Portraitfoto der Schauspielerin Carina Kühne
blick in die kirche / Fragen: Olaf Dellit
Veröffentlicht 30 Jun 2024

Was tut Ihnen gut, Frau Kühne?

Carina Kühne: Ich spiele gerne Theater, das ist ganz schön. Ich bin auch leidenschaftliche Taucherin und bin gerne unter Wasser. Und es ist schön, wenn ich auf Menschen treffe, die mir guttun und die mich akzeptieren.

Was ist das Besondere am Tauchen?

Kühne: Beim Tauchen kann man abschalten, mal nichts hören, einfach genießen. Das ist etwas Tolles. Ich war schon mal im Roten Meer, da ist das Wasser immer schön warm. Auch in Spanien war ich schon mal tauchen. In Mexiko war das ein richtiges Abenteuer für mich. Da habe ich ganz viele Seelöwen, Mantas und Bullenhaie gesehen. Das war ein Hammer! Was mich noch reizen würde, wäre Thailand.

Sie sind beruflich gerade sehr gefragt und ständig unterwegs. Wie entspannen Sie sich vom Stress?

Kühne: Eigentlich kenne ich gar keinen Stress. Ich habe einen Hund, mit dem ich gerne spazieren gehe; der ist immer ganz süß und tröstet mich auch, wenn ich traurig bin. Wenn ich Zeit habe, spiele ich gerne Klavier. Ich lese gerne und höre auch gerne Musik.

Sie haben Trisomie21 – wie würden Sie das jemandem erklären, der nicht weiß, was das bedeutet?

Kühne: Ich habe ein Chromosom mehr als die meisten Menschen. Bei mir ist das Chromosom 21 in jeder Körperzelle dreifach statt zweifach vorhanden. Daher kommt auch die Bezeichnung Trisomie 21. Insgesamt hat man normalerweise 46 Chromosomen, ich habe eben eins mehr, also 47. Das ist aber keine Krankheit, sondern eine Chromosomen-Anomalie. Ich leide nicht darunter, und ansteckend ist es auch nicht.

Dann ist auch der Begriff Down-Syndrom falsch? Syndrom würde ja eine Krankheit bedeuten?

Kühne: Ich mag es gar nicht, wenn das Wort Krankheit zum Beispiel in der Zeitung steht.

In aller Freundschaft: Carina Kühnes (l.) Aufritt in der bekannten Fernsehserie.

In aller Freundschaft: Carina Kühnes (l.) Aufritt in der bekannten Fernsehserie.

Zur Person

Carina Kühne kam 1985 zur Welt. Auf ihrer Internetseite berichtet sie, dass in Deutschland 50.000 Menschen mit Trisomie 21 leben. Sie schreibt: «Auch meine Eltern waren sehr traurig, als sie erfuhren, dass ich eine Behinderung habe. Alle Menschen wünschen sich perfekte Kinder. Nur für meinen Bruder war ich eine ganz normale kleine Schwester, mit der man kuscheln und die man herumschleppen konnte. Meine Eltern hatten Angst vor der Zukunft. Man hatte ihnen gesagt, dass ich vielleicht niemals laufen werde und mit Sicherheit niemals lesen, schreiben und rechnen lernen würde.» Doch es kam ganz anders: Carina Kühne schaffte ihren Hauptschulabschluss mit einem Notendurchschnitt von 2,3. Nach unterschiedlichen beruflichen Erfahrungen entdeckte sie die Schauspielerei für sich und spielte unter anderem im mehrfach preisgekrönten Spielfilm «Be my Baby» (2014) sowie in den Fernsehserien «In aller Freundschaft», «Die Bergretter» und «Praxis mit Meerblick» sowie auf verschiedenen Theaterbühnen. Den ganzen Juni über spielte sie eine Hauptrolle im Stück «Die Goldfische» an den Hamburger Kammerspielen. 
Carina Kühne engagiert sich auch als Aktivistin für Inklusion. Wenn sie nicht für Engagements unterwegs ist, wohnt sie in Seeheim-Jugenheim in Südhessen. Zu ihren Hobbys gehören tauchen, Klavier und Blockflöte. 

Sie haben geschrieben, dass Ihnen Grenzen durch Vorurteile gesetzt werden. Welche Grenzen sind das?

Kühne: Es ist noch oft so, dass man Menschen nicht viel zutraut. Meine Klassenlehrerin in der Grundschule hat zum Beispiel immer gesagt: «Du kannst das ja nicht können, du hast ja das Down-Syndrom.» Und da wollte ich immer zeigen: Jetzt erst recht! Das Traurige ist, dass viele Menschen so denken. In meinen Schauspielrollen musste ich auch immer Figuren spielen, die viel eingeschränkter sind als ich es bin.

Das ist für Sie auch ein Grund, sich als Aktivistin für Inklusion zu engagieren. Vielleicht können Sie diesen Begriff noch einmal erklären?

Kühne: Für mich heißt Inklusion, dass Menschen mit und ohne Behinderung von Anfang an gemeinsam und in allen Bereichen selbstbestimmt leben dürfen und jeder von der Gesellschaft so akzeptiert wird, wie er ist. Und so haben auch Menschen mit Behinderungen die Chance, ein wertvoller Teil der Gesellschaft zu sein.

Was wünschen Sie sich: Wo muss Inklusion besser werden?

Kühne: Ich wünsche mir Inklusion in allen Bereichen wie zum Beispiel im Kindergarten, in der Schule, im Arbeitsbereich, im Wohnbereich und im Freizeitbereich. Was für mich ganz wichtig ist: Die Barrieren müssen abgeschafft werden, und zwar auch in unseren Köpfen. Ich wünsche mir natürlich auch, dass wir keine Sondereinrichtungen mehr brauchen. Dann wäre Inklusion selbstverständlich.

Warum tut Inklusion der ganzen Gesellschaft gut?

Kühne: Alle können voneinander und miteinander lernen. Man kann sich gegenseitig unterstützen. Unsere Welt wäre bunter und schöner und dann wäre es für uns alle normal, verschieden zu sein. Das kann wunderbar klappen. Für mich ist das Motto: Einfach mal machen!

Sie haben in Ihrem Blog zugespitzt gefragt: Wäre eine Welt ohne uns besser? – also ohne Menschen mit Trisomie 21. Begegnen Sie Menschen, die sich eine solche Welt wünschen?

Kühne: Natürlich sagt einem das niemand ins Gesicht. Aber es werden jetzt schon neun von zehn Föten abgetrieben, wenn während der Schwangerschaft eine Trisomie festgestellt wird.
Seit einiger Zeit gehört der NIPT, der nicht-invasive Pränataltest, zur Vorsorgeuntersuchung für Schwangere dazu. Dabei handelt es sich ja eigentlich nur um ein Suchverfahren nach Trisomie. Wenn das positiv ausfällt, wird fast immer abgetrieben. Das macht mich, ehrlich gesagt, traurig. Da sieht es dann doch so aus, als würde man sich eine Welt ohne uns wünschen.
Deswegen setze ich mich auch für Inklusion ein und für ein Lebensrecht für Babys mit Trisomie 21. Mein Wunsch ist es, dass ich werdenden Eltern die Angst nehmen kann.

Wie sieht Ihr Traum von einer inklusiven Welt aus?

Kühne: In meinem Traum haben alle Menschen, egal ob sie behindert sind oder nicht, die gleichen Rechte. Jeder darf die normale Schule besuchen und lernen, was ihm möglich ist und was er möchte. Jeder soll einen Ausbildungsplatz oder Job bekommen, in dem er sich wohlfühlt und anerkannt ist. Auch Menschen mit Behinderung müssen so viel verdienen, dass sie gut davon leben können und sich auch mal etwas leisten können. Ganz wichtig ist mir, dass Menschen nach ihren Fähigkeiten und nicht nach ihren Defiziten beurteilt werden. Niemand soll wegen seiner Chromosomenanzahl ausgesondert und abgelehnt werden; jeder soll wegen seiner Persönlichkeit und seiner Liebenswürdigkeit akzeptiert werden. 

Titelblatt des blick in die kirche-magazins Juni 2024
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