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Katja Seeberg am Nachtfenster der Apotheke

Ein freundliches Gesicht am Fenster: Katja Seeberg arbeitet sieben- bis achtmal pro Jahr die Nacht in der Apotheke durch. Es ist ein besonderer Dienst.

Kassel / Anne-Kathrin Stöber, blick in die kirche
Veröffentlicht 03 Apr 2025

Wie im Gästezimmer einer Großfamilie, so sieht es hier aus: Schreibtisch, Regal, Tischchen und eine Couch, auf deren Lehne ein paar Plüschtiere hocken. «Ja, das ist es auch schon.» Katja Seeberg zeigt lächelnd auf das graue Sofa. Rückzugsort in langen Nachtdienstschichten. Telefonzimmer, wenn Ratlose anrufen. 
Sieben- bis achtmal im Jahr heißt es für die Apothekerin aus Kassel Nachtdienst, so wie für jede Apothekerin aus dem Team in Kassels Vorderem Westen. «Das ist nicht viel, jeder, der im Krankenhausdienst arbeitet, lacht über so wenige Dienste.» Also nichts, worüber sie sich beschweren würde – eher sind diese Stunden oft Anlass für kuriose Erlebnisse und rührende Geschichten.

Freizeitkleidung statt Kittel

Statt im weißen Kittel tritt die 54-Jährige in bequemer Freizeitkleidung ihren Dienst an, der von 19 Uhr abends bis morgens um 9 Uhr dauert. Im Hintergrund die Hoffnung auf wenigstens ein paar Stunden Schlaf. «Das klappt meist erst gegen Morgen,» sagt sie, bis dahin ist viel los – besonders in den Nächten von Samstag auf Sonntag. Dass dieser Service Notdienst heißt, von studierten Apothekerinnen und Apothekern wahrgenommen werden muss und die Versorgung der Bevölkerung außerhalb der regulären Öffnungszeiten mit Arzneien sichern soll, sei nicht jedem Nutzer klar.
Wenn die schrille Klingel geht, ist Kundschaft da; der Nachtdienst eilt vom Hinterzimmer durch den Verkaufsraum zur Tür, hier ist das kleine Fenster eingelassen, durch das die Kommunikation nun stattfindet. Sicherheitshalber. Was wird benötigt? Schmerzmittel. Klar, das eilt. 
Dass man aber spät nachts einen Notdienst rausklingelt, weil Nasenspray fehlt, ein Wochen altes Rezept urplötzlich eingelöst werden soll oder der Fußpilz gerade jetzt eine Salbe verlangt? Katja Seeberg ist jedenfalls mit dem ausgestattet, was es hier zunächst braucht: viel Humor, unverwüstliche gute Laune und – das kommt am Telefon zum Einsatz – ein großes Herz für Menschen in Not. «Da rufen mitten in der Nacht verzweifelte junge Eltern an,» berichtet sie. Erstes Kind, hohes Fieber, große Panik. Müssen wir Medikamente geben? Diagnosen darf die Apothekerin nicht stellen, wohl aber Rat geben. In diesem Fall geht zum Beispiel das Gespräch zu Hausmitteln, wie kalten Umschlägen. Beruhigung, dass Temperaturen wie diese bei Säuglingen öfter vorkommen. Keine Lebensgefahr.

«Das geht manchmal direkt in Richtung Seelsorge.»
Katja Seeberg

Für Katja Seeberg ist der Nachtdienst auch «etwas Ideelles» – für Menschen da sein. «Ich habe nichts gegen das Internet», ergänzt sie. Wohin aber würden diese Ratsuchenden sich wenden, wenn die Apotheken vor Ort verschwänden? Alle 17 Stunden mache eine dicht in Deutschland, heißt es vom Apothekerverband. Größere überlebten leichter, besonders kleine kämpften, alle stünden unter Druck. Dass in einer Stadt wie Kassel zu jeder Zeit zwei Apotheken Dienst haben, sei ein «hoher Wert», ist Katja Seeberg überzeugt. Immer ansprechbar. 
Und wenn es mal wieder wie oft in einer Samstagnacht ein junges Pärchen ist, das ganz dringend die «Pille danach» verlangt … Auch hierfür öffnet sie das Fensterchen, allerdings verkneift sie sich nicht unbedingt Hinweise wie den, dass dieses Medikament nur unter Umständen wirkt. Und um ein Vielfaches höher dosiert ist als die normale Pille. Zu wenig Aufklärung, sagt sie, und «Pille danach» klinge so schön problemlos. Darum ist sie in diesen Fällen auch Aufklärerin. Wie für alte Menschen am Telefon, die die Einnahmeregeln ihrer Medikamente nicht verstehen. 
Sie hört zu und ist dann «eine Art Lotsin». Viele, sagt sie, seien komplett allein. Großfamilien gibt es kaum noch, in denen Erfahrungswissen weitergegeben wird, die Menschen seien ungeduldiger geworden. «Alles soll perfekt sein.» Aber Katja Seeberg bleibt bei ihrer lächelnden Geduld und freut sich über dankbare Gesprächspartner. Die sagen: «Toll, dass Sie da sind. Was hätte ich um diese Zeit nur ohne Sie gemacht?» Und vielleicht kann sie sich gegen zwei oder drei Uhr endlich aufs Ohr legen.

Unser Foto zeigt das Titelblatt des Magazins «Durch die Nacht»
«Durch die Nacht» als E-Paper

Wie erleben Menschen die Nacht? Eine Kioskbetreiberin in Hanau, ein Wohnungsloser, eine Apothekerin – das neue blick in die kirche-Magazin widmet sich dem Thema Nacht aus ganz unterschiedlichen Perspektiven. Auch die letzte Nacht Jesu im Garten Gethsemane wird theologisch beleuchtet.

Das Magazin, erschienen am 5. April als Beilage zur Tageszeitung und als E-Paper, begleitet Leserinnen und Leser durch nächtliche Pilgerwanderungen, die Osternacht, medizinische Aspekte des gesunden Schlafs und Probleme wie Lichtverschmutzung. Eine Nachtforscherin erklärt im Interview, warum Menschen früher in Etappen schliefen, was nächtliche Gottesbegegnung besonders macht – und woher die Redewendung «jemandem heimleuchten» stammt.

Das blick in die kirche-Magazin erscheint vierteljährlich in einer Auflage von 225.000 Exemplaren als Beilage der regionalen Tageszeitungen in Kurhessen-Waldeck. Es bietet Interviews, Reportagen, geistliche Impulse sowie Lebenshilfe und Ratgeberthemen – ergänzt durch ein beliebtes Preisrätsel.