Die Wahl des Bildes erfolgt spontan und eher zufällig: eine Sitzgelegenheit sollte es geben und für unseren Fotografen eine Sichtachse. Aus der so eingeschränkten Auswahl lande ich bei Margaretha de Vos und ihrem Mann, dem Maler Frans Snyders – ein Doppelporträt, gut 400 Jahre alt.
Mir fallen die hellen Lichtreflexe in den Augen der beiden auf, die den Blick so lebendig machen. Gute Fotografen achten darauf, aber den Trick kannte Anton van Dyck, der das Bild gemalt hat, im 17. Jahrhundert wohl auch schon.
Mein Blick wandert zur kleinen Texttafel mit dem Bildtitel. Mir fällt auf, dass van Dyck gerade mal 22 Jahre alt war, als er dieses Bild gemalt hat. Was er sicher nicht wusste: Er hatte schon mehr als die Hälfte seines Lebens hinter sich. Der Kollege Snyders, den van Dyck auf der Leinwand verewigt hat, wurde viel älter. Zum Zeitpunkt des Gemäldes war er Anfang 40. Sieht aber älter aus, denke ich: entschlossen, in sich ruhend, vielleicht ein wenig müde. Der Bart fein gerichtet, jedes Haar klar im Bild erkennbar.
Sie hat wortwörtlich die Oberhand
Wer schon einmal fotografiert wurde, kennt das Problem: Wohin mit den Händen? Snyders hat eine Hand – napoleonmäßig – halb im Gewand versteckt, die andere verbindet ihn mit seiner Frau. Diese hat, im Wortsinne, die Oberhand.
„Haben Sie sich in das Bild verliebt?“, fragt mich eine Museumsangestellte nach über einer halben Stunde. So lange sitzen wohl nicht viele vor einem Gemälde. Verliebt würde ich nicht sagen, aber das Ehepaar beginnt, von sich zu erzählen: Ein bisschen stolz ist Margaretha, dass sie ihr Haus im Griff hat und alles gut läuft mit den Kindern. Aber manchmal fragt sie sich doch, ob sie auf ihre Eltern hätte hören sollen, die sie vor dem komischen Künstlertypen gewarnt hatten.
Gemäldegalerie Alte Meister
Die Galerie im Schloss Kassel-Wilhelmshöhe ist eines der bedeutendsten Museen Deutschlands, unter anderem mit Werken von Rembrandt, Dürer und Rubens. Diienstag bis Sonntag geöffnet, i.d.R. von 10 bis 17 Uhr
Frans ist auch nicht ganz so entspannt wie er vorgibt. Seine Frau wollte dieses Bild unbedingt („Das hat man jetzt in besseren Kreisen“), aber was, wenn der junge Maler dort drüben viel besser ist als er selbst? Und überhaupt wird es schon dunkel und er sitzt hier immer noch. Dabei ist er verabredet mit Ratsherren und reichen Auftraggebern, schöne Frauen sollen auch kommen. Nein, ganz anders: Er müsste eigentlich malen. Im Atelier liegen ein toter Fasan und ein Kaninchen für das Stillleben. Das eilt! Es riecht schon etwas streng.
Natürlich stimmt nichts von alledem, jedenfalls vermutlich nicht. Aber in der Zeit vor dem Gemälde beginnt die Fantasie zu fliegen – ein Roman ließe sich über die beiden schreiben.
Eine Stunde, ein Gemälde: Ich hatte erwartet, die Zeit würde sich unendlich ziehen. Aber es war ein unterhaltsamer Besuch im 17. Jahrhundert. Schade, dass es nicht wie bei Harry Potter ist, wo gemalte Figuren ihre Bilderrahmen verlassen können. Ich hätte Margaretha und Frans gerne auf einen Kaffee ins Museumscafé eingeladen.
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