Aktuell: Vizepräsident der EKKW: «Das Kirchensteuer-System ist fair»

Kassel (medio). Erstmals sind weniger als die Hälfte der Deutschen Mitglied einer der hierzulande großen Kirchen. Im Interview erklärt Vizepräsident Dr. Volker Knöppel, wie der diese Entwicklung bewertet und wie er die Zukunft seiner Landeskirche einschätzt. Außerdem erklärt er, warum er die Kirchensteuer für gerecht hält. Und er zieht er eine kleine persönliche Bilanz, denn zum Jahresende geht Knöppel  nach 16 Jahren an der Spitze der Landeskirche in den Ruhestand. Die Fragen stellte Olaf Dellit, Redakteur im Medienhaus der EKKW.

Wenn Ihnen jemand begegnet und ganz direkt fragt: Warum soll ich eigentlich Kirchenmitglied sein – was antworten Sie?

Dr. Volker Knöppel: Der persönliche Glaube gibt Orientierung im eigenen Leben, aber auch im Gemeinwesen. In der Kirche ist man Teil einer weltweiten Gemeinschaft und das ist mir wichtig. Kirche ist, trotz aller Kleinrederei, nach wie vor ein wichtiger Teil unserer Gesellschaft, sie vermittelt Werte und begleitet Menschen durch ihr Leben. Und die Kirche ist Trägerin von Einrichtungen, die sich mit ihren Diensten und Angeboten an die Gemeindeglieder, aber auch an alle anderen richten. Eigentlich würde ich mir wünschen, dass Menschen nicht fragen, warum sie Mitglied der Kirche sein sollen, sondern dass sie wissen, warum sie Mitglied der Kirche sind. 

Die Mitglieder, in Kurhessen-Waldeck knapp 750.000 Menschen, vertrauen der Landeskirche Geld an. Wie können sie sicher sein, dass verantwortungsvoll damit umgegangen wird?

Knöppel: In unserer Landeskirche wird verantwortlich mit dem Geld umgegangen. Über die Verwendung des Geldes wird in den Haushaltsberatungen entschieden, in der Landessynode und in den Kreissynoden, also in den Kirchenparlamenten. Das geschieht in öffentlichen Sitzungen. Die Entscheidungen, das ist mein Anspruch, sind transparent. Und wir verfügen durch das unabhängige Amt für Revision über einen wirksamen Kontrollmechanismus. 

Also vergleichbar mit dem Landesrechnungshof auf politischer Ebene?

Knöppel: Ja, oder mit dem Bundesrechnungshof.

Die Kirchensteuer ist so angelegt, dass Vermögende mehr bezahlen und Menschen mit weniger Geld wenig. Sie können aber alle die gleichen Leistungen erwarten. Ist ein dieses solidarische Modell noch zeitgemäß?

Knöppel: Ich denke ja. Die finanzielle Leistungsfähigkeit der Mitglieder ist das entscheidende Kriterium. Wer weniger verdient, zahlt weniger Kirchensteuer oder sogar gar keine. Wer gut verdient, zahlt mehr; manchmal auch deutlich mehr. Ich finde, das ist fair. 

Man kann auch anders argumentieren: Die Kirche ist die Gemeinschaft der Gläubigen. Ihr Angebot können alle in Anspruch nehmen, die das wollen. Zur sächlichen Ausstattung der Kirchen tragen alle nach ihrem Leistungsvermögen bei, also eben durch die Kirchensteuer, Fundraising oder durch Spenden. Man kann sich aber auch ehrenamtlich einbringen, wir haben mehr als 40.000 Ehrenamtliche in Kurhessen-Waldeck. Auch die Teilnahme am Gottesdienst ist eine Form zur Unterstützung der Kirche.

In diesem Jahr sind erstmals weniger als 50 Prozent der Deutschen Mitglied einer Kirche. Macht Ihnen diese Entwicklung Sorgen?

Knöppel: Ich antworte mit einem Nein und mit einem Ja. Der Mitgliederrückgang ist da und ich kann und will ihn auch nicht wegreden. Trotzdem haben die Kirchen hohe Mitgliederzahlen. Wenn ich in die Parteienlandschaft schaue, in die Gewerkschaften und Verbände, dann sehe ich dort deutlich geringere Mitgliederzahlen. Insofern nein. 
Aber natürlich besorgt auch mich der stetige Rückgang der Mitglieder. Wir haben eine demografische Entwicklung, die Gesellschaft wird kleiner. Aber die Kirche wird schneller kleiner als die Gesellschaft – und das macht mir Sorgen. 

Was tut die Landeskirche dagegen?

Knöppel: Die Freiburg-Studie hat uns gezeigt, dass es beim Rückgang der Mitgliederzahlen neben demografischen auch kirchenspezifische Faktoren gibt. Das versetzt uns in die Lage, dem Trend etwas entgegenzusetzen. Ein Beispiel: Bei der Taufquote in unserer Landeskirche ist noch Luft nach oben. Es gibt da bewundernswerte Aktivitäten, und das können wir noch steigern. 

Die Studie hat auch gezeigt, dass insbesondere jüngere Leute austreten, wenn sie ins Berufsleben eintreten oder eine Familie gründen. Wir müssen uns fragen, wie wir diese Menschen besser erreichen. 

Der Reformprozess, der in unserer Landeskirche seit 2015 läuft, hat jetzt noch einmal eine neue Qualität und Richtung bekommen. Ein wichtiges Ziel besteht darin, Menschen über neue Kontaktflächen anzusprechen, die wir durch unsere bisherige Arbeit nicht erreichen.  

2022-11-04 36094

Vizepräsident der EKKW: «Das Kirchensteuer-System ist fair»

Dr. Knöppel über die Kirche, das Geld und seinen Ruhestand

Interview
Erstmals sind weniger als die Hälfte der Deutschen Mitglied einer der hierzulande großen Kirchen. Im Interview erklärt Vizepräsident Dr. Volker Knöppel, wie er diese Entwicklung bewertet und wie er die Zukunft seiner Landeskirche einschätzt. Außerdem erklärt er, warum er die Kirchensteuer für gerecht hält. Und er zieht er eine kleine persönliche Bilanz, denn zum Jahresende geht Knöppel nach 16 Jahren an der Spitze der Landeskirche in den Ruhestand. Die Fragen stellte Olaf Dellit, Redakteur im Medienhaus der EKKW.
Portrait

Kassel (medio). Erstmals sind weniger als die Hälfte der Deutschen Mitglied einer der hierzulande großen Kirchen. Im Interview erklärt Vizepräsident Dr. Volker Knöppel, wie der diese Entwicklung bewertet und wie er die Zukunft seiner Landeskirche einschätzt. Außerdem erklärt er, warum er die Kirchensteuer für gerecht hält. Und er zieht er eine kleine persönliche Bilanz, denn zum Jahresende geht Knöppel  nach 16 Jahren an der Spitze der Landeskirche in den Ruhestand. Die Fragen stellte Olaf Dellit, Redakteur im Medienhaus der EKKW.

Wenn Ihnen jemand begegnet und ganz direkt fragt: Warum soll ich eigentlich Kirchenmitglied sein – was antworten Sie?

Dr. Volker Knöppel: Der persönliche Glaube gibt Orientierung im eigenen Leben, aber auch im Gemeinwesen. In der Kirche ist man Teil einer weltweiten Gemeinschaft und das ist mir wichtig. Kirche ist, trotz aller Kleinrederei, nach wie vor ein wichtiger Teil unserer Gesellschaft, sie vermittelt Werte und begleitet Menschen durch ihr Leben. Und die Kirche ist Trägerin von Einrichtungen, die sich mit ihren Diensten und Angeboten an die Gemeindeglieder, aber auch an alle anderen richten. Eigentlich würde ich mir wünschen, dass Menschen nicht fragen, warum sie Mitglied der Kirche sein sollen, sondern dass sie wissen, warum sie Mitglied der Kirche sind. 

Die Mitglieder, in Kurhessen-Waldeck knapp 750.000 Menschen, vertrauen der Landeskirche Geld an. Wie können sie sicher sein, dass verantwortungsvoll damit umgegangen wird?

Knöppel: In unserer Landeskirche wird verantwortlich mit dem Geld umgegangen. Über die Verwendung des Geldes wird in den Haushaltsberatungen entschieden, in der Landessynode und in den Kreissynoden, also in den Kirchenparlamenten. Das geschieht in öffentlichen Sitzungen. Die Entscheidungen, das ist mein Anspruch, sind transparent. Und wir verfügen durch das unabhängige Amt für Revision über einen wirksamen Kontrollmechanismus. 

Also vergleichbar mit dem Landesrechnungshof auf politischer Ebene?

Knöppel: Ja, oder mit dem Bundesrechnungshof.

Die Kirchensteuer ist so angelegt, dass Vermögende mehr bezahlen und Menschen mit weniger Geld wenig. Sie können aber alle die gleichen Leistungen erwarten. Ist ein dieses solidarische Modell noch zeitgemäß?

Knöppel: Ich denke ja. Die finanzielle Leistungsfähigkeit der Mitglieder ist das entscheidende Kriterium. Wer weniger verdient, zahlt weniger Kirchensteuer oder sogar gar keine. Wer gut verdient, zahlt mehr; manchmal auch deutlich mehr. Ich finde, das ist fair. 

Man kann auch anders argumentieren: Die Kirche ist die Gemeinschaft der Gläubigen. Ihr Angebot können alle in Anspruch nehmen, die das wollen. Zur sächlichen Ausstattung der Kirchen tragen alle nach ihrem Leistungsvermögen bei, also eben durch die Kirchensteuer, Fundraising oder durch Spenden. Man kann sich aber auch ehrenamtlich einbringen, wir haben mehr als 40.000 Ehrenamtliche in Kurhessen-Waldeck. Auch die Teilnahme am Gottesdienst ist eine Form zur Unterstützung der Kirche.

In diesem Jahr sind erstmals weniger als 50 Prozent der Deutschen Mitglied einer Kirche. Macht Ihnen diese Entwicklung Sorgen?

Knöppel: Ich antworte mit einem Nein und mit einem Ja. Der Mitgliederrückgang ist da und ich kann und will ihn auch nicht wegreden. Trotzdem haben die Kirchen hohe Mitgliederzahlen. Wenn ich in die Parteienlandschaft schaue, in die Gewerkschaften und Verbände, dann sehe ich dort deutlich geringere Mitgliederzahlen. Insofern nein. 
Aber natürlich besorgt auch mich der stetige Rückgang der Mitglieder. Wir haben eine demografische Entwicklung, die Gesellschaft wird kleiner. Aber die Kirche wird schneller kleiner als die Gesellschaft – und das macht mir Sorgen. 

Was tut die Landeskirche dagegen?

Knöppel: Die Freiburg-Studie hat uns gezeigt, dass es beim Rückgang der Mitgliederzahlen neben demografischen auch kirchenspezifische Faktoren gibt. Das versetzt uns in die Lage, dem Trend etwas entgegenzusetzen. Ein Beispiel: Bei der Taufquote in unserer Landeskirche ist noch Luft nach oben. Es gibt da bewundernswerte Aktivitäten, und das können wir noch steigern. 

Die Studie hat auch gezeigt, dass insbesondere jüngere Leute austreten, wenn sie ins Berufsleben eintreten oder eine Familie gründen. Wir müssen uns fragen, wie wir diese Menschen besser erreichen. 

Der Reformprozess, der in unserer Landeskirche seit 2015 läuft, hat jetzt noch einmal eine neue Qualität und Richtung bekommen. Ein wichtiges Ziel besteht darin, Menschen über neue Kontaktflächen anzusprechen, die wir durch unsere bisherige Arbeit nicht erreichen.  

(Foto: medio.tv/Schauderna)

Zur Person:

Dr. Volker Knöppel (65) ist seit 2006 Vizepräsident der Evangelischen Kirche von Kurhessen-Waldeck und unter anderem für die Finanzen und die Dienststellenleitung des Landeskirchenamtes zuständig. Knöppel ist verheiratet und hat drei Kinder. In seiner Freizeit beschäftigt er sich mit Regionalgeschichte und Denkmalpflege. Ab Jahresende 2022 wird er mehr Zeit für seine Hobbies haben, er tritt in den Ruhestand.

Erst die Pandemie, dann der schreckliche Krieg in der Ukraine – all das wirkt sich auch finanziell aus. Wie kommt die Kirche durch diese Krisen?

Knöppel: Das alles hat Auswirkungen auf unser Agieren, aber auch auf unsere Einnahmen. Wenn ich mir alleine das Jahr 2022 anschaue, kann ich sagen: Noch tragen die Baby-Boomer unsere Kirche. In den nächsten Jahren werden aber die geburtenstarken Jahrgänge aus dem Berufsleben ausscheiden – ich bin mit Jahrgang 1957 und ein Beispiel dafür. Das wird eine neue Dynamik bekommen. 

Wir stehen vor Veränderungen, wie wir sie in der Geschichte unserer Kirche bisher nicht gesehen haben, darauf sind wir vorbereitet. Inflation und Energiekrise wirken zusätzlich auf unsere Haushalte ein. Im Reformprozess hinterfragen wir Strukturen und passen uns an neue Entwicklungen an. Die durch Corona forcierte Digitalisierung hat unser Denken und Arbeiten verändert, dahinter werden wir nicht wieder zurückfallen. Hier im Landeskirchenamt führen wir Home Office und Desk Sharing ein – das ist unsere Antwort, wie wir durch diese Zeit kommen. Eine Herausforderung wird sein, die Dienstgemeinschaft mit Leben zu füllen, wenn zukünftig viele Mitarbeitende nicht mehr ständig hier im Haus sind. 

Was erwarten Sie für die Zukunft – wie wird die Kirche in zehn Jahren aussehen?

Knöppel: Eine schwierige Frage. Ich gehe davon aus, es wird auch in zehn Jahren die Evangelische Kirche von Kurhessen-Waldeck noch geben. Wir werden kleiner sein und die Ausgaben den sinkenden Einnahmen angepasst haben. Wir werden eine andere Kirche sein und nicht mehr alle Handlungsfelder bedienen, in denen wir heute unterwegs sind. 

Neben den volkskirchlichen werden wir auch in neuen Strukturen arbeiten, mit neuen Kontaktflächen. Wir müssen Menschen wahrnehmen, die keine Gemeindeglieder sind, sich aber der Kirche gleichwohl verbunden fühlen, und solche, die durch klassische kirchengemeindliche Arbeit sich nicht angesprochen fühlen. Wir müssen aus einem verengten Milieu herauskommen. Das ist die große Chance des Reformprozesses.

In zehn Jahren wird die Ablösung der Staatsleistungen vollzogen sein. Und ich rechne damit, dass wir auch in Zukunft auf dem umkämpften Nachwuchs-Markt ein attraktiver Arbeitgeber sein werden. Wir werden als Kirche weiterhin unsere Werte in die Gesellschaft vermitteln, aber wir werden wohl weniger als Institution wahrgenommen werden und mehr als Organisation. 

Ende des Jahres werden Sie nach 16 Jahren als Vizepräsident in den Ruhestand gehen. Wie blicken Sie zurück?

Knöppel: Ich bin dankbar, dass ich mehr als drei Jahrzehnte in meiner Kirche – ganz am Anfang war das die Hannoversche Landeskirche – dienen durfte. Ich bin dankbar für viele Begegnungen. Ich war lange im Baubereich tätig und das ist ideal, um Land und Leute in den Landeskirchen kennenzulernen. 

Mir sind auch die Beziehungen zu den Mitarbeitenden hier im Haus und in den Kirchenkreisen immer wichtig gewesen. Als Jurist ist es bereichernd gewesen, eng mit Theologen zusammenzuarbeiten. Das ist manchmal eine Herausforderung, weil Juristen und Theologen ganz unterschiedlich ticken, aber am Ende ziehen sie an einem Strang. Wir haben viel voneinander gelernt. 

Ich sehe, dass wir motivierte Mitarbeitende überall in der Kirche haben. Wir sind gut aufgestellt. Ich muss aber auch sagen: Nach 16 Jahren Vizepräsident und nach meinem 65. Geburtstag gehe ich gerne in den Ruhestand, denn ich habe noch viele Pläne. Ich gehe mit der Überzeugung, dass mit Frau Dr. Katharina Apel eine gute Nachfolgerin gefunden wurde. 

Und noch eine persönliche Frage: Was ist Ihnen als Mitglied das Wichtigste an Ihrer Kirche?

Knöppel: Wichtig ist mir, dass die Kirche nah bei den Menschen ist und das findet in der Gemeinde statt. Wichtig ist mir auch, dass sie christliche Wertevorstellungen in die Gesellschaft einbringt.
Mich ganz persönlich, meinen Arbeitsstil und mein Auftreten, hat die Kirche besonders geprägt, da ich aus einem gemischt-konfessionellen Elternhaus komme. Mein Vater war katholisch. So war die erste Kirche, die ich an der Hand meiner Oma betreten habe, die katholische Kirche in Naumburg. Wichtig war für mich der Kindergottesdienst und die Person des Pfarrers in unserer Diasporagemeinde. Das alles hat mich geprägt. 

(Fragen: Olaf Dellit, 28.09.2022)