Dekan Christian Wachter und die ehemalige Prälatin Marita Natt mit der Skulptur von Landgraf Philipp auf dem Paradeplatz in Ziegenhain. (Foto: medio.tv/Dellit)

Dekan Christian Wachter und die ehemalige Prälatin Marita Natt mit der Skulptur von Landgraf Philipp auf dem Paradeplatz in Ziegenhain. (Foto: medio.tv/Dellit)

Redaktion ekkw.de
Veröffentlicht 18 Okt 2023

Da steht er nun vor der Schlosskirche Ziegenhain, blickt auf den leeren Paradeplatz und hält ein Dokument in der Hand: Landgraf Philipp, genannt «der Großmütige». Als Bronzestatue trotzt er, mehr als 500 Jahre nach seiner Geburt, Wind und Wetter. Doch der Landgraf wird nicht alleine bleiben, denn bis zum kommenden Jahr sollen fünf Skulpturen Platz finden. Olaf Dellit, Redakteur im Medienhaus der EKKW, hat mit Dekan Christian Wachter und der ehemaligen Prälatin Marita Natt vom Vorstand des Vereins zur Förderung der Konfirmationsstadt gesprochen, der hinter den Plänen steckt.

Schwalmstadt-Ziegenhain. Das Dokument, das die landgräfliche Skulptur in der Hand hält, trägt den uns heute merkwürdig klingenden Namen «Ziegenhainer Zuchtordnung» und ist gewissermaßen die Geburtsurkunde der Konfirmation, wie sie evangelische Christen rund um den Globus feiern. «Die Konfirmation ist unser Geschenk an die Welt», sagt deswegen auch Marita Natt. 

Die ersten Jahrzehnte des 16. Jahrhunderts waren eine unruhige Zeit. Heute kann man sich kaum noch vorstellen, welche Wucht der Konflikt mit den Täufern hatte. Diese Gruppe, die Wurzeln unter anderem in der Schweiz hatte, kämpfte für die Erwachsenentaufe und argumentierte, Kinder könnten noch kein Bekenntnis zum Glauben abgeben. Die Täufer wurden bekämpft und verfolgt. Bekannt sind die «Wiedertäufer-Käfige», die bis heute an der Lambertikirche in Münster hängen. Dort waren Anführer eines Täuferreichs nach ihrer Exekution zur Schau gestellt worden, das zuvor dort jahrelang und zunehmend radikal und gewalttätig bestanden hatte. Auch in anderen Orten wurden Täufer hingerichtet. 

Der «großmütige» Landgraf ging einen anderen Weg. Die Frage der Kindertaufe war nicht nur eine religiöse, sondern auch eine politische – ohnehin waren diese Bereiche in der Zeit schwer zu trennen. Unter anderem im Bereich Hersfeld und in Gemünden, erläutert Dekan Wachter, gab es auch hierzulande starke Täuferbewegungen. Doch Landgraf Philipp wollte die politische Stärke seines Reichs und des Schmalkadischen Bundes, einer Allianz protestantischer Fürstentümer, nicht durch solche Streitereien gefährden und suchte nach einem Kompromiss.  Als theologischen Ratgeber holte er den Reformator Martin Bucer (1491-1551) mit ins Boot, der die besagte Ziegenhainer Zuchtordnung entwarf.

Und darin war die Konfirmation festgeschrieben. Es blieb also bei der Kindertaufe, zugleich bestätigten (lateinisch= confirmare) junge Leute an der Schwelle zum Erwachsenenwerden die Entscheidung für den Glauben und ihre Kirche. Der Kompromiss funktionierte und er lebt bis heute fort. Auch heute sei die Konfirmation noch eine wichtige Schwelle auf dem Lebensweg, wenngleich 14-Jährige nicht mehr als Erwachsene gelten, sagen Natt und Wachter. «Es ist ein prägendes Ereignis», berichtet der Dekan. Und die ehemalige Prälatin berichtet von Konfirmationsjubiläen, wie wichtig den Jubilaren und Jubilarinnen rückblickend die Konfirmation sei. Vielen sei ihr Konfirmationsspruch noch Jahrzehnte später im Gedächtnis und bedeutsam. 

Die Stadt Schwalmstadt, zu der Ziegenhain gehört, trägt den Namen Konfirmationsstadt und wirbt mit dieser besonderen Geschichte. Der Titel steht auch auf den Ortsschildern. Der Verein zu deren Förderung mit seinen 80 Mitgliedern will die Historie mit den Statuen sichtbar machen. Und so wird der Landgraf noch vor Weihnachten Gesellschaft bekommen, am 3. Advent – dann ist auf dem Paradeplatz Weihnachtsmarkt – soll die neue Statue enthüllt werden. Philipp der Großmütige wird dann etwas zu Gesicht bekommen, was zu seinen Lebzeiten undenkbar war: eine Pfarrerin.

«Wir wollten eine Brücke zur Neuzeit schlagen», erläutert Marita Natt die Wahl der Figur. Ursprünglich war überlegt worden, einen Pfarrer in altertümlicher Kleidung zu zeigen, der einen Konfirmanden segnet. Doch nun soll deutlich werden, dass die evangelische «eine lernende und sich verändernde Kirche» ist, wie es Dekan Wachter ausdrückt. Und zu dieser Veränderung gehört, dass in Kurhessen-Waldeck seit 1961 auch Frauen für das Pfarramt zugelassen sind, heute eine Selbstverständlichkeit. 

So wird eine Pfarrerin, die einen Konfirmanden segnet, den Platz neben dem Landgrafen einnehmen. Wichtig war dem Verein auch, dass der Konfirmand ¬– obwohl das bei vielen Konfirmationen üblich ist – nicht kniet, sondern steht. Zum einen entstehe so nicht der Eindruck eines Machtgefälles, erläutert Natt, zum anderen zeige der Konfirmand bereits eine Bewegung hinein ins Leben.

Und im kommenden Jahr wird es dann noch voller auf dem Paradeplatz. Vom 20. bis 22. September soll es ein großes Fest zur Erinnerung an 485 Jahre Konfirmation und Wasserfestung Ziegenhain geben, mit großen Tafeleien und einem historischen Spektakel. Dann soll der 3. Teil der Figurengruppe enthüllt werden: Landgraf Philipp bekommt Gesellschaft von seinem Lieblingsreformator Martin Bucer. «Wir wollen Martin Bucer wieder mehr ins Bewusstsein holen», erläutert Natt. Der theologische Kopf hinter der Konfirmation wird seinerseits nicht alleine kommen, er bringt eine Schülerin mit. Denn die Reformatoren setzten sich unter anderem für ein allgemeines Schulwesen ein, und zwar für Mädchen und Jungen. Auch das ist heute eine Selbstverständlichkeit und war es damals überhaupt nicht. 

Die Bronzeskulpturen gestaltet der Bildhauer Lutz Lesch aus Schwalmstadt-Treysa. Der Verein zur Förderung der Konfirmationsstadt rechnet mit Gesamtkosten von 130.000 Euro für die Figurengruppe. Viele Privatpersonen, aber auch Gewerbetreibende aus Schwalmstadt würden sich beteiligen, berichten Natt und Wachter. Die Idee einer solchen Skulptur sei im Magistrat der Stadt geboren worden, auch die Vereinsgründung sei von der Stadt angeregt worden. Er sehe seinen Einsatz dafür als «ehrenamtliches Engagement für die Stadt», sagt Wachter, und weniger als dienstliche Aufgabe als Dekan. Zugleich liegen die inhaltlichen Verbindungen zwischen Stadt und Kirche beim Thema Konfirmation auf der Hand. Der Verein will auch Bildungsarbeit leisten, etwa durch thematische Vorträge. Damit die Menschen auch wissen, warum da ein bronzener Landgraf mit einem Dokument in der Hand steht und auf den leeren Paradeplatz blickt. (18.10.2023)

Linktipp:

Weitere Informationen zur Konfirmationsstadt Ziegenhain und dem zugehörigen Förderverein finden sich unter:

konfirmationsstadt.de