Markus Casper hebt vorsichtig einen kleinen Hebel an. Zahnräder setzen sich in Bewegung, es dreht sich, es schwirrt und kreiselt – dann schlagen kleine Hämmer Glocken an. Die Melodie kennt man doch. Na klar, Big Ben! Oder, wie der Fachmann sagt: der Westminster-Schlag.
Markus Casper ist ein solcher Fachmann. Im Freilichtmuseum Hessenpark ist er gemeinsam mit seinem Team Herr über 30 Laufwerke, die einst Turmuhren angetrieben haben, in Kirchen, Rathäusern und Fabriken. Auf dem großzügigen Gelände des Hessenparks stehen historische Gebäude aus ganz Hessen.
In zweien dieser Häuser geben die Turmuhren den Takt an. Da ist zum einen das historische Fachwerkhaus, in dem sich die große Uhrensammlung befindet und es stetig tickt. Direkt daneben befindet sich ein deutlich kleinerer Steinbau mit aufragendem Schornstein: die Turmuhrmacherwerkstatt.
Ursprünglich stand das Häuschen in Groß-Umstadt bei Darmstadt und gehörte der Familie Ritzert. So, wie sie im Park steht, dürfte die Werkstatt um 1875 ausgesehen haben. In den 1840er-Jahren hatte Johannes Ritzert dort seine ersten Turmuhren gefertigt. Sein Urenkel – um nicht zu sagen: Uhrenkel – hieß ebenfalls Johannes und stellte 1914 die Produktion von Turmuhren ein.
Wer das Häuschen im Hessenpark betritt, fühlt sich in die Zeit von Johannes Ritzert I. versetzt. Auf den Tischen ringsum liegen Werkzeuge, Zahnräder und Messlehren. Das Haus hatte für die Zeit unüblich viele Fenster, erläutert Markus Casper, denn für die filigrane Arbeit brauchten die Uhrmacher gutes Licht. Das erklärt auch, warum an der Decke eine Öllampe an einem schwenkbaren Arm hängt.
Casper, der seit einigen Jahren ehrenamtlich die Turmuhren betreut (und auch bei den Landmaschinen tätig ist), fasziniert die Sorgfalt, mit der Ritzert und seine Kollegen damals gearbeitet haben. Man muss sich bewusst machen, dass die Uhrwerke ja nur von wenigen Menschen gesehen wurden, weil sie irgendwo in einem dunklen Turm standen. Das hat die Handwerker aber nicht davon abgehalten, beispielsweise die Kontrollzifferblätter prächtig auszuschmücken. Diese befinden sich direkt am Laufwerk und zeigen die selbe Zeit an wie die außenliegende Uhr am Turm. Denn diese ist ja von innen nicht sichtbar.
Jede Schraube, die Ritzert und seine Leute gefertigt haben, trägt eine Nummer, weil jede anders ist. Genormte Schrauben und Muttern wie heute gab es im 19. Jahrhundert noch nicht. Die Metallteile wurden in der Werkstatt selbst gegossen und bearbeitet. War eine Uhr fertig, wurde sie auseinandergenommen, per Wagen transportiert, Teil für Teil in den Turm geschleppt und dort wieder zusammengeschraubt. Was für eine Arbeit!
Und was für eine Feinarbeit! Markus Casper, der von Beruf Informatiker war und schon immer Spaß an Physik hatte, weiß die Details an den Laufwerken zu schätzen. Da gibt es zum Beispiel die Windbremse, die eine Art Paddel hat. Sie sorgt per Luftwiderstand dafür, dass ein Gewicht, wenn es beim Glockenschlag Richtung Boden sinkt, nicht immer schneller wird.
Eintrittskarten gewinnen

In Kooperation mit dem Hessenpark verlosen wir drei Familienfreikarten für das Freilichtmuseum. Die Karten gelten für zwei Erwachsene mit bis zu vier Kindern. Wenn Sie gewinnen wollen, schicken Sie bis zum 19. Juli eine frankierte Karte oder E-Mail mit dem Stichwort «Hessenpark» an:
blick in die kirche
Heinrich-Wimmer-Straße 4
34131 Kassel
Mail: gewinnen@blickindiekirche.de
Unter den richtigen Einsendungen werden die Karten verlost. Der Rechtsweg ist ausgeschlossen.
Was der Stunden-Nachschlag ist
Tüftler haben sich Erstaunliches ausgedacht, um Ungenauigkeiten auszugleichen, etwa das Prinzip der «konstanten Kraft» bei einem Pendel. Würde alleine die Schwerkraft auf das Pendel wirken, wäre das nicht gleichmäßig. Es gibt technische Vorrichtungen, die Abweichungen durch Taubendreck oder anderen Schmutz in einem Kirchturm entgegenwirken. Casper zeigt ein Pendel mit drei Stäben, die aus unterschiedlichen Materialien bestehen. Der Grund: Wäre es nur ein einziger Werkstoff, könnten Temperaturunterschiede Abweichungen hervorrufen.
Zu jedem Uhrwerk im Museum kann der 68-Jährige, der die Gruppe von 18 Ehrenamtlichen hier koordiniert, etwas erzählen. Er weist auf die Feinheiten hin, erklärt physikalische Gesetze und steckt mit seiner Begeisterung für die technischen Wunderwerke an.
Hinter den ganzen Zahnrädern, Windbremsen und Schrauben stehen aber die Geschichten über das Leben in einer Zeit, als eine Kirchturmuhr viel mehr als nur Dekoration war. So zeigt Casper ein Uhrwerk, das vier Glockenfunktionen hatte: Stunde, halbe Stunde, Viertelstunde und den «Stunden-Nachschlag». Dieser ertönte einige Zeit nach dem eigentlichen Schlag. Man stelle sich Menschen auf dem Feld draußen vor dem Dorf vor. Sie hören, dass die Glocke schlägt, aber zu spät, um mitzuzählen. Also warten sie auf den Nachschlag und wissen, was die sprichtwörtliche Stunde geschlagen hat.
Für Markus Casper begann die Faszination mit einer Standuhr, die er von seinem Schwiegervater geerbt hatte und irgendwann durch ein altes englisches Buch auf die Jahre 1770 bis 1790 datieren konnte. Heute ist er an vielen Tagen zwischen den alten Uhrwerken im Hessenpark unterwegs, erklärt, zieht auf und führt Menschen durch die Ausstellung. Er gehört übrigens zu den Menschen, für die das Ticken einer Uhr etwas Beruhigendes hat. Nervös wird er erst, wenn das Ticken aufhört.
Öffnungszeiten der Turmuhren-Ausstellung unter www.hessenpark.de
www.hessenpark.de

In mehr als 100 historischen Gebäuden kann man im Freilichtmuseum Hessenpark bei Neu-Anspach erfahren, wie die Menschen im ländlichen Hessen früher gelebt und gearbeitet haben. Auf dem 65 Hektar großen Gelände stehen nicht nur Häuser, hier leben auch viele Tiere, die früher auf den Bauernhöfen der Region typisch waren. Viele davon sind selten geworden, einige fast ausgestorben. Streuobstwiesen, Felder, Nutzgärten und ein Weinberg sorgen außerdem dafür, dass alte Obst- und Nutzpflanzensorten bewahrt werden. Der Hessenpark bietet ein abwechslungsreiches Veranstaltungsprogramm. Dazu gehören Feste und Märkte sowie Thementage und Ferienprogramme für Kinder. Alle Informationen unter www.hessenpark.de sowie bei Facebook und Instagram.

«Alles hat seine Zeit» als E-Paper
Mit Höflichkeit, Freundlichkeit und Respekt möchte ZDF-Star Horst Lichter seine Zeit füllen. Das sagte er im großen Interview mit dem aktuellen blick in die kirche-Magazin. Das Titelthema «Alles hat seine Zeit» greift ein Bibelwort aus dem Alten Testament auf – und ist dennoch hochaktuell, wie die Beiträge im Heft zeigen: Wann ist die richtige Zeit für Ehe und Kinder? Wie nutzt man die Zeit im Alter am besten? Wie prägen Jahreszeiten und Wetter den Zeitplan in der Landwirtschaft? Und welches Verhältnis zu Minuten und Sekunden hat Weltklasseläuferin Dr. Laura Hottenrott?
Diese und viele andere Fragen greift das Magazin auf. Leserinnen und Leser erfahren außerdem, was es mit dem «Stunden-Nachschlag» auf sich hat, wo mehr als 30 Turmuhrwerke ticken – und an welcher Kirche gleich sechs Sonnenuhren angebracht sind. Vorgestellt wird auch die imposante Kaufunger Stiftskirche, die genau 1.000 Jahre alt ist. Zudem gibt es ein Wiedersehen mit der Kinderbuchheldin Momo und ihrem Kampf gegen die Zeitdiebe – sowie einen vertiefenden Blick in die Bibel.
Das blick in die kirche-Magazin erscheint vierteljährlich in einer Auflage von 225.000 Exemplaren als Beilage der regionalen Tageszeitungen in Kurhessen-Waldeck. Es bietet Interviews, Reportagen, geistliche Impulse sowie Lebenshilfe und Ratgeberthemen – ergänzt durch ein beliebtes Preisrätsel.