Nach dem Aussetzen der Wehrpflicht war fast in Vergessenheit geraten, dass eine solche Verweigerung möglich ist. Die wenigen Fälle, die es gab, betrafen meistens aktive Soldaten und Soldatinnen. Die einstmals flächendeckende Beratungsstruktur für die Wehrdienstverweigerung wurde mangels Nachfrage abgebaut. Heute gibt es bundesweit noch vier Berater und Beraterinnen, die über die Evangelische Arbeitsgemeinschaft Kriegsdienst und Frieden (EAK) in Bonn erreichbar sind. Mehr seien derzeit auch nicht nötig, sagt Müller-Langsdorf, die eine der vier ist. Seit Kriegsbeginn hätten die EAK circa 200 Anfragen erreicht.
Über die EAK werden diese verteilt, so landete das Schreiben des 25-Jährigen bei ihr, den die «kriegerische Mentalität» erschreckte. Auch Väter und Mütter meldeten sich manchmal, die Angst um ihre Söhne hätten. Dabei, so Müller-Langsdorf, könnten viele den Wehrdienst gar nicht verweigern, weil sie überhaupt nicht bei der Bundeswehr registriert sind. In solchen Fällen gehe es in der Beratung vor allem darum, zuzuhören und die Sorgen der Menschen einzuordnen: «Es ist eine Mischung aus Information und Seelsorge.» Natürlich, sagt die Pfarrerin, sollten die Befürchtungen nicht kleingeredet werden, gleichzeitig sei in Deutschland eine zwangsweise Einziehung wohl nicht zu befürchten.
Tatsächlich verweigern können Reservisten; also Männer und Frauen, die einmal bei der Bundeswehr waren – sei es als Zeit- und Berufssoldaten oder bis 2011 als Wehrpflichtige. Nach Bundeswehrangaben leisten derzeit 29.000 Personen regelmäßig Wehrübungen ab, insgesamt gibt es 949.000 «dienstleistungspflichtige Angehörige der Reserve», wie es im Bundeswehr-Deutsch heißt. Verständlicher sind die Bezeichnungen «aktive» und «passive Reservisten», wie Müller-Langsdorf sie verwendet. Gerade die passiven Reservisten hätten sich meist jahrelang nicht mit dem Thema beschäftigt und seien durch den Ukraine-Krieg jetzt aufgeschreckt.
Die Friedensbeauftragte berichtet von einem Mann, der vor 25 Jahren seinen Wehrdienst abgeleistet hatte. Er beschrieb in seinem Brief, wie sich seine Sichtweise verändert habe, seit er Menschen verschiedener Kulturen begegnet sei. Das Reden vom «Feind», das er aus dem Wehrdienst kannte, komme ihm jetzt merkwürdig vor. «Wäre ich bereit, auf einen Menschen einer anderen Nation zu schießen?», frage er sich heute und komme für sich zu einer klaren Antwort: Nein.
Für ihn war somit klar, dass er den Wehrdienst verweigern wollte. Das Verfahren wird schriftlich geführt, erläutert Müller-Langsdorf. Neben dem Lebenslauf und der Personenkennziffer, mit der die Menschen bei der Bundeswehr geführt werden, ist eine Begründung notwendig. Die Beraterinnen und Berater unterstützen Menschen auf dem Weg ihrer Gewissensklärung. Das zuständige Bundesamt für Familie und zivile Aufgaben prüft den Antrag. Eine sofortige Anerkennung sei eher selten, sagt Müller-Langsdorf, meistens würde noch eine Ergänzung der Begründung eingefordert. Wird ein Antrag abgelehnt, kann Widerspruch eingelegt werden. Es sei dann auch möglich, Anwälte hinzuzuziehen, allerdings gebe es kaum noch auf das Thema spezialisierte Kanzleien.
Manchmal, das gab es auch in den vergangenen Jahren hin und wieder, melden sich aktive Soldaten und Soldatinnen, die verweigern wollen. Für diese sei die Situation oft schwierig, weil der psychische und soziale Druck innerhalb der Bundeswehr groß sein könne, wenn der Antrag bekannt werde. Und das lässt sich kaum vermeiden, denn juristisch ist es so, dass die Antragstellenden ab sofort nicht mehr an der Waffe eingesetzt werden dürfen. Häufig passiere vier, fünf Monate gar nichts, erzählt Müller-Langsdorf, bevor eine Reaktion des Amtes komme. Wer einen Antrag auf Kreigsdienstverweigerung abgibt, müsse sich auf eine Wartezeit in der Bearbeitung einstellen und seine Absicht mit Geduld und Standhaftigkeit verfolgen.
Als Soldat oder Soldatin zu verweigern, sei nicht leicht. Viele schämten sich, wenn sie nicht mehr den Auftrag erfüllen, zu dem sie sich einst verpflichtet hatten. Die Furcht vor der Öffentlichkeit sei groß. Neben dem Ukraine-Krieg spiele für Aktive oft auch die Bilanz der Auslandseinsätze in Mali und Afghanistan eine Rolle, die wenig für die Friedenssicherung gebracht hätten.
In der Beratung durch die EAK sieht Sabine Müller-Langsdorf eine «genuine Aufgabe von Kirche». Das Angebot ist kostenfrei. Wichtig sei ihr, dass sich die Betreffenden über ihre eigene Haltung klar werden. Dabei soll die Beratung helfen, sie soll aber nicht von einer bestimmten Position überzeugen. Ob jemand also verweigert oder nicht, das bleibt ihm oder ihr immer selbst überlassen. (22.07.2022)
Steigender Bedarf nach Beratung zur Kriegsdienstverweigerung seit dem Ukraine-Krieg
Zwischen Seelsorge und Information


Nach dem Aussetzen der Wehrpflicht war fast in Vergessenheit geraten, dass eine solche Verweigerung möglich ist. Die wenigen Fälle, die es gab, betrafen meistens aktive Soldaten und Soldatinnen. Die einstmals flächendeckende Beratungsstruktur für die Wehrdienstverweigerung wurde mangels Nachfrage abgebaut. Heute gibt es bundesweit noch vier Berater und Beraterinnen, die über die Evangelische Arbeitsgemeinschaft Kriegsdienst und Frieden (EAK) in Bonn erreichbar sind. Mehr seien derzeit auch nicht nötig, sagt Müller-Langsdorf, die eine der vier ist. Seit Kriegsbeginn hätten die EAK circa 200 Anfragen erreicht.
Über die EAK werden diese verteilt, so landete das Schreiben des 25-Jährigen bei ihr, den die «kriegerische Mentalität» erschreckte. Auch Väter und Mütter meldeten sich manchmal, die Angst um ihre Söhne hätten. Dabei, so Müller-Langsdorf, könnten viele den Wehrdienst gar nicht verweigern, weil sie überhaupt nicht bei der Bundeswehr registriert sind. In solchen Fällen gehe es in der Beratung vor allem darum, zuzuhören und die Sorgen der Menschen einzuordnen: «Es ist eine Mischung aus Information und Seelsorge.» Natürlich, sagt die Pfarrerin, sollten die Befürchtungen nicht kleingeredet werden, gleichzeitig sei in Deutschland eine zwangsweise Einziehung wohl nicht zu befürchten.
Tatsächlich verweigern können Reservisten; also Männer und Frauen, die einmal bei der Bundeswehr waren – sei es als Zeit- und Berufssoldaten oder bis 2011 als Wehrpflichtige. Nach Bundeswehrangaben leisten derzeit 29.000 Personen regelmäßig Wehrübungen ab, insgesamt gibt es 949.000 «dienstleistungspflichtige Angehörige der Reserve», wie es im Bundeswehr-Deutsch heißt. Verständlicher sind die Bezeichnungen «aktive» und «passive Reservisten», wie Müller-Langsdorf sie verwendet. Gerade die passiven Reservisten hätten sich meist jahrelang nicht mit dem Thema beschäftigt und seien durch den Ukraine-Krieg jetzt aufgeschreckt.
Die Friedensbeauftragte berichtet von einem Mann, der vor 25 Jahren seinen Wehrdienst abgeleistet hatte. Er beschrieb in seinem Brief, wie sich seine Sichtweise verändert habe, seit er Menschen verschiedener Kulturen begegnet sei. Das Reden vom «Feind», das er aus dem Wehrdienst kannte, komme ihm jetzt merkwürdig vor. «Wäre ich bereit, auf einen Menschen einer anderen Nation zu schießen?», frage er sich heute und komme für sich zu einer klaren Antwort: Nein.
Für ihn war somit klar, dass er den Wehrdienst verweigern wollte. Das Verfahren wird schriftlich geführt, erläutert Müller-Langsdorf. Neben dem Lebenslauf und der Personenkennziffer, mit der die Menschen bei der Bundeswehr geführt werden, ist eine Begründung notwendig. Die Beraterinnen und Berater unterstützen Menschen auf dem Weg ihrer Gewissensklärung. Das zuständige Bundesamt für Familie und zivile Aufgaben prüft den Antrag. Eine sofortige Anerkennung sei eher selten, sagt Müller-Langsdorf, meistens würde noch eine Ergänzung der Begründung eingefordert. Wird ein Antrag abgelehnt, kann Widerspruch eingelegt werden. Es sei dann auch möglich, Anwälte hinzuzuziehen, allerdings gebe es kaum noch auf das Thema spezialisierte Kanzleien.
Manchmal, das gab es auch in den vergangenen Jahren hin und wieder, melden sich aktive Soldaten und Soldatinnen, die verweigern wollen. Für diese sei die Situation oft schwierig, weil der psychische und soziale Druck innerhalb der Bundeswehr groß sein könne, wenn der Antrag bekannt werde. Und das lässt sich kaum vermeiden, denn juristisch ist es so, dass die Antragstellenden ab sofort nicht mehr an der Waffe eingesetzt werden dürfen. Häufig passiere vier, fünf Monate gar nichts, erzählt Müller-Langsdorf, bevor eine Reaktion des Amtes komme. Wer einen Antrag auf Kreigsdienstverweigerung abgibt, müsse sich auf eine Wartezeit in der Bearbeitung einstellen und seine Absicht mit Geduld und Standhaftigkeit verfolgen.
Als Soldat oder Soldatin zu verweigern, sei nicht leicht. Viele schämten sich, wenn sie nicht mehr den Auftrag erfüllen, zu dem sie sich einst verpflichtet hatten. Die Furcht vor der Öffentlichkeit sei groß. Neben dem Ukraine-Krieg spiele für Aktive oft auch die Bilanz der Auslandseinsätze in Mali und Afghanistan eine Rolle, die wenig für die Friedenssicherung gebracht hätten.
In der Beratung durch die EAK sieht Sabine Müller-Langsdorf eine «genuine Aufgabe von Kirche». Das Angebot ist kostenfrei. Wichtig sei ihr, dass sich die Betreffenden über ihre eigene Haltung klar werden. Dabei soll die Beratung helfen, sie soll aber nicht von einer bestimmten Position überzeugen. Ob jemand also verweigert oder nicht, das bleibt ihm oder ihr immer selbst überlassen. (22.07.2022)
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