Bischof Prof. Dr. Martin Hein stellte sich den Fragen von Medienhausleiter Pfarrer Christian Fischer am 23.04.2015 in Morschen.
Fischer: Herr Bischof, die Synode setzt bei Ihrer Frühjahrssynode einen Schwerpunkt bei dem Thema «Volkskirche». Was macht aus Ihrer Sicht eine Volkskirche aus?
Bischof Hein: Eine Volkskirche ist eine Kirche, die mitten in der Gesellschaft leben will und die sich nicht zurückzieht in eine Nische. Volkskirche ist ein qualitativer Begriff, der auch den Öffentlichkeitsanspruch des Evangeliums deutlich macht. Volkskirche ist aber nicht ein Begriff der Zahlen. Das heißt also, die Größe der Kirche ist nicht entscheidend für die Frage, ob wir eine Volkskirche oder ob wir keine Volkskirche sind. Auch eine Minderheitskirche kann Volkskirche sein, weil sie sich mit dem, was sie zu sagen hat, an alle Menschen richtet.
Fischer: In dem Begriff Volkskirche werden zwei Begriffe miteinander verbunden: Volk und Kirche. Wie würden Sie das Verhältnis beschreiben zwischen Volk und Kirche?
Bischof Hein: Zunächst einmal muss man sagen, dass das Wort Volkskirche im Grunde nur im Deutschen existiert. Das hat sich im 19. Jahrhundert entwickelt. In anderen Ländern ist dieses Wort eher unbekannt oder mit einem ganz anderen Verständnis verbunden. Lange Zeit hat man ja vom «Kirchenvolk» gesprochen, also von denen, die sich vom Evangelium haben erfassen lassen, die im Glauben an Jesus Christus vereint sind. Das tritt allmählich in unserer Gesellschaft stärker auseinander. Bisher haben wir noch in der Religionsstatistik etwa ein Drittel Katholiken, ein Drittel Protestanten und ein Drittel Menschen, die explizit keiner christlichen Kirche mehr angehören. Leider muss ich sagen, dass dieser Anteil wächst. Das heißt also, Volk und Kirche sind, was die Mitglieder angeht, nicht mehr deckungsgleich. Aber auch eine kleiner werdende Kirche kann wie die Hefe im Sauerteig wirken, um ein Bild Jesu aufzunehmen, und damit große Wirkungen erzielen. Mir ist wegen der abnehmenden Zahlen nicht bange, auch wenn ich sie sehr ernst nehme.
Fischer: Das ist der Blick auf die Zahlen, werfen wir einen Blick auf die inhaltliche Ausrichtung. Wie weit ist die Kirche von ihrem Volk entfernt?
Bischof Hein: Es hat ja den Eindruck, als würde in unserer Gesellschaft die Frage nach der religiösen Orientierung und nach dem eigenen Glauben keine Rolle mehr spielen. Das ist nur in Maßen richtig. Wir haben eine ganze Anzahl von Menschen, die einer bestimmten Religion angehören und die es auch nach außen zeigen. Etwa im Islam. Das ist eine Fragestellung, die unsere Gesellschaft zunehmend beschäftigen wird. Und wir haben verdeckt unter vielen, vielen anderen Ausdrucksformen und Verhaltensweisen auch die Frage nach dem, was dem eigenen Leben Richtung, Halt und Sinn gibt. Die Sinnfrage wird meines Erachtens gegenwärtig stark überspielt durch eine Fülle von unterschiedlichen Angeboten, die kurzfristig wirken, aber sie lebt verborgen weiter. Da werden wir als Kirche verstärkt anknüpfen müssen. Wir stehen für eine Hoffnung, die stärker ist als der Tod, und das muss man in der gegenwärtigen Welt laut sagen.
Fischer: Was kann die Kirche noch tun, um an diese Strömungen anzuknüpfen?
Bischof Hein: Wir dürfen uns nicht dauernd zerreiben an den sogenannten Strukturfragen oder an der Frage, wie wir die Kirche als Organisation aufrechterhalten können. Das sind nachgeordnete Fragestellungen. Und es geht in der Kirche auch nicht ständig um Geld. Damit gewinnen wir keine Attraktivität nach außen, sondern wir müssen da anfangen, wo wir gegebene Orte haben - etwa in der Schule oder Diakonie. Ich habe jetzt wieder mehr Berufsschulen besucht, da wurde ganz deutlich von den Schulleitungen gesagt, wie wichtig es ist, dass es Schulseelsorge in diesen Schulen gibt. Wir haben ganz viele Felder, auf denen wir weiterhin gut spielen können, auch im Bereich der Kirchenmusik, z.B. der Gospelchöre. Wir haben auch ein starkes Engagement im Konfirmandenunterricht. Über 90 Prozent aller evangelischen Jugendlichen lassen sich konfirmieren. Also es besteht gar kein Grund, den Kopf in den Sand zu stecken.
Fischer: Und was können Sie als Bischof konkret dazu beitragen, dass die Kirche hier richtig Fahrt aufnimmt?
Bischof Hein: Sofern es in meiner Macht steht, kann ich versuchen zu begeistern. Wir haben Antworten auf viele Lebensprobleme unserer Gesellschaft. Wir müssen uns als Kirche nicht verstecken, sondern wir können offensiv auftreten. Das versuche ich in der Öffentlichkeit zu tun.
Fischer: Auf dieser Synode geht es auch um ein sehr ernstes Thema: Es wird eine Stellungnahme vorbereitet zur Diskussion um die Beihilfe zur Selbsttötung. Warum ist dieses Thema zurzeit für Sie so drängend?
Bischof Hein: Das Thema ist für mich drängend, weil es sich seit zwei Jahren in den Vordergrund der öffentlichen Diskussion gedrängt hat. Kaum eine Talkshow, bei der dieses Thema nicht verhandelt wird. Es schein um etwas zu gehen, das gegenwärtig in unserer deutschen Gesellschaft ganz wichtig ist, nämlich um die Frage der Selbstbestimmung des eigenen Lebens. Dass das Ganze auch mit einer Entsolidarisierung einhergeht, wird oft übersehen. Deswegen meine ich, wir sollten als Kirchen hier unsere Position verständlich und nachdenklich ins Gespräch bringen. Schon seit einiger Zeit engagiere ich mich nicht nur für eine klare Position zu der Frage des assistierten Suizids, sondern vor allem, um positive Alternativen deutlich zu machen. Die bestehen etwa in der Palliativmedizin, der Hospizbetreuung, aber auch der intensiven Seelsorge und der eigenen Beschäftigung mit dem Tod. Die Kirche lebt im Kern aus der Frage nach Tod und Leben, nämlich des Todes Jesu und seiner Auferstehung. Daher haben wir eine ganze Menge auch im Blick auf das Sterben von Menschen zu sagen.
Fischer: Was erhoffen Sie sich ganz konkret von dieser Stellungnahme und wohin soll das Signal gehen?
Bischof Hein: Der Bundestag wird sich in diesem Sommer und Herbst mit dieser Frage eingehend beschäftigen. Es liegen verschiedene Gesetzentwürfe vor. Wir möchten unseren Beitrag zu einer Urteilsbildung und der Entscheidungsfindung geben. Die Verlautbarung richtet sich an die Bundestagsabgeordneten, aber natürlich auch an die interessierte Öffentlichkeit. Damit man weiß, was in diesem Zusammenhang die Synode der Evangelischen Kirche von Kurhessen-Waldeck denkt. Es ist ein Beitrag neben anderen, aber ich wünsche mir, dass er gehört wird.
Fischer: Herr Bischof, vielen Dank für das Gespräch!
(23.04.2015)
Nachgefragt...

Bischof Prof. Dr. Martin Hein stellte sich den Fragen von Medienhausleiter Pfarrer Christian Fischer am 23.04.2015 in Morschen.
Fischer: Herr Bischof, die Synode setzt bei Ihrer Frühjahrssynode einen Schwerpunkt bei dem Thema «Volkskirche». Was macht aus Ihrer Sicht eine Volkskirche aus?
Bischof Hein: Eine Volkskirche ist eine Kirche, die mitten in der Gesellschaft leben will und die sich nicht zurückzieht in eine Nische. Volkskirche ist ein qualitativer Begriff, der auch den Öffentlichkeitsanspruch des Evangeliums deutlich macht. Volkskirche ist aber nicht ein Begriff der Zahlen. Das heißt also, die Größe der Kirche ist nicht entscheidend für die Frage, ob wir eine Volkskirche oder ob wir keine Volkskirche sind. Auch eine Minderheitskirche kann Volkskirche sein, weil sie sich mit dem, was sie zu sagen hat, an alle Menschen richtet.
Fischer: In dem Begriff Volkskirche werden zwei Begriffe miteinander verbunden: Volk und Kirche. Wie würden Sie das Verhältnis beschreiben zwischen Volk und Kirche?
Bischof Hein: Zunächst einmal muss man sagen, dass das Wort Volkskirche im Grunde nur im Deutschen existiert. Das hat sich im 19. Jahrhundert entwickelt. In anderen Ländern ist dieses Wort eher unbekannt oder mit einem ganz anderen Verständnis verbunden. Lange Zeit hat man ja vom «Kirchenvolk» gesprochen, also von denen, die sich vom Evangelium haben erfassen lassen, die im Glauben an Jesus Christus vereint sind. Das tritt allmählich in unserer Gesellschaft stärker auseinander. Bisher haben wir noch in der Religionsstatistik etwa ein Drittel Katholiken, ein Drittel Protestanten und ein Drittel Menschen, die explizit keiner christlichen Kirche mehr angehören. Leider muss ich sagen, dass dieser Anteil wächst. Das heißt also, Volk und Kirche sind, was die Mitglieder angeht, nicht mehr deckungsgleich. Aber auch eine kleiner werdende Kirche kann wie die Hefe im Sauerteig wirken, um ein Bild Jesu aufzunehmen, und damit große Wirkungen erzielen. Mir ist wegen der abnehmenden Zahlen nicht bange, auch wenn ich sie sehr ernst nehme.
Fischer: Das ist der Blick auf die Zahlen, werfen wir einen Blick auf die inhaltliche Ausrichtung. Wie weit ist die Kirche von ihrem Volk entfernt?
Bischof Hein: Es hat ja den Eindruck, als würde in unserer Gesellschaft die Frage nach der religiösen Orientierung und nach dem eigenen Glauben keine Rolle mehr spielen. Das ist nur in Maßen richtig. Wir haben eine ganze Anzahl von Menschen, die einer bestimmten Religion angehören und die es auch nach außen zeigen. Etwa im Islam. Das ist eine Fragestellung, die unsere Gesellschaft zunehmend beschäftigen wird. Und wir haben verdeckt unter vielen, vielen anderen Ausdrucksformen und Verhaltensweisen auch die Frage nach dem, was dem eigenen Leben Richtung, Halt und Sinn gibt. Die Sinnfrage wird meines Erachtens gegenwärtig stark überspielt durch eine Fülle von unterschiedlichen Angeboten, die kurzfristig wirken, aber sie lebt verborgen weiter. Da werden wir als Kirche verstärkt anknüpfen müssen. Wir stehen für eine Hoffnung, die stärker ist als der Tod, und das muss man in der gegenwärtigen Welt laut sagen.
Fischer: Was kann die Kirche noch tun, um an diese Strömungen anzuknüpfen?
Bischof Hein: Wir dürfen uns nicht dauernd zerreiben an den sogenannten Strukturfragen oder an der Frage, wie wir die Kirche als Organisation aufrechterhalten können. Das sind nachgeordnete Fragestellungen. Und es geht in der Kirche auch nicht ständig um Geld. Damit gewinnen wir keine Attraktivität nach außen, sondern wir müssen da anfangen, wo wir gegebene Orte haben - etwa in der Schule oder Diakonie. Ich habe jetzt wieder mehr Berufsschulen besucht, da wurde ganz deutlich von den Schulleitungen gesagt, wie wichtig es ist, dass es Schulseelsorge in diesen Schulen gibt. Wir haben ganz viele Felder, auf denen wir weiterhin gut spielen können, auch im Bereich der Kirchenmusik, z.B. der Gospelchöre. Wir haben auch ein starkes Engagement im Konfirmandenunterricht. Über 90 Prozent aller evangelischen Jugendlichen lassen sich konfirmieren. Also es besteht gar kein Grund, den Kopf in den Sand zu stecken.
Fischer: Und was können Sie als Bischof konkret dazu beitragen, dass die Kirche hier richtig Fahrt aufnimmt?
Bischof Hein: Sofern es in meiner Macht steht, kann ich versuchen zu begeistern. Wir haben Antworten auf viele Lebensprobleme unserer Gesellschaft. Wir müssen uns als Kirche nicht verstecken, sondern wir können offensiv auftreten. Das versuche ich in der Öffentlichkeit zu tun.
Fischer: Auf dieser Synode geht es auch um ein sehr ernstes Thema: Es wird eine Stellungnahme vorbereitet zur Diskussion um die Beihilfe zur Selbsttötung. Warum ist dieses Thema zurzeit für Sie so drängend?
Bischof Hein: Das Thema ist für mich drängend, weil es sich seit zwei Jahren in den Vordergrund der öffentlichen Diskussion gedrängt hat. Kaum eine Talkshow, bei der dieses Thema nicht verhandelt wird. Es schein um etwas zu gehen, das gegenwärtig in unserer deutschen Gesellschaft ganz wichtig ist, nämlich um die Frage der Selbstbestimmung des eigenen Lebens. Dass das Ganze auch mit einer Entsolidarisierung einhergeht, wird oft übersehen. Deswegen meine ich, wir sollten als Kirchen hier unsere Position verständlich und nachdenklich ins Gespräch bringen. Schon seit einiger Zeit engagiere ich mich nicht nur für eine klare Position zu der Frage des assistierten Suizids, sondern vor allem, um positive Alternativen deutlich zu machen. Die bestehen etwa in der Palliativmedizin, der Hospizbetreuung, aber auch der intensiven Seelsorge und der eigenen Beschäftigung mit dem Tod. Die Kirche lebt im Kern aus der Frage nach Tod und Leben, nämlich des Todes Jesu und seiner Auferstehung. Daher haben wir eine ganze Menge auch im Blick auf das Sterben von Menschen zu sagen.
Fischer: Was erhoffen Sie sich ganz konkret von dieser Stellungnahme und wohin soll das Signal gehen?
Bischof Hein: Der Bundestag wird sich in diesem Sommer und Herbst mit dieser Frage eingehend beschäftigen. Es liegen verschiedene Gesetzentwürfe vor. Wir möchten unseren Beitrag zu einer Urteilsbildung und der Entscheidungsfindung geben. Die Verlautbarung richtet sich an die Bundestagsabgeordneten, aber natürlich auch an die interessierte Öffentlichkeit. Damit man weiß, was in diesem Zusammenhang die Synode der Evangelischen Kirche von Kurhessen-Waldeck denkt. Es ist ein Beitrag neben anderen, aber ich wünsche mir, dass er gehört wird.
Fischer: Herr Bischof, vielen Dank für das Gespräch!
(23.04.2015)