Nähe und Distanz Nähe gilt als ein wichtiges Merkmal einer guten Bezie- hung, und der Wunsch nach Nähe und Verbundenheit kennzeichnet die meisten Partnerschaften. Gefühle und Erfahrungen von Distanz hingegen lösen nicht selten Verunsicherungen aus, besonders dann, wenn sie als Gegensatz zuvor gelebter Nähe empfunden werden. Mit verschränkten Armen sitzt Herr K. bei mir im Beratungszimmer neben seiner Partnerin, die ihm vorwirft, sich innerlich schon getrennt zu haben und nach fünf Jahren des Zusam- menlebens nichts mehr für die Beziehung zu tun, nur noch seine eigenen Interessen zu verfolgen. „Ich möchte lediglich einmal mit meinen Freunden zusammen eine Wo- che Urlaub machen, alleine. Keiner nimmt seine Frau mit, das wäre auch eine völlig andere Sache. Es sollte doch mal möglich sein, so etwas zu tun!“, verteidigt er sich. „Mal? Du bist doch jede Woche mindes- tens einmal alleine ohne mich unterwegs mit deinen Freunden, machst zusätzlich noch Sport oder sonst etwas.“ Frau S. sieht ihre Beziehung durch die Aktivitäten und Pläne des Partners be- droht, sie fühlt sich ausgeschlossen und abgelehnt. Bestätigt durch die inzwischen häufigen Streitigkeiten wächst ihre Angst, den Freund zu verlieren. „Mittlerweile denke ich manchmal wirklich daran, ob es nicht besser ist, wenn wir uns trennen. Den Stress halte ich nicht mehr lange aus.“ Mit dieser Eröffnung beschreibt Herr K. den Kreislauf, der zunehmend ihre Zweisam- keit bestimmt. Je mehr Frau S. die Wün- sche ihres Freundes bekämpft, einen Teil seiner Freizeit auch ohne sie zu verbringen, desto stärker verteidigt er dieses Bedürfnis. Je mehr er sich abgrenzt, desto größer wer- den ihre Vorhaltungen. Herr K. hält seine Freundin auf Dis- tanz, die mit viel Kraft versucht, die vor- mals vorhandene Nähe zu verteidigen. Von mir gefragt, was sie glaubt, warum Herr K. anders als zu Beginn ihrer Liebesbeziehung auch Zeiten ohne sie verbringen möchte, äußert Frau S. die Vermutung, dass es ihm langweilig mit ihr sei und er insgeheim auf der Suche nach einer neuen Partnerin wä- re. Für Herrn K. ist dieser Gedanke seiner Freundin nicht neu: „Wie oft soll ich es dir noch sagen, dass ich dich nicht langweilig finde, aber dass mir meine Freunde auch wichtig sind und ich manchmal gerne Din- ge tue, an denen du keine Freude hast!“ In den weite- ren Gesprächen zeigt sich, dass Frau S.‘ Vorstel- lung, möglichst d i e g e s a m t e Freizeit mit ih- rem Freund zu verbringen auch d a m i t z u t u n hat, dass sie im Gegensatz zu ihm keine eigenen Interessen und Freund- schaften pflegt. Aus der Sorge heraus, dass für die Partnerschaft dann gar keine Zeit mehr bliebe und sie sich unweigerlich voneinander entfernten, sah sie bislang keinen Raum für Eigenes. „Im Gegenteil, mich würde das sehr erleichtern, wenn du auch mal etwas für dich ohne mich ma- chen würdest. Außerdem denke ich, dass wir einander mehr zu erzählen hätten“, er- muntert Herr K. seine Partnerin zu mehr Eigenständigkeit. Es dauert noch eine Zeit, bis das Paar zu einer gemeinsamen Balance findet. Frau S. gesteht sich ein, dass das Zusam- RATGEBER RATGEBER k n a m m i S / v t . o d e m i : o t o F Frank Harries, Dipl.-Psychologe und Psychotherapeut, leitet die Psychologische Beratungsstelle für Paar-, Familien- und Lebens- beratung des Diakonischen Werks Marburg-Biedenkopf T 06421 27888 www.dw-marburg-biedenkopf.de k c o t S e b o d A : o t o F mensein mit Herrn K. auch deswegen für sie so wichtig war, weil sie sich ohne Herrn K. in Gesellschaft mit anderen unsicher fühlt: „Jetzt versuche ich, selbst aktiv zu werden, wenn er mal weg ist.“ Ihr Freund hingegen hat verstanden, dass es seiner Partnerin wichtig ist, wenn er sich neben den Aktivitäten mit Freunden auch für ihre gemeinsame Freizeit engagiert. Auch das trägt für Frau S. zur positiven Veränderung bei und sie resümiert: „Anstatt nur sauer zu sein, dass er wieder mal weg ist, kann ich mich immer öfter freuen, wenn er wie- derkommt.“ Man kann sich eben nur dann wieder näherkommen, wenn man mal weg gewesen ist. ● blick in die kirche | MAGAZIN | November 2020 13