(Grafik: Hephata.de)

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Redaktion ekkw.de
Veröffentlicht 07 Dez 2022

Schwalmstadt-Treysa. Starker Andrang bei den Tafeln und große Preissteigerungen sind Anzeichen für eine Entwicklung, die Sorgen machen muss. «Armut ist kein Randphänomen», sagt Dr. Melanie Hartmann. Die Soziologin beschäftigt sich seit Jahren mit den Themen Ausgrenzung und Ungleichheit. Seit 2021 ist sie Referentin für Armutspolitik bei der Diakonie Hessen. Sie ist Hauptreferentin beim 15. Forum Diakonische Kirche, das am Dienstag, 13. Dezember, von 19.30 bis 21 Uhr online stattfindet. 

Dr. Hartmann hat Zahlen, um ihre These zu untermauern. Demnach sind 18,3 Prozent der Menschen in Hessen arm, das sind 1,15 Millionen Betroffene. Die wissenschaftliche Definition von Armut ist nicht ganz leicht zu verstehen. Als arm gelten Menschen, die weniger als 60 Prozent des mittleren Einkommens im Land zur Verfügung haben. Das ist nicht mit dem Durchschnittseinkommen zu verwechseln. Das mittlere Einkommen ist ein Median, das bedeutet, die Hälfte der Einkommensbeziehenden liegt über und die andere Hälfte unter diesem Wert. 

15. Forum Diakonische Kirche

Dr. Melanie Hartmann wird beim Forum Diakonische Kirche zum Thema «Gesichter der Armut» referieren. An der Diskussion nehmen außerdem teil: Jürgen Kurz (Teilhabearbeit Diakonisches Werk Schwalm-Eder), René Pilack (Schulden- und Insolvenzberater Diakonisches Werk Kassel) sowie Milena Mikosch (Industrie- und Handelskammer). Pfarrer Dierk Glitzenhirn (Evangelische Forum Schwalm-Eder) moderiert die Veranstaltung. Weitere Informationen und Online-Zugang: www.hephata.de/forum

Im bundesweiten Vergleich liege Hessen mit der Armutsquote auf Platz 11 unter 16 Bundesländern, also weit hinten. Die Lage habe sich in den vergangenen zehn Jahren deutlich verschlechtert, wobei die Ursachen nicht ganz klar seien. Möglicherweise spiele der Zuzug von Menschen aus dem Ausland, die in der Regel weniger Geld hätten, und die Zunahme von Single-Haushalten eine Rolle; aber letztlich seien das Vermutungen. Zeitgleich gebe es in Hessen auch viele sehr gute Einkommen. 

Dass die steigenden Preise die Armut verschärften, sei wissenschaftlich nachgewiesen. Bereits Anfang des Jahres, habe eine Studie der Uni Aachen (RWTH) ergeben, dass im Vergleich zu Anfang 2020 rund 600.000 Haushalte in die Armut gerutscht seien wegen bereits damals gestiegener Energiekosten.

Es zeige sich aber auch ganz konkret bei den Tafeln: «Wir sehen da einen extremen Zulauf», sagt Dr. Hartmann. Unter anderem würden Geflüchtete aus der Ukraine oft direkt von den Jobcentern an die Tafeln verwiesen. Manche der Einrichtungen, die normalerweise mit gespendeten Lebensmitteln arbeiten, würden mittlerweile zukaufen. 

Die Referentin für Armutspolitik formuliert Forderungen an die Politik. So reiche die geplante Erhöhung von Hartz IV, das dann Bürgergeld heißen soll, um 53 Euro bei weitem nicht aus, es müssten mindestens 100 Euro mehr sein. In der Berechnung der Sätze seien oft Posten rausgerechnet worden, etwa Futter für Haustiere. Die aktuellen Preissteigerungen könnten 53 Euro mehr nicht auffangen. Zudem müssten Hilfen passgenauer werden, das sei etwa beim Tankrabatt und der Energiepreisbremse nicht ausreichend gewährleistet. Grundsätzlich begrüße sie aber, dass die Regierung etwas unternehme.

Und Dr. Melanie Hartmann hat noch einen Wunsch: «Wir brauchen einen gesellschaftlichen Diskurs ohne eine Neiddebatte.» Nach ihrer Erfahrung wollten die allermeisten Menschen, die Sozialleistungen beziehen, arbeiten, wenn es ihnen möglich ist. Viele litten unter Einsamkeit und Scham, oft zögen sie sich zurück. Natürlich gebe es, wie in jedem System, auch manchmal Missbrauch, aber der bewege sich statistisch nach ihrer Schätzung «im niedrig einstelligen Bereich». (07.12.2022, Text: Olaf Dellit)

Dr. Melanie Hartmann ist Soziologin und beschäftigt sich seit Jahren mit den Themen Ausgrenzung und Ungleichheit. Seit 2021 ist sie Referentin für Armutspolitik bei der Diakonie Hessen. (Foto: privat)

Dr. Melanie Hartmann ist Soziologin und beschäftigt sich seit Jahren mit den Themen Ausgrenzung und Ungleichheit. Seit 2021 ist sie Referentin für Armutspolitik bei der Diakonie Hessen. (Foto: privat)

Linktipp:

Weitere Informationen und den Online-Zugang zu der Veranstaltung am 13. Dezember 2022 von 19.30 bis 21 Uhr finden Sie unter:

hephata.de/forum