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Illustration eines schlafenden Mannes
Schwalmstadt / Anne-Kathrin Stöber, blick in die kirche
Veröffentlicht 03 Apr 2025

Was ist los mit uns? In Zeitungen, Magazinen, im Internet – überall heißt es: Wir schlafen immer schlechter. Warum? Besuch bei einem Spezialisten: Dr. Sirous Javidi ist Facharzt für Neurologie und Schlafmedizin im Medizinischen Versorgungszentrum der Hephata-Klinik in Schwalmstadt. Ein ruhiges, kleines Zimmer mit Schreibtisch und Patientenstühlen, einigen Bücherschränken, Blick auf den Hof. Was Javidi druckreif antworten wird, hat man so oder ähnlich sicher schon mal gehört. «Wir leben in einer überlasteten Gesellschaft», sagt er. Grund Nummer eins.
Durch das gekippte Fenster hört man just die ersten Kraniche rufen, in Keilform ziehen sie an diesem Nachmittag über uns hinweg, mit ihren Frühling verheißenden Schreien. Javidi sieht in den Himmel, seufzt: «Wie die das hinkriegen, diese Reihenfolge, das ist ein Wunder.»
Kein Wunder hingegen: Menschen, die sich tagsüber verausgaben und nachts im Bett wälzen. Der Stress, sagt er, lasse uns nicht los, vielmehr beginne dann ein Gedankenkarussell – wir können nicht abschalten. Was meinen Sie, wer schläft wirklich gut? Fragt er und sagt: nur die Menschen, die entspannen können, gesündere Gewohnheiten haben und auf gute Schlafhygiene achten.

«Wir leben in einer überlasteten Gesellschaft.»
Dr. Sirous Javidi

Mehr als die Hälfte aller Deutschen habe irgendwann im Lauf des Lebens mit massiven Schlafstörungen zu tun. Leistungsorientiert, wie wir arbeiten und auch die Freizeit gestalten, kommt kaum mehr Ruhe auf, wirkliches Loslassen. Seit 20 Jahren arbeitet der gebürtige Iraner bereits in der Hephata-Klinik, und sein Fazit ist: Unser Schlaf hat sich in dieser Zeit tatsächlich verschlechtert.
Hierher kommen schon die schwierigeren Fälle, aus der ganzen Republik. Spezialisiert hat sich Javidi auf Patienten mit Narkolepsie; eine chronische neurologische Erkrankung, die die Fähigkeit des Gehirns beeinträchtigt, Schlaf-Wach-Zyklen zu regulieren. Dann gibt es jene Leidenden mit einem krankhaft vermehrten Tagesschlafbedürfnis. Sie werden im Schlaflabor untersucht. Andere haben Atemaussetzer während des Schlafs. Insomniker nennt man jene, die massive Ein- und Durchschlafschwierigkeiten haben.
Einige solcher Nächte sind okay, meint Javidi, aber wenn man kaum noch den Alltag bewältigen kann, dann auf zum Arzt! 236 Personen allein mit dieser Symptomatik kamen im vergangenen Jahr zu ihm. Zunächst werden sie ausführlich befragt. Dann kann es gut sein, dass sie eine oder zwei Nächte im Schlaflabor verbringen und so, wissenschaftlich überwacht, der Sache auf den Grund gegangen wird.
Sirous Javidi, der ein schnelles Deutsch mit unüberhörbarem persischen Akzent spricht, verdeutlicht gern durch Anekdoten. Er berichtet von der mittelalten Frau, die wegen plötzlicher Schlafanfälle ihren Job verlor, bis nach vielen Jahren auch bei ihr Narkolepsie festgestellt wurde. Für sie eine Erlösung, denn mit Medikamenten lässt sich die Krankheit gut behandeln. Eine andere, sehr junge Patientin hatte von klein auf nächtliche Halluzinationen, wurde als Psychotikerin angesehen und schämte sich vor ihren Mitschülern. Bis auch hier bewiesen wurde: Es ist die Schlafkrankheit Narkolepsie.
Javidi, der sich schon früh für Neurologie interessierte – «sie ist ein Fenster zur Philosophie des Lebens und des menschlichen Daseins» – hat im Iran zunächst Labormedizin studiert, dann in Göttingen Humanmedizin. Er hat in Kassel und Fulda seinen Facharzt für Neurologie gemacht und sich dann, weil sie ihn so faszinierte, ganz der Schlafmedizin verschrieben. Zwei Bücher von ihm sind auf Persisch erschienen, um diesen relativ neuen Zweig auch dort bekannter zu machen.

Fünf Tipps gegen Schlafprobleme

Auch bei «normalen Schlafproblemen» hat Javidi Rat. Fünf einfache Regeln der Schlafhygiene, die dann doch so schwer zu befolgen sind:

  • Einen festen Rhythmus einhalten: Immer zur gleichen Zeit schlafen gehen und aufstehen. Wochentags wie wochenends.
  • Nichts mehr essen nach 19 Uhr, dann auch körperliche Aktivitäten wie Sport beenden.
  • Zwischen 19 und 20 Uhr langsam das Licht dimmen.
  • Dann auch Tablet, Handy und TV nicht mehr nutzen.
  • Wenn man im Bett liegt, das Schlafzimmer, das nur zum Schlafen da sein sollte, kühl, dunkel und ruhig halten.

Wer fühlte sich da nicht ertappt bei dem einen oder anderen Regelverstoß? Javidi lächelt und zuckt mit den Achseln. Tja, es hilft nichts, wenn man sich sträubt, der Körper sei sehr sensibel und würde Fehlverhalten eben übel nehmen.
Weiter sei es hilfreich, ergänzt der Schlafmediziner, wenn man tagsüber durch «genug Aktivitäten» ausgelastet sei, dazu zählt er selbstverständlich nicht das «Chillen auf dem Sofa». Nein, zu Bett gehen heißt: todmüde sein. Sonst sollte man das Schlafzimmer verlassen und später einen neuen Versuch starten.
Ach, ist er denn selbst so diszipliniert?, wagt man zu fragen. Nicken. Eine halbe Stunde Radio-Podcast gönnt er sich, philosophische Diskussionen: «Das ist sinnvoll und bringt mich in den Schlaf!»
Was dann passiert, wenn wir – mit Glück, Disziplin oder Diskurs im Ohr – endlich alle schlafen, erläutert Javidi aus dem Handgelenk: Tagesereignisse abspeichern, Wachstumshormone, sinkender Blutdruck, REM-Schlaf und Immunsystemstärkung, gefüllte Energiespeicher – mit all diesen Begriffen umreißt er das Wunder Schlaf. Man muss es nicht im Einzelnen verstehen, es reicht zu wissen – und viele haben es längst leidvoll erfahren – dass guter Schlaf pure Lebensqualität bedeutet, sein Fehlen aber qualvoll sein kann.

Alte brauchen nicht weniger Schlaf

Immerhin, tröstet er, «kurz und kompakt» sei besser als lang und unterbrochen. Dabei gibt es für die Schlafdauer keine Regel, jeder Mensch ist anders, und alles zwischen fünf und neun Stunden normal. Ältere Menschen brauchen nicht weniger Schlaf, haben aber andere Rhythmen als junge; sie wachen, auch wegen zunehmender Krankheiten, öfter auf, schieben tagsüber Nickerchen ein.
Und ja, wir können es nicht erzwingen – auch diese Lehre gibt er mit auf den Weg. Der Schlaf muss von selbst kommen, und je mehr wir ihn herbeizwingen wollen, desto schwieriger ist er zu erlangen. Paradox, sagt Javidi lächelnd. Wie gern würden wir auch ihn optimieren. Tja, so leicht ist das eben nicht. Ein Grund mehr, warum er so fasziniert ist – vom Schlaf.

Zentrum für Schlafmedizin

Das Zentrum für Schlafmedizin der Hephata-Klinik in Schwalmstadt ist nach Angaben des Betreibers eines der ältesten zertifizierten Schlaflabore der Deutschen Gesellschaft für Schlafforschung und Schlafmedizin (DGSM). Im Zentrum werden Erkrankungen aus den Bereichen der Schlafmedizin und der Epilepsie diagnostiziert und kategorisiert, es arbeitet stationär und ambulant. Das schlafmedizinische Zentrum ist Teil der Hephata-Klinik. Sie verfügt über eine Fachklinik für Neurologie mit 45 Betten und eine Fachklinik für Psychiatrie und Psychotherapie mit 48 Betten. In der Neurologie werden unter anderem Schlaganfälle, Multiple Sklerose, Epilepsie und die Parkinsonkrankheit behandelt.

www.hephata.de/hilfe-rat/neurologie

Unser Foto zeigt das Titelblatt des Magazins «Durch die Nacht»
«Durch die Nacht» als E-Paper

Wie erleben Menschen die Nacht? Eine Kioskbetreiberin in Hanau, ein Wohnungsloser, eine Apothekerin – das neue blick in die kirche-Magazin widmet sich dem Thema Nacht aus ganz unterschiedlichen Perspektiven. Auch die letzte Nacht Jesu im Garten Gethsemane wird theologisch beleuchtet.

Das Magazin, erschienen am 5. April als Beilage zur Tageszeitung und als E-Paper, begleitet Leserinnen und Leser durch nächtliche Pilgerwanderungen, die Osternacht, medizinische Aspekte des gesunden Schlafs und Probleme wie Lichtverschmutzung. Eine Nachtforscherin erklärt im Interview, warum Menschen früher in Etappen schliefen, was nächtliche Gottesbegegnung besonders macht – und woher die Redewendung «jemandem heimleuchten» stammt.

Das blick in die kirche-Magazin erscheint vierteljährlich in einer Auflage von 225.000 Exemplaren als Beilage der regionalen Tageszeitungen in Kurhessen-Waldeck. Es bietet Interviews, Reportagen, geistliche Impulse sowie Lebenshilfe und Ratgeberthemen – ergänzt durch ein beliebtes Preisrätsel.