THEMA Eine Hoffnung, die man sieht, ist nicht Hoffnung Was ist der Kern der christlichen Hoffnung? V or Wochen in Volkmarsen nach der Amokfahrt. Ich gehe zu dem großen Gedenkgottesdienst. Drau- ßen vor der Kirche spricht mich jemand an: „Was meinen sie denn? Was wir da gerade erleben, steht doch schon alles so in der Bibel. Erst die große Dürre, dann Mord und Totschlag, und jetzt auch noch diese Seuche, … bald kommt das Ende“. „Das sehe ich anders“, sage ich reflexartig, „in der Bibel lese ich auch ganz viel von der Hoffnung“. Für ein Gespräch fehlt die Zeit. Wir gehen beide weiter. In der Kirche steht dann vieles nebeneinander: Betrof- fenheit und Schmerz, Sorge um die Verletz- ten – aber auch eine echt starke Hoffnung: Wir halten zusammen, wir lassen uns nicht vom Hass regieren, wir freuen uns über die große Unterstützung vor Ort und aus der ganzen Welt. Aber darunter ist dann doch wieder eine große Unsicherheit zu spüren: Was kommt als nächstes? Wie wird es wei- tergehen? Fragen, die in Zeiten der Corona ganz oben auf liegen. „Wir sind zwar gerettet“, schreibt Pau- lus den Römern, „doch auf Hoffnung. Ei- ne Hoffnung aber, die man sieht, ist nicht Hoffnung.“ Damit trifft er wohl ziemlich genau, was die Christen damals fühlen. Viele sind enttäuscht vom Glauben. Man gehört zu einer Minderheit, wird ausge- lacht, angefeindet, manche sogar verfolgt. Und das soll nun ein neues Leben sein? Man soll sich erlöst fühlen und frei? Zu spüren ist davon nichts. Die Schöpfung seufzt Paulus geht darauf ein. Wir sind noch nicht am Ziel, sagt er, doch wir geben die Hoffnung nicht auf. Auf uns wartet „die herrliche Freiheit der Kinder Gottes“. Sie wird kommen. Auch wenn wir davon jetzt noch nichts sehen. Wir warten aber dar- auf. Wir sehnen uns danach, so sehr, dass es fast wehtut. Und damit sind wir nicht allein, „die ganze Schöpfung seufzt mit uns“. Dieser Satz klingt dann wirklich so, als wäre er extra für uns heute geschrie- ben: „die ganze Schöpfung seufzt”, Tiere sind eingesperrt, der Wald vertrocknet, die Meere sind voll Plastikmüll. Und jetzt auch noch Corona, weltweit mit unabseh- baren Folgen. Eine Situation, die sprach- los macht. Paulus schreibt: „… wir wissen nicht, wie wir beten sollen“. »Hoffnung ist ein Geschenk. Sie öffnet sich, wenn du dich ihr öffnest. Und im Grunde ist sie schon in dir.« Doch so düster das klingt, genau da- mit trifft der Apostel den Nerv. Seine Leute fühlen sich verstanden. Es ist eine realis- tische Haltung. Gut geerdet. Und diese Hoffnungsschritte, mit Erde an den Füßen, sind anders als die Strategien, die man sonst beobachten kann in Krisenzeiten. Zum Beispiel vertrösten: Erst im Him- mel wird es besser. Hier auf dieser Welt müsst ihr ertragen, was euch quält – ge- duldig bleiben, still halten, nichts ändern. Da wird die Hoffnung zum Ersatz für das Handeln, der Glaube zu einer Droge. Oder abwiegeln und schönreden: Du musst immer alles positiv sehen. Das Glas ist halb voll! Alles halb so schlimm. Es lohnt nicht, sich aufzuregen. Also sei schlau und genieß das Leben. Oder resignieren: Du kannst sowieso nichts tun, du bist viel zu schwach. Auf dich kommt es jetzt auch nicht mehr an. Es kommt, wie es kommen muss, ist halt Schicksal. Oder Panik: Das Ende steht vor der Tür. Wenn wir der Klimakatastrophe ent- kommen wollen, müssen alle sofort alles anders machen. Wir haben noch drei Jah- re, dann ist es vorbei. Christliche Hoffnung ist anders. Sie lässt sich nicht machen, einerseits. Sie ist ein Geschenk. Sie öffnet sich dir, wenn du dich ihr öffnest. Eigentlich ist sie schon in dir und in uns allen. Sie gehört zur Ausstat- 8 blick in die kirche | MAGAZIN | April 2020 tung für alle Lebewesen, ein Geschenk von dem, der das Leben schenkt. Alles, was at- met, will leben. Alles was lebt, will es gut haben. Also reiben wir uns an dem, was schmerzt. Wir werden aktiv. Zupacken ist die andere Seite der Hoffnung. Wir sehen, was das Leben bedroht, und kämpfen. Was krank macht und den Tod bringt, neh- men wir nicht hin. Wir hören auf einan- der, entwickeln Ideen, finden neue Wege. Und dabei macht die Hoffnung uns stark, setzt ungeahnte Kräfte frei, führt über uns selbst hinaus, verbindet uns mit anderen. Also hoffen wir: Corona ist stark, aber zusammen sind wir stärker; gerade da- durch, dass wir bewusst auf Abstand ge- hen – eine Zeitlang. Also hoffst du: Die Veranlagung für Krebs hast du geerbt, aber du musst ihn nicht bekommen. Du lebst gesund. Und du wirst alles tun, wenn er sich meldet. Also hoffe ich: Dass unser Glaube neu lebendig wird, dass durch unsere Kirche ein Ruck geht und wir etwas beitragen für ein neues Zusammenleben im Land. Dass der Hass wieder verschwindet, dass einzelne nicht abdriften und zu Gewalttä- tern werden. Also hoffen wir: Dass wir es schaffen, die Klimawende zu wenden, oder sie zu entschärfen. Weil wir wissen, es kommt auf jedes halbe Grad an. Ich hoffe, wir hoffen. Ich hoffe, wir geben nie auf. Wir bleiben geduldig und ungeduldig. Zäh und agil. Das deutsche Wort „hoffen“ ist ver- wandt mit dem Wort „hüpfen“. Wer hofft, kann auch mal die Gangart wechseln, das Schwere leicht nehmen. Hoffen hält jung. Das Wort „hoffen“ hört sich auch an wie „offen“. Wer hofft verschließt sich nicht. Hoffnung weiß, dass es immer etwas zu verbessern gibt, und trotzdem die Welt nie perfekt wird. Die Erde wird nie das Pa- radies sein. Wer „auf Teufel komm raus“ eine heile Welt bauen will, wird zwar die Teufel heraus locken aber damit das Para- dies umso mehr verschließen. Also: Halten wir es lieber offen. Und hoffen. Das Beste kommt noch. So schreibt es auch Paulus: „Wir wissen aber, dass denen, die Gott lie- ben, alle Dinge zum Besten dienen.“ ● Helmut Wöllenstein, Propst des Sprengels Marburg