Das komplette Interview mit Vizepräsident Dr. Knöppel über Kirchensteuer, Staatsleistungen und Transparenz in Sachen Finanzen:
Die verlässliche Finanzierung unserer Aufgaben versetzt uns in die Lage, in die Gesellschaft hineinzuwirken

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Dr. Knöppel: Dazu muss man die Gesellschaft fragen, ob sie das noch akzeptiert. Ich habe jedenfalls den Eindruck, dass das System der Staatsleistung von den Menschen nicht mehr verstanden wird. Wenn ich in das Grundgesetz hineinschaue, stelle ich fest: Wir haben eine klare Rechtslage. Und solange der Gesetzgeber in der Bundesrepublik diese aufrechterhält, ist es legitim, sie in Anspruch zu nehmen. Sie ermöglicht uns – den evangelischen Landeskirchen wie den katholischen Bistümern – als Volkskirchen zu wirken. Ich denke, das wurde bei der Verabschiedung des Grundgesetzes tatsächlich so gewollt.
blick: Haupteinnahmequelle der Kirchen sind die Kirchensteuern, die durch die staatlichen Finanzämter eingezogen werden. Könnte die Kirche auf diese Mittel verzichten?
Dr. Knöppel: Da ich für eine evangelische Landeskirche in der Bundesrepublik spreche, kann ich sagen: Dieses System der verlässlichen Finanzierung unserer Aufgaben versetzt uns in die Lage, dass wir in die Gesellschaft hineinwirken. Ich gehe davon aus, dass dies auch im Interesse der Bundesrepublik und der Bundesländer ist. Wir müssten dann einen Mitgliedsbeitrag von den Christen in der Evangelischen Kirche von Kurhessen-Waldeck (EKKW) erheben oder auf freiwillige Leistungen bauen und unsere Leistungen einschränken.
blick: Wäre denn so ein Mitgliedsbeitrag gerecht zu gestalten? Die Kirchensteuer hat ja den Vorteil, dass sie sich auf das Einkommen bezieht.
Dr. Knöppel: Richtig. Unser Kirchensteuersystem ist gerecht, weil es gewährleistet, dass jeder nach Maßgabe seiner finanziellen Möglichkeiten an der Finanzierung von Kirche teilnimmt; dabei gibt es Staffelungen und Freibeträge. Wenn wir – sehr hypothetisch gesprochen – dieses System nicht hätten, dann wäre es wahrscheinlich mit einem einfachen Mitgliedsbeitrag nicht getan. Denn den Grundgedanken von gerechter Mitfinanzierung kirchlicher Aufgaben müsste man wiederum an die Leistungsfähigkeit knüpfen. Dabei dürfen wir den Verwaltungsaufwand nicht vergessen, den die Kirchen in diesem Fall leisten müssten.
blick: Den Verwaltungsaufwand gibt es ja im jetzigen System auch.
Dr. Knöppel: Das stimmt. Beim Abschluss des Kirchenvertrags zwischen dem Land Hessen und den evangelischen Landeskirchen – das war im Jahr 1960 – wurde vereinbart, dass das Land Hessen drei Prozent der Kirchensteuereinnahmen einbehält – als pauschale Abgeltung für diesen Verwaltungsaufwand. Sprich: Von den Kirchensteuern, die entrichtet werden, stellen wir 97 Prozent in den Haushalt ein. Übrigens werden wir künftig diesen einbehaltenen Kirchensteueranteil im doppischen Haushalt ausweisen, damit auch nach außen deutlich erkennbar wird, dass das Gelder sind, die unsere Kirchenmitglieder aufgebracht haben.
blick: Rund zwölf Prozent unseres landeskirchlichen Haushalts, also circa 25 Millionen, beruhen auf Staatsleistungen. Wieso zahlt das Land Hessen jährlich diese Summe?
Dr. Knöppel: Weil das 1960 im Kirchenvertrag so vereinbart wurde. Dort heißt es: „Die zur Zeit als Dotation für kirchenreglementliche Zwecke und als Zuschüsse für Zwecke der Pfarrbesoldung und Versorgung gewährten finanziellen Leistungen des Landes an die evangelischen Kirchen in Hessen, sowie die katastermäßigen Zuschüsse werden mit Wirkung vom 1. April 1956 durch einen Gesamtzuschuss ersetzt.“ Damit hat sich das Land Hessen gegenüber den evangelischen Kirchen und den katholischen Bistümern zu diesen Zahlungen verpflichtet, die nennt man gemeinhin Staatsleistungen. Sie beruhen auf vermögensrechtlichen Ansprüchen der Kirchen, die im Jahre 1956 juristisch geprüft und für richtig befunden wurden. Die fasste man dann, weil es ganz unterschiedliche rechtshistorische Entstehensgründe gab, zu einem Gesamtzuschuss zusammen. Seitdem werden sie als „Staatsleistungen“ an die Kirchen überwiesen.
blick: Wird diese Summe für jedes Jahr neu errechnet?
Dr. Knöppel: Die Summe ist damals im Kirchenvertrag beziffert worden. Dort wurde festgehalten, dass die Evangelische Kirche von Kurhessen-Waldeck im Jahre 1960 5,9 Millionen DM an Staatsleistungen bekommt. Diese Staatsleistungen sind an die hessische Landesbesoldung gekoppelt und nehmen an deren Entwicklung teil. Daraus ist jetzt der von Ihnen genannte Eurobetrag erwachsen.
blick: Warum bekommt die EKKW im Vergleich zu anderen Landeskirchen eine so hohe Summe vom Staat?
Dr. Knöppel: Nachdem die evangelische Kirche im Zuge der Reformation enteignet worden war, entstanden in der Landgrafschaft Hessen-Kassel vermögensrechtliche Beziehungen zwischen ihr und der Landesherrschaft. Diese Finanzbeziehungen waren am Ende des deutschen Kaiserreichs, zu Beginn der Weimarer Republik, in vielen Fällen zu vermögensrechtlichen Ansprüchen erwachsen, so dass man ab 1919 tatsächlich von Rechtsverpflichtungen des Landes gegenüber den Kirchen ausgehen konnte. Diese sollten der Kirche zum Beispiel ermöglichen, eine zentrale Verwaltung vorzuhalten. Außerdem standen die Kirchenbeamten bis 1918 auf der Besoldungsliste des preußischen Staates. Und die Kirchen bekamen damals auch Zuschüsse zu den Pfarrgehältern, weil die kirchlichen Ländereien eine angemessene Besoldung nicht gewährleisteten. Dabei kam uns Nordhessen der Umstand zugute, dass wir in einem strukturschwachen Gebiet mit kargen Böden angesiedelt sind: Deshalb fielen die Besoldungszuschüsse bei uns höher aus als im Süden, in der reichen Wetterau, wo mit den Erträgen aus Grund und Boden die Pfarrgehälter bestritten werden konnten. Das ist, ganz kurz erklärt, die evangelische Entstehungsgeschichte von Staatsleistungen in unserer Landeskirche.
blick: Sie vertreten die Auffassung, dass es eine „Entrümplung der historischen Verbindlichkeiten“ geben könnte, sprich die Ablösung der Staatsleistungen. Und Sie stehen mit der Meinung innerhalb der evangelischen Kirche nicht alleine da. Wie könnte denn so ein Szenario der Ablösung aussehen?
Dr. Knöppel: Ich denke, dass man sich von den alten Rechtsverpflichtungen in unserem Kirchengebiet trennen kann. Das haben wir vor gut zehn Jahren in Hessen ja schon einmal gezeigt, als die Baulastverpflichtungen der Kommunen an Kirchengebäuden gegen eine Entschädigungszahlung abgelöst wurden. Nach diesem Modell könnte ich mir Verhandlungen zwischen Staat und Kirchen vorstellen – falls staatlicherseits ein Interesse besteht. Dann gilt meines Erachtens volle Leistungsäquivalenz, das heißt, die Ablösesumme muss auskömmlich berechnet werden. Dabei könnte man sich auch Entschädigungen in Grund und Boden vorstellen – gerade angesichts der derzeitigen Situation auf den Finanzmärkten wäre das eine gute Überlegung, um Risiken zu streuen. Über den Berechnungsmodus müsste man natürlich Verhandlungen miteinander führen und zwar partnerschaftliche Verhandlungen.
Im Artikel 5 des Kirchenvertrags, den ich eben zitierte, steht ja nicht, dass diese Zahlungen die bisherigen Leistungen des Landes an die Kirchen ablösen, sondern nur ersetzen. Also schon 1960 war sich der hessische Gesetzgeber darüber im Klaren: Wenn irgendwann mal die Ablösung kommt, dann stehen diese Beträge auf dem Prüfstand und dann muss man eine gerechte Lösung für die Entschädigung aushandeln.
blick: Gibt es dazu eine zeitliche Perspektive? Ist es spürbar, dass demnächst etwas passiert?
Dr. Knöppel: Die Indizien sind uneindeutig. Ich denke, es ist eine politische Entscheidung der Bundesrepublik, ob sie diesen Weg gehen will. Die Kirchen werden sich dem nicht verstellen, schon das Grundgesetz sieht die Ablösung als Auftrag vor. Wir haben vor zehn Jahren in Hessen zum Thema Baulasten Vorbildliches geleistet, das könnte ein gangbarer Weg für die Ablösung der Staatsleistungen sein. In der Folge wäre es für uns eine große Herausforderung, wie man dieses Geld krisensicher anlegt und bewirtschaftet, so dass die Substanz nicht verlorengeht, sondern für künftige Generationen erhalten bleibt.
blick: Was finanziert die Kirche eigentlich mit den Staatsleistungen und wie stehen Sie zu den Vorwürfen, dass die Kirchen damit nicht transparent umgehen?
Dr. Knöppel: Diese Vorwürfe sind haltlos: Die Staatsleistungen, die wir übrigens auch aus Thüringen bekommen (der Kirchenkreis Schmalkalden gehört zur EKKW. Red.), sind selbstverständlich in unseren Haushaltsplänen dokumentiert. Auch die Haushaltspläne sind öffentlich – ebenso wie die Synodaltagungen, in denen über die Etats beraten und abgestimmt wird. Jeder kann also beispielsweise nachlesen, wie viel wir 2014 und 2015 aller Wahrscheinlichkeit nach bekommen werden. Und ich weise, genauso wie meine Vorgänger, in jedem meiner Finanzberichte darauf hin, dass wir Staatsleistungen vom Land Hessen erhalten, und ich danke Hessen und Thüringen für die regelmäßige Erfüllung dieser Rechtsverpflichtung.
Zum ersten Teil Ihrer Frage: Die Staatsleistungen sind nicht zweckgebunden. Deshalb stellen wir sie als Einnahmen in die gesamte Masse des Haushaltsvolumens ein und finanzieren daraus kirchliche Aufgaben.
blick: Kommt dieses Geld den Gemeinden zugute oder wird es für übergemeindliche Aufgaben verwendet?
Dr. Knöppel: Es wird im Rahmen der gesamten Haushaltssystematik bewirtschaftet. Veranschlagt werden die Staatsleistungen im landeskirchlichen Teil.
Fragen: Cornelia Barth, Lothar Simmank