«Du bist ein Gott, der mich sieht.» - Die Losung für das Jahr 2023 stammt aus dem 1. Buch Mose (Genesis 16,13). Unser Foto zeigt die ekkw.de-Interpretation der Jahreslosung. (Motiv: medio.tv/Küster mit Fotos von Unsplash)

«Du bist ein Gott, der mich sieht.» - Die Losung für das Jahr 2023 stammt aus dem 1. Buch Mose (Genesis 16,13). Unser Foto zeigt die ekkw.de-Interpretation der Jahreslosung. (Motiv: medio.tv/Küster mit Fotos von Unsplash)

Redaktion ekkw.de
Veröffentlicht 29 Dez 2022

Kassel. Die evangelische Kirche stellt das Jahr 2023 unter das biblische Leitwort «Du bist ein Gott, der mich sieht.» Der Text stammt aus dem 1. Buch Mose (Genesis 16,13). Die Bischöfin der Evangelischen Kirche von Kurhessen-Waldeck, Dr. Beate Hofmann, bezeichnet die biblische Jahreslosung als «Wegzehrung», die durch das Jahr 2023 begleite. 

«Gerade erst haben wir gefeiert, dass Gott Mensch geworden ist», so die Bischöfin. Das Kind in der Krippe sei Gottes ultimative Antwort auf das, was er bei Notleidenden gesehen und gehört habe. «Es bedeutet: Gott stellt sich uns an die Seite. Gott geht mit durch all das, was gerade schwierig und mühsam und erschöpfend ist. Und das verändert, wie wir durch diese Situation hindurchgehen.»

Besonderes Augenmerk lenkt Bischöfin Hofmann auf Pflegekräfte und Angehörige kranker und pflegebedürftiger Menschen: «Mich tröstet der Gedanke an den sehenden Gott, wenn ich an die vielen Menschen denke, die ihre Mutter oder ihren Vater zuhause pflegen oder an die Pflegekräfte in den Einrichtungen und ambulanten Diensten. Kaum jemand sieht die Mühe, die Anstrengung, die Geduld, die es kostet, einen dementiell erkrankten Menschen zu begleiten», so die Bischöfin. Sie ergänzt: «Gott sieht es, Gott sieht das Engagement, die Leidenschaft, auch die Erschöpfung und die Verzweiflung.» 

Der Leitvers für 2023 mache Mut: «Wer darauf vertraut, kann sicherer, leichter und hoffnungsvoller durch das neue Jahr gehen, durch die guten Zeiten, aber auch durch die Krisen und Herausforderungen», ist die Bischöfin überzeugt. 

Aus der Bibel

(Wir stellen die ganze Bibelstelle vor und erklären weiter unten, wie es überhaupt zu einer Jahreslosung kommt. Der Text stammt aus dem 1. Buch Mose, Textstellen 1 - 16. Zu lesen ist er z.B. in der Lutherbibel 2017 der Deutschen Bibelgesellschaft.)

HAGAR UND ISMAEL

«Sarai, Abrams Frau, gebar ihm kein Kind. Sie hatte aber eine ägyptische Magd, die hieß Hagar. Und Sarai sprach zu Abram: Siehe, der Herr hat mich verschlossen, dass ich nicht gebären kann. Geh doch zu meiner Magd, ob ich vielleicht durch sie zu einem Sohn komme. Und Abram gehorchte der Stimme Sarais. Da nahm Sarai, Abrams Frau, ihre ägyptische Magd Hagar und gab sie Abram, ihrem Mann, zur Frau, nachdem Abram zehn Jahre im Lande Kanaan gewohnt hatte.

Und er ging zu Hagar, die ward schwanger. Als sie nun sah, dass sie schwanger war, achtete sie ihre Herrin gering. Da sprach Sarai zu Abram: Das Unrecht, das mir geschieht, komme über dich! Ich habe meine Magd dir in die Arme gegeben; nun sie aber sieht, dass sie schwanger geworden ist, bin ich gering geachtet in ihren Augen. Der Herr sei Richter zwischen mir und dir. Abram aber sprach zu Sarai: Siehe, deine Magd ist unter deiner Gewalt; tu mit ihr, wie dir’s gefällt. Da demütigte Sarai sie, sodass sie vor ihr floh.

Aber der Engel des Herrn fand sie bei einer Wasserquelle in der Wüste, nämlich bei der Quelle am Wege nach Schur. Der sprach zu ihr: Hagar, Sarais Magd, wo kommst du her und wo willst du hin? Sie sprach: Ich bin von Sarai, meiner Herrin, geflohen. Und der Engel des Herrn sprach zu ihr: Kehre wieder um zu deiner Herrin und demütige dich unter ihre Hand.

Und der Engel des Herrn sprach zu ihr: Ich will deine Nachkommen so mehren, dass sie der großen Menge wegen nicht gezählt werden können. Weiter sprach der Engel des Herrn zu ihr: Siehe, du bist schwanger geworden und wirst einen Sohn gebären, dessen Namen sollst du Ismael nennen; denn der Herr hat dein Elend erhört. Er wird ein Mann wie ein Wildesel sein; seine Hand wider jedermann und jedermanns Hand wider ihn, und er wird sich all seinen Brüdern vor die Nase setzen.

Und sie nannte den Namen des Herrn, der mit ihr redete: Du bist ein Gott, der mich sieht. Denn sie sprach: Gewiss hab ich hier hinter dem hergesehen, der mich angesehen hat. Darum nannte man den Brunnen: Brunnen des Lebendigen, der mich sieht. Er liegt zwischen Kadesch und Bered. Und Hagar gebar Abram einen Sohn, und Abram nannte den Sohn, den ihm Hagar gebar, Ismael. Und Abram war sechsundachtzig Jahre alt, als ihm Hagar den Ismael gebar.»

Bischöfin Dr. Beate Hofmann (Foto: medio.tv/Schauderna)

Bischöfin Dr. Beate Hofmann (Foto: medio.tv/Schauderna)

Andacht von Bischöfin Beate Hofmann

Das neue Jahr liegt da wie ein unbeschriebenes Blatt. Manche beginnen es zuversichtlich und voller Pläne, andere schauen eher mit Sorge auf das, was kommen mag. Wie auch immer das neue Jahr wird: Die Jahreslosung soll eine Wegzehrung sein, die durch das Jahr 2023 begleitet. Sie kommt aus einer ganz besonderen biblischen Geschichte. Sie erzählt von Hagar, der Magd von Sarah und Abraham. Und obwohl Hagar darin Schweres erlebt, bekommt sie Mut und neue Kraft. 

Sarah, Abrahams Frau, bleibt viele Jahre lang kinderlos. Schließlich kommt sie auf eine schwierige Idee: Ihre Magd Hagar soll stellvertretend für sie ein Kind von Abraham bekommen. Doch als Hagar schwanger wird, kommt es zum Konflikt zwischen den Frauen. Sarah drangsaliert Hagar und die flieht in die Wüste. Dort begegnet sie Gottes Engel. Als dieser ihr Leid hört, schickt er sie zurück zu Abraham und Sarah. Was im ersten Moment unfassbar klingt, rettet Hagar und ihrem Ungeborenen das Leben. Denn in der Wüste wären sie auf sich allein gestellt und verloren. Gleichzeitig spricht der Engel Hagar Mut zu und prophezeit ihr, Stammmutter einer großen Nachkommenschaft zu werden. Den Sohn, den sie zur Welt bringen wird, soll sie deshalb Ismael nennen, das bedeutet «Gott hat gehört». Hagar spürt, dass Gott ihre Schwierigkeiten nicht einfach wegzaubert und ihr einen schweren Weg zumutet. Aber sie fühlt sich trotzdem von Gott wahrgenommen und ernst genommen. Sie antwortet auf Gottes Botschaft mit einem der schönsten Glaubensbekenntnisse in der Bibel: «Du bist ein Gott, der mich sieht.» So drückt sie aus, was sie da gerade erlebt hat: von Gott verstanden und angenommen zu sein. 

Auch heute spüren Menschen eine tiefe Sehnsucht danach, verstanden und angenommen zu werden. Darum geht es in der Partnerschaft, in Familien, bei beruflichen oder sportlichen Leistungen oder im ehrenamtlichen Engagement. Und wenn wir – wie schon in den vergangenen schwierigen Jahren – viel Empörung und gesellschaftliche Spaltung ums uns herum erleben, kommt das auch daher, dass Menschen sich nicht wahrgenommen und nicht gesehen fühlen in dem, was sie sind und tun. Sie fühlen sich nicht verstanden in dem, was sie aushalten, und nicht gehört in dem, was ihnen am Herzen liegt. 

Auch deshalb ist es so wichtig, dass Kirchengemeinden Orte sind, an denen wir uns zuhören und einander sehen und Möglichkeiten haben, uns im Engagement für andere mit unseren Gaben und Talenten wahrzunehmen. Und wenn wir Gottesdienst feiern, bringen wir all das, was an uns gesehen oder nicht gesehen wird, vor Gott im Vertrauen auf das, was auch Hagar erlebt hat: «Gott sieht mich.» Für mich sind Hagars Worte eines der wichtigsten Bekenntnisse in der Bibel. Es ist die Grundmelodie meines Lebens und Glaubens: Gott nimmt wahr, was mir geschieht. Gott sieht, was los ist. Und dieses Sehen und Hören bleibt nicht folgenlos, darauf kann ich mich verlassen. Es ist kein bedrohliches Beobachten und kein abschätziges taxiert werden, kein «big brother is watching you». Gottes Sehen ist ein liebevolles angesehen und aufmunternd begleitet werden.  In jedem Segenswort sprechen wir von Gottes Angesicht, das über Menschen leuchtet und auf sie gerichtet ist. Manchmal spüren Jugendliche das, wenn sie sich in einer Jugendgruppe oder im Sport engagieren und im Zusammenspiel mit anderen eigene Gaben und Fähigkeiten entdecken und sich wertgeschätzt fühlen.

Mich tröstet der Gedanke an den sehenden Gott, wenn ich an die vielen Menschen denke, die ihre Mutter oder ihren Vater zuhause pflegen oder an die Pflegekräfte in den Einrichtungen und ambulanten Diensten. Kaum jemand sieht die Mühe, die Anstrengung, die Geduld, die es kostet, einen dementiell erkrankten Menschen zu begleiten. Gott sieht es, Gott sieht das Engagement, die Leidenschaft, auch die Erschöpfung und die Verzweiflung.  
Für Hagar hat das Konsequenzen. Sie fühlt sich nicht mehr allein, seit sie weiß, dass Gott sie sieht. Sie findet Stärke und Sicherheit in ihrem Handeln, weil sie Gott vertraut und seinen Worten Glauben schenkt.

Wir kommen gerade von Weihnachten her. Wir haben gefeiert, dass Gott Mensch geworden ist. Das Kind in der Krippe ist Gottes ultimative Antwort auf das, was er bei Hagar und anderen Notleidenden gesehen und gehört hat. Es bedeutet: Gott stellt sich uns an die Seite. Gott geht mit durch all das, was gerade schwierig und mühsam und erschöpfend ist. Und das verändert, wie wir durch diese Situation hindurchgehen: 

Gott sieht uns an. Wer darauf vertraut, kann sicherer, leichter und hoffnungsvoller durch das neue Jahr gehen, durch die guten Zeiten, aber auch durch die Krisen und Herausforderungen. In diesem Sinne wünsche ich Ihnen ein gesegnetes neues Jahr!

Dr. Beate Hofmann
Bischöfin der Evangelischen Kirche von Kurhessen-Waldeck

(Die Andacht kann auch in der Neujahrsausgabe der Fuldaer Zeitung gelesen werden.)

Stichworte Jahreslosung und Tageslosung

Die Arbeitsgemeinschaft erstellt jährlich ökumenische Bibellesepläne, die für jeden Tag des Jahres einen Abschnitt aus der Bibel als Lesung anbieten. So können sich Interessierte über einen längeren Zeitraum mit den wichtigsten Texten des Alten und Neuen Testaments vertraut machen. Aus den Texten der Lesepläne für ein Jahr wählt die Arbeitsgemeinschaft ein Wort als Jahreslosung aus. Darüber hinaus wird aus den Texten, die in einem bestimmten Monat zu lesen sind, jeweils ein Zitat als Monatsspruch bestimmt. Entsprechend der ökumenischen Zusammensetzung der Arbeitsgemeinschaft werden bei der Auswahl der Jahreslosungen und Monatssprüche die zwei kirchlich anerkannten Bibelübersetzungen zugrunde gelegt: die Lutherbibel rev. (2017) und die Einheitsübersetzung (2017). Beide sollen möglichst im gleichen Maße berücksichtigt werden.

Die Jahreslosungen gibt es seit 1934. Initiator war der Pfarrer und Liederdichter Otto Riethmüller (1889-1939), der zur Bekennenden Kirche gehörte. Die Losung für 2020 lautete «Ich glaube; hilf meinem Unglauben!» (Markus 9,24) und für 2021 wurde «Jesus Christus spricht: Seid barmherzig, wie auch euer Vater barmherzig ist!» (Lukas 6,36) gewählt.

Wesentlich älter als die Jahreslosungen sind die täglichen Losungen der Herrnhuter Brüdergemeine. Seit mehr als 270 Jahren zieht ein Mitglied dieser Glaubensgemeinschaft ein Bibelwort für jeden Tag. Die so ermittelten Worte werden bis heute als Tageslosungen in einem Sammelband veröffentlicht und sind Richtschnur für den Alltag vieler Christen.

(31.12.2022 / 01.01.2023)

Internetradio:

Was sagt die Jahreslosung 2023 den Hessinnen und Hessen und wie kann die Losung verstanden werden? Radio-Reporter Torsten Scheuermann hat sich mit einer Umfrage umgehört und mit Pröpstin Katrin Wienold-Hocke gesprochen: