Kassel. Von Konfigruppen, Kindergottesdienst, Öffentlichkeitsarbeit bis hin zu einer zentralen Planung von Bestattungen: Mit gemeinsamer Arbeit kann man auch mit weniger Menschen gute Arbeit vor Ort gewährleisten. Pfarrer Joachim Baier schildert am Beispiel des Kooperationsraums Kassel-Mitte, was sich bewährt hat, welches Potenzial es noch gibt und wo der Kooperationsgedanke vielleicht auch an seine Grenzen stößt.
Warum haben wir im Kooperationsraum Kassel-Mitte (fünf Kirchengemeinden, acht Predigtstätten, rechnerisch 8,0 Stellen, zehn Kolleg:innen) gerade jetzt aus ehemals fünf gemeindlichen Konfigruppen drei Gruppen gebildet, bei denen die Parochiegrenzen keine dominante Rolle mehr spielen? Warum haben wir gerade jetzt unsere einzelnen kleinen Kindergottesdienste eingestellt zugunsten eines zentralen gemeinsamen Angebots? Warum planen wir gerade jetzt, Hinterbliebene in einem Trauerfall nach ihrer Wunsch-Pfarrerin zu fragen und ansonsten nach Liste zu bestatten, so dass Arbeitswochen mit drei oder vier Bestattungen der Vergangenheit angehören werden?
Diese Beispielreihe ließe sich verlängern (gemeinsame Sekretärin, die sich ihr zentrales Büro mit der Verwaltungsassistenz teilen wird, ab 2024; gemeinsame Website und Gemeindebrief in Planung; gemeinsames Gremium, das den Kooperationsrat erweitert etc.). Und die Reihe hat zwei signifikante Grenzen: Im Blick auf Gottesdienste und auf Gebäude gibt es - von Himmelfahrt, Michaelis und dem Reformationsfest abgesehen - nahezu keine Kooperation.
Was hat es uns ermöglicht, unsere Kooperation zu intensivieren? Drei Hauptgründe: Erstens gab es Kooperation ja schon immer, etwa gemeinsame Konfiarbeit zwischen zwei Gemeinden oder einen gemeinsamen Gemeindebrief von drei Gemeinden. Insofern war hier der Boden für eine Erweiterung bereitet. Zweitens bietet sich unser Kooperationsraum für eine Zusammenarbeit an, weil er sich mit sozialräumlichen Strukturen im zentralen Kasseler Süden und Westen deckt und durch ausgedehnte Park- und Gleisanlagen klar abgegrenzt ist. Drittens - und das scheint mir das wichtigste und zugleich das am schwersten greifbare - passt es im kollegialen Miteinander. Darauf möchte ich näher eingehen.
Wir waren gerade (Anfang Juni 2023) zum zweiten Mal auf einer dreitägigen Kollegiumsklausur in Germerode; der Dekan hat uns dafür freigestellt. Die Tagesordnung geben wir uns selbst; die Moderation der einzelnen Punkte wechselt gleichberechtigt. Außerdem kochen wir miteinander, feiern Andacht und sitzen abends in lockerer Runde zusammen. Was hier wächst, ist ein Vertrauen, das sich auf die Kooperation wesentlich auswirken dürfte. Zum einen gibt es keine «roten Linien» - jedenfalls sind bisher Sätze wie «In meiner Gemeinde muss aber...» weder ausgesprochen noch subtil eingebracht worden. Zum anderen bauen wir Verlustängste ab: Es ist keine Niederlage, wenn Kollegin A aus Gemeinde B Konfis unterrichtet, die - nach alter Denkungsart - zu «meiner» Gemeinde gehören.
Im vergangenen September haben wir das Thema unserer «Kooperation» bei einem Pfarrkonvent verhandelt. Zwar gab es nominell zwei Konventshalter, faktisch waren aber alle Kolleg:innen des Kooperationsraums aktiv, haben Impulse vorgetragen, als Gastgeber:innen im Rahmen der World-Café-Methode fungiert - und wir haben gemeinsam profitiert vom Feedback des gesamten Konvents: Es war ein Gewinn, uns auch in diesem Format in der Zusammenarbeit zu erleben und die Brainpower von 50 Kolleg:innen für ebendiese Zusammenarbeit zu nutzen.
Was ich insgesamt spüre, ist eine Lust an der Selbstwirksamkeit: Es Spaß macht, Dinge selbst in die Hand zu nehmen, vorzudenken und umzusetzen. Diese Energie konnten wir bisher auch gut auf unsere KVs übertragen. Die Zustimmung zu den einzelnen Feldern der Zusammenarbeit (Konfis, Kigos, Bestattungen, Verwaltung...) zu gewinnen, wurde in keiner der beteiligten Gemeinden als mühsam erlebt.
Was für mich offen bleibt, sind die ganz heißen Eisen: Gottesdienste, Gebäude, Standorte. Wir werden absehbar nicht alle Kirchen halten und nicht alle Standorte regelmäßig bespielen können. Beginnt dann bei uns Kolleg:innen und/oder bei den KVs das Besitzstandsdenken, das wir auf anderen Feldern überwinden konnten? Ist es feige, dass wir uns diesen Fragen bisher nicht zugewendet haben? Oder ist es klug, erst einmal mit dem zu beginnen, was geht und Lust macht und so den Boden bereitet für mehr? (28.06.2023)
Potenzial im Kooperationsraummodell - ein Erfahrungsbericht
Von wachsendem Vertrauen und schwindenden Verlustängsten

Kassel. Von Konfigruppen, Kindergottesdienst, Öffentlichkeitsarbeit bis hin zu einer zentralen Planung von Bestattungen: Mit gemeinsamer Arbeit kann man auch mit weniger Menschen gute Arbeit vor Ort gewährleisten. Pfarrer Joachim Baier schildert am Beispiel des Kooperationsraums Kassel-Mitte, was sich bewährt hat, welches Potenzial es noch gibt und wo der Kooperationsgedanke vielleicht auch an seine Grenzen stößt.
Warum haben wir im Kooperationsraum Kassel-Mitte (fünf Kirchengemeinden, acht Predigtstätten, rechnerisch 8,0 Stellen, zehn Kolleg:innen) gerade jetzt aus ehemals fünf gemeindlichen Konfigruppen drei Gruppen gebildet, bei denen die Parochiegrenzen keine dominante Rolle mehr spielen? Warum haben wir gerade jetzt unsere einzelnen kleinen Kindergottesdienste eingestellt zugunsten eines zentralen gemeinsamen Angebots? Warum planen wir gerade jetzt, Hinterbliebene in einem Trauerfall nach ihrer Wunsch-Pfarrerin zu fragen und ansonsten nach Liste zu bestatten, so dass Arbeitswochen mit drei oder vier Bestattungen der Vergangenheit angehören werden?
Diese Beispielreihe ließe sich verlängern (gemeinsame Sekretärin, die sich ihr zentrales Büro mit der Verwaltungsassistenz teilen wird, ab 2024; gemeinsame Website und Gemeindebrief in Planung; gemeinsames Gremium, das den Kooperationsrat erweitert etc.). Und die Reihe hat zwei signifikante Grenzen: Im Blick auf Gottesdienste und auf Gebäude gibt es - von Himmelfahrt, Michaelis und dem Reformationsfest abgesehen - nahezu keine Kooperation.
Was hat es uns ermöglicht, unsere Kooperation zu intensivieren? Drei Hauptgründe: Erstens gab es Kooperation ja schon immer, etwa gemeinsame Konfiarbeit zwischen zwei Gemeinden oder einen gemeinsamen Gemeindebrief von drei Gemeinden. Insofern war hier der Boden für eine Erweiterung bereitet. Zweitens bietet sich unser Kooperationsraum für eine Zusammenarbeit an, weil er sich mit sozialräumlichen Strukturen im zentralen Kasseler Süden und Westen deckt und durch ausgedehnte Park- und Gleisanlagen klar abgegrenzt ist. Drittens - und das scheint mir das wichtigste und zugleich das am schwersten greifbare - passt es im kollegialen Miteinander. Darauf möchte ich näher eingehen.
Wir waren gerade (Anfang Juni 2023) zum zweiten Mal auf einer dreitägigen Kollegiumsklausur in Germerode; der Dekan hat uns dafür freigestellt. Die Tagesordnung geben wir uns selbst; die Moderation der einzelnen Punkte wechselt gleichberechtigt. Außerdem kochen wir miteinander, feiern Andacht und sitzen abends in lockerer Runde zusammen. Was hier wächst, ist ein Vertrauen, das sich auf die Kooperation wesentlich auswirken dürfte. Zum einen gibt es keine «roten Linien» - jedenfalls sind bisher Sätze wie «In meiner Gemeinde muss aber...» weder ausgesprochen noch subtil eingebracht worden. Zum anderen bauen wir Verlustängste ab: Es ist keine Niederlage, wenn Kollegin A aus Gemeinde B Konfis unterrichtet, die - nach alter Denkungsart - zu «meiner» Gemeinde gehören.
Im vergangenen September haben wir das Thema unserer «Kooperation» bei einem Pfarrkonvent verhandelt. Zwar gab es nominell zwei Konventshalter, faktisch waren aber alle Kolleg:innen des Kooperationsraums aktiv, haben Impulse vorgetragen, als Gastgeber:innen im Rahmen der World-Café-Methode fungiert - und wir haben gemeinsam profitiert vom Feedback des gesamten Konvents: Es war ein Gewinn, uns auch in diesem Format in der Zusammenarbeit zu erleben und die Brainpower von 50 Kolleg:innen für ebendiese Zusammenarbeit zu nutzen.
Was ich insgesamt spüre, ist eine Lust an der Selbstwirksamkeit: Es Spaß macht, Dinge selbst in die Hand zu nehmen, vorzudenken und umzusetzen. Diese Energie konnten wir bisher auch gut auf unsere KVs übertragen. Die Zustimmung zu den einzelnen Feldern der Zusammenarbeit (Konfis, Kigos, Bestattungen, Verwaltung...) zu gewinnen, wurde in keiner der beteiligten Gemeinden als mühsam erlebt.
Was für mich offen bleibt, sind die ganz heißen Eisen: Gottesdienste, Gebäude, Standorte. Wir werden absehbar nicht alle Kirchen halten und nicht alle Standorte regelmäßig bespielen können. Beginnt dann bei uns Kolleg:innen und/oder bei den KVs das Besitzstandsdenken, das wir auf anderen Feldern überwinden konnten? Ist es feige, dass wir uns diesen Fragen bisher nicht zugewendet haben? Oder ist es klug, erst einmal mit dem zu beginnen, was geht und Lust macht und so den Boden bereitet für mehr? (28.06.2023)