V.l.: Kirchenpräsident Dr. Dr. Volker Jung (EKHN), Bischöfin Dr. Beate Hofmann (EKKW), Gülbahar Erdem (Wissenschaftskoordinatorin AIWG und Seelsorgerin), Dr. Andreas Herrmann (Referent für interreligiösen Dialog mit dem Islam, Zentrum Oekumene), Prof. Dr. Naime Çakir-Mattner (Uni Gießen), Detlev Knoche (Leiter des Zentrums Oekumene), Oberlandeskirchenrätin Claudia Brinkmann-Weiß (Dezernentin für Diakonie und Ökumene, EKKW), Dr. Georg Wenz (Beauftragter für Islamfragen und Weltanschauungsfragen, Ev. Akademie der Pfalz) (Foto: EKHN/Volker Rahn)

V.l.: Kirchenpräsident Dr. Dr. Volker Jung (EKHN), Bischöfin Dr. Beate Hofmann (EKKW), Gülbahar Erdem (Wissenschaftskoordinatorin AIWG und Seelsorgerin), Dr. Andreas Herrmann (Referent für interreligiösen Dialog mit dem Islam, Zentrum Oekumene), Prof. Dr. Naime Çakir-Mattner (Uni Gießen), Detlev Knoche (Leiter des Zentrums Oekumene), Oberlandeskirchenrätin Claudia Brinkmann-Weiß (Dezernentin für Diakonie und Ökumene, EKKW), Dr. Georg Wenz (Beauftragter für Islamfragen und Weltanschauungsfragen, Ev. Akademie der Pfalz) (Foto: EKHN/Volker Rahn)

Redaktion ekkw.de
Veröffentlicht 29 Jun 2022

Frankfurt am Main (medio). Der hessen-nassauische Kirchenpräsident Volker Jung hat die zentrale Bedeutung der Seelsorge in der christlichen und muslimischen Glaubenspraxis herausgestellt. Zum Auftakt eines interreligiösen Fachtags in der Evangelischen Akademie Frankfurt erklärte er am Mittwoch (29.6.), dass die christliche Botschaft letztendlich darauf ziele, «Menschen im Leben zu stärken, zu trösten und zu orientieren.» Deshalb gelte die Seelsorge zu Recht als «Muttersprache der Kirche». Auch wenn es den Begriff der Seelsorge im Islam nicht direkt gebe, gehöre es ebenfalls zu den muslimischen Grundfesten, jedem, der sich in Not befinde, unabhängig von den jeweiligen Glaubensüberzeugungen «mit Zuwendung und Barmherzigkeit» zu begegnen. Umso wichtiger bleibe der kultursensible Einsatz der Seelsorge in einer zunehmend multireligiösen Gesellschaft, heißt es in einer Mitteilung der EKHN-Pressestelle.  

Bischöfin Dr. Hofmann: Kultursensibel und interreligiös kompetent zu sein, wird immer wichtiger

Beate Hofmann, Bischöfin der Evangelischen Kirche von Kurhessen-Waldeck, erinnerte bei der Tagung an die herausragende Rolle der Notfallseelsorge bei den rassistischen Anschlägen von Hanau im Jahr 2020. So habe dort die Konfession oder Religionszugehörigkeit im Schockmoment keine Rolle gespielt. Erst später, «wenn es um die Verarbeitung des Erlebten geht, spielt die eigene religiöse Tradition eine größere Rolle.» Das Beispiel der Notfallseelsorge zeige: «Es ist gut, wenn Seelsorge interreligiös agieren kann und wenn die Seelsorgenden wissen, wann und inwiefern die eigene Religiosität eine Rolle spielt. Es wird daher immer wichtiger, kultursensibel und interreligiös kompetent zu sein.» Zudem habe die Begegnung über Religionen hinweg bei dem Fachtag «in dieser krisenhaften Zeit eine wichtige Funktion». 

Bischöfin Dr. Beate Hofmann bei ihrem Grußwort auf der Tagung in der Evangelischen Akademie Frankfurt. (Foto: EKHN/Volker Rahn)

Bischöfin Dr. Beate Hofmann bei ihrem Grußwort auf der Tagung in der Evangelischen Akademie Frankfurt. (Foto: EKHN/Volker Rahn)

Wissenschaftlerin: Muslimische Seelsorge wird wichtiger 

Die muslimische Seelsorge wird nach den Worten der Frankfurter Islamwissenschaftlerin Gülbahar Erdem immer wichtiger. Im Jahr 2030 würden 2,8 Millionen Migranten 60 Jahre und älter sein, sagte die Initiatorin des Projekts «Muslimische Seelsorge in Wiesbaden» (MUSE) am Mittwoch in Frankfurt am Main. Diese Bevölkerungsgruppe, angefangen mit der Generation der «Gastarbeiter», sei jahrzehntelang von der Gesundheitsfürsorge und der psychosozialen Versorgung ausgeschlossen gewesen. Gleichzeitig gebe es einen Mangel an islamischen Fürsorgeangeboten.

In islamisch geprägten Ländern gebe es keine ausgeprägten Seelsorgestrukturen, erklärte Erdem auf der Fachtagung. Der Islam kenne keine kirchenähnliche Organisation, und Seelsorge werde als individuelle Aufgabe eines Gläubigen und der Familie verstanden. Aber auch unter Migranten in Deutschland wandele sich die Familie, die Großfamilie werde durch die Kernfamilie abgelöst. Daraus erwachse ein stärkeres Bedürfnis nach einer institutionalisierten muslimischen Seelsorge.

Seit 2007 gebe es lokale muslimische Seelsorge-Initiativen in Deutschland wie den Verein MUSE in Wiesbaden, führte Erdem aus. Aber es gebe noch keine deutschlandweite Vernetzung. Muslime gründeten Ausbildungsstätten für Seelsorge, aber es gebe keine standardisierte Ausbildung wie auf christlicher Seite die Klinische Seelsorge-Ausbildung (KSA). Die Universität Tübingen habe einen ersten Masterstudiengang Islamische Seelsorge gestartet, auch das im vergangenen Jahr in Osnabrück gegründete Islamkolleg werde sich darum kümmern.

Öffentlich debattiert werde über die muslimische Seelsorge insbesondere, seitdem die vom Bundesinnenminister einberufene Deutsche Islam-Konferenz dies 2014 zum Thema machte und 2017 empfahl, Rahmenbedingungen für eine hauptamtliche muslimische Krankenhausseelsorge zu schaffen. Für die Zukunft müssten Strukturen der muslimischen Seelsorge aufgebaut, die Finanzierung und Fachaufsicht geklärt und das Berufsfeld professionalisiert und anerkannt werden, sagte Erdem. In der Wissenschaft müssten theologische und praktische Fragen bearbeitet werden.

Fachtagung zu Seelsorge in islamischer und christlicher Perspektive

Die 4. Interreligiöse Fachtagung mit 40 Beteiligten stand unter dem Titel «Seelsorge in islamischer und christlicher Perspektive – eine interreligiöse Betrachtung». Durch die zunehmende Pluralisierung in der deutschen Gesellschaft ist ein kultursensibler Umgang beispielsweise in Krankenhäusern, bei der Notfallseelsorge und in weiteren Handlungsfeldern zu einer neuen Herausforderung geworden. So treffen zum Beispiel evangelische Seelsorgende vermehrt auf muslimische Hilfesuchende. Vor diesem Hintergrund waren zuletzt auch ehrenamtliche Initiativen muslimischer Seelsorge entstanden. Die Fachtagung war eine Kooperation zwischen dem evangelischen Zentrum Oekumene (ZOE) in Frankfurt, der Akademie für Islam in Wissenschaft und Gesellschaft (AIWG) in Frankfurt sowie der Justus-Liebig-Universität Gießen (JLU). Sie wurde von Prof. Dr. Bekim Agai (AIWG), Professorin Dr. Naime Çakir-Mattner (JLU) und Pfarrer Dr. Andreas Herrmann (ZOE) organisiert.

(29.06.2022)

Linktipp:

Weitere Informationen zum Fachtag finden Sie auf den Seiten des Zentrums Oekumene der EKKW und EKHN im Internet:

zentrum-oekumene.de/(...)