Es ist 8 Uhr morgens an der Katharina von Bora Grundschule im hessischen Oberissigheim. Rund 100 Kinder besuchen die evangelische Schule im Main-Kinzig-Kreis – und starten gemeinsam in den Tag. Bevor der Unterricht beginnt, versammeln sich alle Klassen im Morgenkreis. Hier werden Geburtstagskinder gefeiert, aktuelle Themen besprochen – und Verantwortung übernommen. Zwei Kinder moderieren den Kreis, unterstützt von einer Lehrkraft. Für Schulleiterin Juliane Scherff ist diese tägliche Zusammenkunft mehr als ein Ritual: Die Kinder lernen, Verantwortung zu übernehmen, und können sich als Teil der Gruppe fühlen: «Ich habe hier eine Stimme, ich kann hier was sagen, ich kann hier Wünsche äußern. Und wir spüren, dass die Kinder an der Stelle einfach einen großen Zusammenhalt erleben», so die Schulleiterin.
Gegründet wurde die Schule im Jahr 2002 aus einer Elterninitiative heraus. Träger ist die Evangelische Kirche von Kurhessen-Waldeck. Von Anfang an war der Anspruch, eine Schule zu schaffen, in der Kinder nicht nur unterrichtet, sondern in ihrer ganzen Persönlichkeit gesehen und begleitet werden.

Podcast hr2 Camino
Unser Artikel basiert auf dem Podcast «hr2 Camino - Religionen auf dem Weg» des Hessischen Rundfunks vom 4. April 2025. hr-Redakteur Michael Hollenbach geht darin der Frage nach, warum kirchliche Privatschulen so beliebt sind. Neben der Katharina von Bora Grundschule besuchte er auch die Jüdische Schule Frankfurt und die Bischof-Neumann-Schule, ein katholisches Gymnasium in Königstein im Taunus.
Ein besonderer Baustein dieses pädagogischen Ansatzes ist die Ausbildung von Drittklässlern zu Streitschlichtern. Angelehnt an das Konzept der gewaltfreien Kommunikation nach Marshall Rosenberg lernen die Kinder, Konflikte selbst zu reflektieren und zu lösen – ohne vorschnelles Eingreifen von Erwachsenen. «Da geht es ja darum, dass ich erst mal in der Lage bin, eine Situation zu beobachten und die zu benennen, zu sagen, wie ich mich dabei fühle und dann eben ein Bedürfnis formulieren kann: Was wünsche ich mir von dir beim nächsten Mal», erklärt Schulleiterin Scherff. Die neuen Streitschlichter werden ebenfalls im Morgenkreis feierlich gewürdigt.
Lernen nach reformpädagogischen Grundsätzen
Auch das Unterrichtskonzept unterscheidet sich vom klassischen Modell. Inspiriert von der Reformpädagogik Peter Petersens werden die Klassen 1 und 2 sowie 3 und 4 jahrgangsübergreifend unterrichtet. Das Schulleben basiert auf vier tragenden Säulen: Spiel, Feier, Unterricht und Erziehung. Besonders den Aspekt der Erziehung würden viele Eltern schätzen. Die Atmosphäre in der Schulgemeinschaft sei familiär, wertschätzend und respektvoll, so Scherff.
Religiöse Elemente sind selbstverständlich in den Schulalltag eingebunden. Freitags besucht der Pfarrer die Schule und erzählt biblische Geschichten. Auch regelmäßige Feiern und Andachten gehören dazu. Doch das Angebot richtet sich keineswegs nur an Kinder aus kirchlich gebundenen Familien.
Kontaktangebot zum christlichen Glauben
«Wir nehmen jedes Kind auf – unabhängig davon, ob die Eltern Mitglied der evangelischen Kirche sind oder nicht. Es gibt keine sozialen Gründe, Kinder abzulehnen», betont Pfarrer Michael Dorhs, der in der Landeskirche für Schule und Unterricht zuständig ist. Gerade für Familien ohne bisherigen Bezug zur Kirche sei die Schule ein Angebot, mit christlichem Glauben in Kontakt zu kommen. Dennoch ist die Mehrzahl der Kinder, die die Schule besuchen, konfessionell gebunden – und evangelischer Religionsunterricht ist für alle verpflichtend.
Viele Familien entscheiden sich bewusst für die Katharina von Bora Schule – selbst wenn sie nicht direkt in der Nähe wohnen. In Gesprächen nennen sie häufig dieselben Gründe: die klare Wertevermittlung, das Miteinander auf Augenhöhe und das Gefühl, dass ihr Kind hier gesehen wird. Dieses familiäre Miteinander wird auch von Lehrkräften geschätzt. Maike Dietz wechselte vor zwei Jahren von einer staatlichen Schule in Offenbach nach Oberissigheim. Ihr Eindruck: «Jeder kennt jeden. Es ist ein geschützter Rahmen, fast wie eine kleine Welt für sich. Morgens anzukommen fühlt sich ein bisschen an wie nach Hause kommen.»
Christliche Schulen in Deutschland
Rund 600.000 Schülerinnen und Schüler besuchen deutschlandweit eine christliche Schule – etwa 360.000 davon eine katholische, über 210.000 eine evangelische. Während viele evangelische Schulen Berufsschulen mit Schwerpunkten wie Erziehung oder Pflege sind, ist die Zahl an Grundschulen überschaubar. In Hessen betreiben die evangelischen Kirchen gerade einmal sieben Schulen – aber deren Bedeutung sei laut Dorhs exemplarisch. «Bildung ist Teil der DNA des Christentums – jedenfalls nach evangelischem Verständnis.» Der Protestantismus sei schon in Zeiten Martin Luthers eine Bildungsbewegung gewesen, die auf einen evangelisch gebildeten Menschen abzielt. «Wir wollen Menschen, die ihren Glauben von innen heraus verstehen, nicht einfach etwas nachbeten, und wir wollen sie auf der anderen Seite dazu ermächtigen, Welt mitzugestalten», so Michael Dorhs.
Dass Schule mehr ist als ein Lernort, zeigt sich auch in der Wirkung nach außen. «Es ist ja nicht nur das Kind, das hier in Kontakt mit dem Evangelium kommt, sondern über das Kind sind es die Eltern, manchmal die Großeltern. Über die Lehrkräfte strahlt es auch wieder aus – insofern hat das eine echte Multiplikatorenwirkung», so Dorhs.
Von der Dorfschule zur Angebotsschule mit besonderem Profil

Die Landessynode der Evangelischen Kirche von Kurhessen-Waldeck hatte im November 2002 die Gründung einer evangelischen Grundschule beschlossen. Ausgehend von einer Elterninitiative und dem Engagement der Kirchengemeinde in Bruchköbel-Oberissigheim startete der Schulbetrieb der Katharina-von Bora-Schule am 1. August 2003 im Gemeindehaus; 2004 folgte der Umzug ins eigene Schulgebäude, das 2024 erweitert und mit einer Mensa ausgestattet wurde. Im Fokus des reformpädagogischen Konzeptes stehen seither eine werteorientierte Bildung und Erziehung auf Basis der christlichen Tradition.
Die Grundschule pflegt eine enge Kooperation mit der Kirchengemeinde. Neben dem Religionsunterricht sollen Feste und Rituale Orientierung bieten. Die Teilnahme am evangelischen Religionsunterricht ist verpflichtend, die Schule steht aber Kindern aller Konfessionen bzw. Konfessionslosen offen. Auch Kinder mit besonderem Förderbedarf sind willkommen. Neben der Schulleiterin arbeiten derzeit acht Lehrerinnen an der Grundschule, darunter eine Förderschullehrerin. Hinzu kommen eine Sozialpädagogin und eine Erzieherin. Unterrichtet wird in jahrgangsgemischten Klassen. Der Besuch der Grundschule ist mit einer Schulgebühr (75 Euro pro Monat, 40 Euro für ein Geschwisterkind) verbunden.
Neben der Katharina-von Bora-Schule unterhält die Landeskirche zwei weitere Schulen: die Melanchton-Schule Steinatal (Schwalm-Eder-Kreis) sowie die Martin-Luther-Schule im thüringischen Schmalkalden. Weitere Informationen dazu unter: www.ekkw-macht-schule.de