Aktuell: Ist das schon Gewalt?

Es sind Fragen wie diese, mit denen sich Erzieherinnen und Erzieher in evangelischen Kindertagesstätten in Kurhessen-Waldeck beschäftigen, denn alle Einrichtungen müssen bis Mitte kommenden Jahres ein Gewaltschutzkonzept vorweisen können. Beraten werden sie dabei vom Referat Fachberatung evangelischer Tageseinrichtungen für Kinder, das seit einiger Zeit an das Landeskirchenamt in Kassel angebunden ist.

Das Referat wird von Uta Landgrebe geleitet, die anlässlich des Tages der gewaltfreien Erziehung (30.4.) auf die Vorbeugung gegen Gewalt hinweist. Grundlage der Konzepte sei immer die Frage, was zu Gewalt zählt. Körperliche und sexualisierte Gewalt sind augenscheinlich, aber auch emotionale und digitale Gewalt zählen dazu. Es gelte, ein Bewusstsein für diese Facetten zu entwickeln, erklärt Landgrebe. «Es geht», sagt sie, «um Haltungen und um die Kultur vor Ort.» 

Gerade in der pädagogischen Arbeit stehen Nähe und Distanz in einem Spannungsfeld. Da sei es wichtig, dass die Mitarbeitenden in einer Einrichtung festlegten, wo rote Linien sind.  Das gebe Sicherheit im eigenen Handeln und helfe, andere anzusprechen, falls sie einmal eine solche Linie überschreiten. Landgrebe vergleicht das mit einem Fahrsicherheits-Training. Wer einmal ein solches mitgemacht habe, wisse auch in einer Notsituation, wie er richtig handelt, ohne lange darüber nachdenken zu müssen. Und Stresssituationen gibt es in Kitas – besonders in Zeiten des Fachmangels – häufig.

Es gebe auch Verunsicherungen über die Frage, was professionelle Nähe ausmache, berichtet Landgrebe. Und das nicht nur bei den Profis. So höre sie manchmal, dass Eltern grundsätzlich Bedenken hätten, wenn ein Erzieher – also ein Mann – ihr Kind wickele: «Da gibt es noch viele Klischees, die wir abbauen müssen.» Auch Eltern müssten über Facetten von Gewalt informiert werden. 

Grundlage eines solchen Anti-Gewalt-Konzepts ist eine Risikoanalyse der jeweiligen Einrichtung. Da wird ähnlich verfahren wie bei der Arbeit gegen sexualisierte Gewalt und beispielsweise geschaut, wo es schlecht einsehbare Orte gibt. Damit die Mitarbeitenden in den Einrichtungen nicht zu viel Arbeit auf einen Schlag haben, würden die Konzepte in Themenpäckchen Stück für Stück erarbeitet, erläutert Landgrebe, deren Fachstelle dafür die Beratung anbietet. Weitere Teile des Konzepts sind die gesetzlichen Grundlagen, ein Verhaltenskodex, geregelte Verfahren bei Beschwerden und Pläne, wie in einem Notfall zu handeln ist. 

Einige Eckpfeiler seien selbstverständlich. Ein Kind soll man nicht weinen lassen, zum Beispiel. Und die Grundregel, dass das «Nein» eines Kindes respektiert wird. Das kann auch non-verbal ausgedrückt werden, gerade bei Krippenkindern. Wenn ein Kind nicht auf den Arm genommen werden will, dann gelte das. 

Die Diplom-Sozialpädagogin Landgrebe weiß aber auch, dass völlig gewaltfreie Erziehung in einer Gesellschaft, in der Gewalt – medial und ganz konkret – zum Alltag gehört, ein kaum zu erreichendes Ideal ist. Umso wichtiger sei es, sich Leitlinien zu geben: Ist Liebesentzug Gewalt? Ist es eine abwertende Bemerkung? Wann und wie muss eine Erzieherin eingreifen? Wie sieht es aus, wenn ein Kind ein anderes beißt und nur durch körperlichen Einsatz von ihm zu trennen ist? Ist das auch schon Gewalt oder schlicht notwendig? Mit Blick auf den Ukraine-Krieg, eine hochaktuelle Frage – wenngleich natürlich in einer völlig anderen Dimension: Darf oder muss man einem Aggressor kraftvoll entgegentreten? 

Gewaltfreie Erziehung ist kein Ziel, dass irgendwann erreicht und abgeschlossen sein wird. Uta Landgrebe sagt vielmehr: «Es ist ein Dauerthema. Und wir dürfen nicht müde werden hinzuschauen.»  (03.05.2023)

2023-05-04 37728

Ist das schon Gewalt?

Fachberatung hilft Kitas bei Schutzkonzepten

Autorenbeitrag
Evangelische Kindertagesstätten in Kurhessen-Waldeck beschäftigen sich zurzeit mit dem Thema Gewalt. Denn alle Einrichtungen müssen bis Mitte kommenden Jahres ein Gewaltschutzkonzept vorweisen können. (Foto: pexels.com)
Etwas fällt runter und man ruft dem Kind zu: «Du Schussel!» Schnell gesagt ist so ein Satz, doch er kann lange haften bleiben, ein Kind in eine Schublade einordnen, stigmatisieren. Aber würde man ihn schon als Gewalt ansehen? Welche Macht kann Sprache haben? Medienhaus-Redakteur Olaf Dellit hat mit Uta Landgrebe darüber gesprochen. Sie leitet das Referat Fachberatung evangelischer Tageseinrichtungen für Kinder im Landeskirchenamt in Kassel.
Portrait

Es sind Fragen wie diese, mit denen sich Erzieherinnen und Erzieher in evangelischen Kindertagesstätten in Kurhessen-Waldeck beschäftigen, denn alle Einrichtungen müssen bis Mitte kommenden Jahres ein Gewaltschutzkonzept vorweisen können. Beraten werden sie dabei vom Referat Fachberatung evangelischer Tageseinrichtungen für Kinder, das seit einiger Zeit an das Landeskirchenamt in Kassel angebunden ist.

Das Referat wird von Uta Landgrebe geleitet, die anlässlich des Tages der gewaltfreien Erziehung (30.4.) auf die Vorbeugung gegen Gewalt hinweist. Grundlage der Konzepte sei immer die Frage, was zu Gewalt zählt. Körperliche und sexualisierte Gewalt sind augenscheinlich, aber auch emotionale und digitale Gewalt zählen dazu. Es gelte, ein Bewusstsein für diese Facetten zu entwickeln, erklärt Landgrebe. «Es geht», sagt sie, «um Haltungen und um die Kultur vor Ort.» 

Gerade in der pädagogischen Arbeit stehen Nähe und Distanz in einem Spannungsfeld. Da sei es wichtig, dass die Mitarbeitenden in einer Einrichtung festlegten, wo rote Linien sind.  Das gebe Sicherheit im eigenen Handeln und helfe, andere anzusprechen, falls sie einmal eine solche Linie überschreiten. Landgrebe vergleicht das mit einem Fahrsicherheits-Training. Wer einmal ein solches mitgemacht habe, wisse auch in einer Notsituation, wie er richtig handelt, ohne lange darüber nachdenken zu müssen. Und Stresssituationen gibt es in Kitas – besonders in Zeiten des Fachmangels – häufig.

Es gebe auch Verunsicherungen über die Frage, was professionelle Nähe ausmache, berichtet Landgrebe. Und das nicht nur bei den Profis. So höre sie manchmal, dass Eltern grundsätzlich Bedenken hätten, wenn ein Erzieher – also ein Mann – ihr Kind wickele: «Da gibt es noch viele Klischees, die wir abbauen müssen.» Auch Eltern müssten über Facetten von Gewalt informiert werden. 

Grundlage eines solchen Anti-Gewalt-Konzepts ist eine Risikoanalyse der jeweiligen Einrichtung. Da wird ähnlich verfahren wie bei der Arbeit gegen sexualisierte Gewalt und beispielsweise geschaut, wo es schlecht einsehbare Orte gibt. Damit die Mitarbeitenden in den Einrichtungen nicht zu viel Arbeit auf einen Schlag haben, würden die Konzepte in Themenpäckchen Stück für Stück erarbeitet, erläutert Landgrebe, deren Fachstelle dafür die Beratung anbietet. Weitere Teile des Konzepts sind die gesetzlichen Grundlagen, ein Verhaltenskodex, geregelte Verfahren bei Beschwerden und Pläne, wie in einem Notfall zu handeln ist. 

Einige Eckpfeiler seien selbstverständlich. Ein Kind soll man nicht weinen lassen, zum Beispiel. Und die Grundregel, dass das «Nein» eines Kindes respektiert wird. Das kann auch non-verbal ausgedrückt werden, gerade bei Krippenkindern. Wenn ein Kind nicht auf den Arm genommen werden will, dann gelte das. 

Die Diplom-Sozialpädagogin Landgrebe weiß aber auch, dass völlig gewaltfreie Erziehung in einer Gesellschaft, in der Gewalt – medial und ganz konkret – zum Alltag gehört, ein kaum zu erreichendes Ideal ist. Umso wichtiger sei es, sich Leitlinien zu geben: Ist Liebesentzug Gewalt? Ist es eine abwertende Bemerkung? Wann und wie muss eine Erzieherin eingreifen? Wie sieht es aus, wenn ein Kind ein anderes beißt und nur durch körperlichen Einsatz von ihm zu trennen ist? Ist das auch schon Gewalt oder schlicht notwendig? Mit Blick auf den Ukraine-Krieg, eine hochaktuelle Frage – wenngleich natürlich in einer völlig anderen Dimension: Darf oder muss man einem Aggressor kraftvoll entgegentreten? 

Gewaltfreie Erziehung ist kein Ziel, dass irgendwann erreicht und abgeschlossen sein wird. Uta Landgrebe sagt vielmehr: «Es ist ein Dauerthema. Und wir dürfen nicht müde werden hinzuschauen.»  (03.05.2023)

Name
  • Referatsleitung
  • Uta Landgrebe
  • Referat Fachberatung evangelischer Tageseinrichtungen für Kinder
  • Internetseite
  • Das Referat Fachberatung Evangelischer Tageseinrichtungen für Kinder engagiert sich für die Weiterentwicklung der Gesamtqualität der Arbeit in den Tageseinrichtungen für Kinder in der Evangelischen Kirche von Kurhessen-Waldeck. Es ist Teil des Landeskirchenamtes in Kassel.

arrow_forward Linktipp:

Weitere Informationen zum Angebot des Referats Fachberatung Evangelischer Tageseinrichtungen mit Kontaktmöglichkeiten finden Sie im Servicebereich auf ekkw.de: