihre Mitarbeitenden an, um die belastenden Situationen zu verarbeiten. Gefreut hat mich die ökumenische Aktion unserer Bischöfin Dr. Beate Hofmann und Bischof Dr. Michael Gerber vom Bistum Fulda, vor Weihnachten den besonders herausgeforderten Klinik-Mitarbeitenden einen Weihnachtsgruß zur Stärkung für Leib und Seele – vermittelt über die Klinikseelsorgerinnen und Klinikseelsorger - zukommen zu lassen. Das ist ein wichtiges Zeichen der Wertschätzung und Solidarität für das Klinikpersonal seitens der Kirchen. 
Wichtig finde ich in diesem Zusammenhang auch den Appell der Landessynode, die Corona-Schutzimpfung wahrzunehmen und sich impfen zu lassen. Sich in der gemeinsamen Lage der Verletzlichkeit solidarisch zu zeigen. «Impfung ist ein Ausdruck aktiver christlicher Nächstenliebe», um die Impfquote in der Bevölkerung zu erhöhen, sich selbst und andere zu schützen und die ohnehin angespannte Lage in den Kliniken und die Menschen, die dort mit aller Hingabe arbeiten, zu entlasten. 

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Mit welchen Sorgen und Nöten wendet sich das Personal an Sie? Und was könnte dem Personal in dieser Situation helfen?

Besonders auf den Stationen, auf denen die Mitarbeitenden mit Patienten und Patientinnen arbeiten, die an Covid 19 erkrankt sind, ist die mentale Belastung sehr hoch. Da ist es gut, als Klinikseelsorgerin präsent zu sein. Ansprechbar zu sein für die Mitarbeitenden, die sich derzeit in dieser belastenden Situation befinden. Den Kontakt zu suchen und anzubieten. Oft tut es gut, einfach aussprechen zu können, was gerade ist, es einem Gegenüber erzählen zu können. Sich eine belastende Situation von der Seele reden zu können. Das geschieht oft in einem kurzen «zufälligen» Gespräch «zwischen Tür und Angel», manchmal auch in einem bewusst gesetzten Rahmen. Oft hilft auch einfach das Gefühl, von der Seelsorgerin gesehen und wahrgenommen zu werden. Ein Zeichen der Wertschätzung und der Solidarität zu spüren. Als Klinikseelsorgerin wende ich mich den Mitarbeitenden in der Haltung der Empathie, der Anteilnahme und der Wertschätzung zu: «Ich sehe dich. Ich wende mich dir zu. Du bist wichtig, mit dem, was du fühlst und wie es dir gerade geht. Ich höre dir zu». Es geht auch darum, Situationen miteinander auszuhalten, aus der Solidarität Kraft zu schöpfen oder aber auch, im Miteinander eine neue Perspektive zu gewinnen. 
Zur Entlastung biete ich darüber hinaus für die Mitarbeitenden in der Mittagszeit im Raum der Stille die Auszeit «5 Minuten für die Seele» an. Ein Angebot, zur Ruhe zu kommen, einen guten Gedanken mitzunehmen, Kraft zu schöpfen für Seele und Leib oder miteinander in Kontakt zu kommen. Neu geplant habe ich für das neue Jahr eine ca. halbstündige Auszeit in der Natur mit einem spirituellen Impuls, die allen Mitarbeitenden offensteht. 

3
Nicht nur das Personal, auch Seelsorgende selbst arbeiten unter erschwerten Bedingungen. Wie hat sich die Seelsorge unter Corona verändert?

Zunächst einmal: ich bin dankbar, dass ich als Seelsorgerin Zugang zur Klinik habe und - unter Einhaltung der Hygienemaßnahmen – mit Patientinnen und Patienten und Personal in Kontakt treten kann. Die persönlichen Gespräche haben gerade in dieser Zeit große Bedeutung für viele Menschen. Der Bedarf an Seelsorge ist gestiegen. Patientinnen und Patienten leiden darunter, u.U. keinen Besuch der Angehörigen zu bekommen und sind dankbar für die Möglichkeit der Begegnung mit der Klinikseelsorgerin oder für ein Gesprächsangebot. 
Als Klinikseelsorgerin bin ich seit dem Ausbruch der Corona-Pandemie oft wie eine Brücke zwischen Patienten und Angehörigen, die nicht kommen können. So bitten mich Angehörige um einen Besuch bei ihrem Patienten, um auf diese Weise Kontakt mit ihm zu halten. Für die Angehörigen ist es eine Beruhigung, zu wissen: die Seelsorge hat den Kranken im Blick. Und für Mitarbeitenden ist es eine Entlastung, zu wissen, in der Klinikseelsorgerin eine mögliche Ansprechpartnerin zu haben. 
Natürlich ist das Tragen der FPP-2-Maske eine Herausforderung für ein Gespräch, da zur zwischenmenschlichen Kommunikation auch die Mimik und Gestik gehört – die jetzt quasi hinter einer Schutzmaske verschwindet - aber: man kann auch mit den Augen lächeln oder Anteilnahme zeigen. Was zählt, ist die Empathie und die zugewandte Grundhaltung, die ich mitbringe, trotz Abstand und Mund-Nase-Schutz. So kann Nähe auch in der Distanz erlebt werden. Auch anderes ist eingeschränkt: so kann ich zurzeit keine Gruppenangebote für Patientinnen und Patienten im geriatrischen oder psychiatrischen Bereich machen wie vor der Corona-Pandemie. Dafür stehen die persönlichen Gespräche jetzt noch stärker im Vordergrund. 
Dabei heißt Begegnung nicht, sich oder andere leichtfertig in Gefahr zu bringen. Sie geschieht unter Einhaltung aller Vorsichtsmaßnahmen, doch in einer zugewandten Grundhaltung ohne Angst. 
Wir sind als Menschen Beziehungswesen – wir leben als Mensch relational. Es geht darum, zu berühren und berührt zu werden – jetzt besonders im übertragenen Sinne. In der Begegnung geschieht Heilung – auf allen Ebenen. Nicht umsonst glauben Christen, dass Gott uns in Jesus Christus als Mensch nahegekommen ist. Alles wirkliche Leben ist Begegnung.

(23.12.2021)


radio Internetradio:

Mit einem Brief und Lebkuchen danken Bischöfin Beate Hofmann von der evangelischen Kirche von Kurhessen-Waldeck und Bischof Michael Gerber vom Bistum Fulda den Mitarbeitenden der Krankenhäuser. Und das kommt gut an, sagt Anke Haendler-Kläsener, Klinikseelsorgerin am Herz-Jesu-Krankenhaus in Fulda. Radioreporter Torsten Scheuermann hat mit ihr geprochen: