Vikarin Tabea Schmitt (links) vor der Kapelle zum Heiligen Leichnam in Wolfhagen (Foto: Kathrin Wittich-Jung) und Vikarin Stephanie Schmidt (rechts) vor dem Altar in der Ev. Lukasgemeinde in Kalbach (Foto: Daniel Föller)

Vikarin Tabea Schmitt (links) vor der Kapelle zum Heiligen Leichnam in Wolfhagen (Foto: Kathrin Wittich-Jung) und Vikarin Stephanie Schmidt (rechts) vor dem Altar in der Ev. Lukasgemeinde in Kalbach (Foto: Daniel Föller)

Redaktion ekkw.de
Veröffentlicht 14 Jan 2022

Vom Studium in die Gemeinde. Redakteurin Christine Lang-Blieffert sprach mit zwei Vikarinnen über ihre Erfahrungen in den ersten drei Monaten im Vikariat. Tabea Schmitt und Stephanie Schmidt absolvieren ihre praktische Ausbildung in Wolfhagen und Kalbach. Das Vikariat ist der praktische Teil der evangelischen Pfarrerausbildung nach dem Studium der Theologie, bei dem die Vikarinnen und Vikare auf das Arbeiten in der Gemeinde und anderen Praxisfeldern vorbereitet werden. Das Gespräch führte Christine Lang-Blieffert in der Adventszeit.

Das Wort «Darling» fällt ziemlich oft in dem Gespräch mit den beiden Vikarinnen. Nicht nur der Klang ihrer Namen vereint sie, nein, auch ihre Begeisterung klingt einstimmig: Tabea Schmitt, 26, Vikarin in Wolfhagen, und Stephanie Schmidt, 28, ebensolche in Kalbach bei Fulda, haben viele Lieblinge: ganz vornedran die Liebe zur Seelsorge. Dabei kamen sie auf ganz unterschiedlichen Wegen zu ihrem jetzigen Berufsziel «Pfarrerin». Für Schmitt, die auf einer katholischen Schule ihr Abitur ablegte, fiel die Entscheidung schon in der 8. Klasse in den Diskussionen mit katholischen Freundinnen und in der evangelischen Jugendarbeit. Bei Schmidt sorgte eine engagierte Religionslehrerin in der Oberstufe dafür, dass sie die Theologie als das Fach entdeckte, in dem die großen Sinnfragen gestellt werden.  Im Studium in Marburg und Münster entdeckte sie dann noch ihren Darling: die feministische Theologie.

Nun, nach den ersten drei Monaten Vikariat, gab es zwar den einen oder anderen Realitätsschock, aber keine grundsätzliche Erschütterung. «Im Kleinen kann das Große gegenwärtig sein», sagt die 28-jährige Schmidt, die aus einem Dorf bei Hanau stammt. Geschockt waren beide, mit welchen Klischees Vikarinnen in der Praxis konfrontiert werden. Plötzlich sind sie eine öffentliche Person — und schon tauchen Fragen auf wie diese: ob Nagellack erlaubt ist, welches Outfit sie unterm Talar tragen und ob die darunter hervorblitzenden Schuhe nicht zu modisch sind. Die Banalität des Alltags eben, die schnell die großen Fragen an den Rand drängt. 

Die beiden jungen Frauen formen daraus gleich eine Aufgabe: «Wir müssen uns dazu konnekten», sagt Tabea Schmitt voller Energie. In Diskussionsforen machen sie die Rolle der Frau zum Thema und zeigen, dass man, oder besser gesagt frau, für eine neue Generation steht. «Wir können nicht 24/7 präsent sein», sagt Schmitt und fügt hinzu: «Klar werden wir viel und gerne arbeiten, aber eine Work-Life-Balance und Familienvereinbarkeit wollen wir auch.» Nur wer sich auch um sich selbst gut kümmere, könne eine gute Seelsorgerin sein. Eine Lösung sehen beide Frauen in der Teamarbeit. 

Auch im Kurs mit den anderen Vikarinnen und Vikaren sei das gemeinsame Schaffen ein Thema. Zwar böten große räumliche Distanzen in einigen Kooperationsräumen so manche Schwelle, aber «gabenorientiert» die Aufgaben zu verteilen, müsse das Ziel sein. Stephanie Schmidt nennt dann gleich ihre «Darlings»: die Begleitung von Menschen bei Kasualien wie Trauung oder Beerdigung, der Gottesdienst und die schon von ihrer Kommilitonin genannte Seelsorge. «Wir müssen uns überlegen, wie wir Menschen ansprechen, für die wir bisher nicht so viel Aufmerksamkeit hatten und welche Sprache wir im Gottesdienst benutzen», sagt die 28-Jährige und liefert gleich Beispiele: «Gnade, Barmherzigkeit – das ist Theologen-Sprech. Das sind Worte, die in unserer Alltagssprache nicht mehr vorkommen.» Kirche müsse ihre «Darlings» den Menschen näherbringen. 

Dazu gehöre für sie, Gottesdienste anzubieten, die sich nicht nur am traditionellen Familienbild orientieren: Segnungen in einer WG oder von polyamourösen Beziehungen böten eine Möglichkeit, diverse Lebenswirklichkeiten aufzugreifen, Gottesdienste zum Thema Trennung und Scheidung anzubieten eine andere. Kirche müsse sich trauen, sich zu politischen Themen zu äußern. «Raus aus dem Elfenbeinturm!» ist ihre Devise. «Rein in das Leben», ergänzt ihre Kommilitonin. Man müsse Präsenz zeigen: mit dem Wohnwagen auf dem Marktplatz, dem Sofa auf dem Wochenmarkt oder – wie jetzt in Wolfhagen - mit der Anmietung eines Ladengeschäfts mitten in der Einkaufszeile. 

Mit den Menschen ins Gespräch kommen, vor allem mit der Jugend, das sei für eine Kirche der Zukunft wichtig. Ihre Vorschläge: Jugendarbeit ausweiten, Räume für Jugendliche mit Jugendlichen schaffen. Denn gerade bei jungen Menschen kommen die ganz großen Fragen auf: nach der Rolle des Ichs und dem Sinn alles anderen. Die müsse Kirche aufgreifen. Dazu gehöre es auch, dass Kirche sich noch aktiver in den sozialen Medien bewege und aktuelle Themen aufgreife. Ganz obenauf der Rechtextremismus. Zumal im Wolfhager Ortsteil Istha Walter Lübcke ermordet wurde. Ebenso wichtig: Kampf gegen soziale Ungerechtigkeit und für Geschlechtergerechtigkeit.

Und was bedeutet das für die Adventszeit - noch dazu inmitten einer Pandemie?  «Wir können den Menschen keine heile Welt vorgaukeln, wir sollten auf sie zugehen und zuhören», sagt Tabea Schmitt. Und auch da erklingt der Gleichklang zwischen Schmidt und Schmitt.

(03.01.2022)