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Unser Foto zeigt die Gedenkperformance am 30. März 2025 in Aufenau.

Unser Foto zeigt die Gedenkperformance am 30. März 2025 in Aufenau.

Aufenau/Dörnigheim / Olaf Dellit, ekkw.de
Veröffentlicht 31 Mär 2025

Wenn etwas unter den Teppich gekehrt wurde, scheint es verschwunden zu sein. Doch wenn die nächste Generation auf diesem Teppich gehen soll, kommt sie ins Stolpern. So beschreibt es Ulrike Streck-Plath und sagt: «Ich muss den Teppich hochheben und es mir ansehen.» Nur so könnten die Dinge «in Frieden» gebracht werden. Ihr Weg dahin ist die Kunst.

Als Streck-Plath die Beschreibung eines Todesmarsches am Ende der Nazizeit las, sei ihr klar geworden, dass sie das künstlerisch verarbeiten muss. Erst später stieß sie darauf, dass auch durch Maintal-Dörnigheim, wo die 59-Jährige lebt, ein solcher Marsch geführt hatte. Ende März 1945 waren die Insassen des Frankfurter Konzentrationslagers Katzbach nach Buchenwald getrieben worden – kaum jemand überlebte.

In Dörnigheim sei das kaum noch bewusst gewesen, unter den Teppich gekehrt eben. Die Künstlerin entwickelte im Gespräch mit ihrem Mann, Pfarrer Dr. Martin Streck, die Idee für eine kollektive Performance: Sie filzte 12 lebensgroße Figuren, die über Eisengestelle gezogen wurden.

Am 25. März 2012, genau 67 Jahre nachdem der Todesmarsch durch Dörnigheim gezogen war, standen die Figuren am selben Ort. Gäste waren aufgefordert, die Figuren in der Marschrichtung zu bewegen – schweigend. Seitdem wurde die Performance in mehreren Städten entlang der historischen Strecke wiederholt.

Dabei, erzählt die Künstlerin, sei es immer wieder zu berührenden Momenten gekommen. «Die Menschen fragen sich: ‚Wie trägt man die Figuren angemessen?’» Durch das Material hätten diese die Anmutung von Haut und Knochen. Meist würden sie mit großer Vorsicht und Demut getragen, in Hünfeld hätten Männer respektvoll ihre Hüte abgezogen.

Gedenkperformance am 30. März
Gedenkperformance am 30. März in Aufenau zum Todesmarsch der Häftlinge des KZ Katzbach

Die Stadt Wächtersbach hatte zum Gedenken am 30. März aufgerufen: «Es sollte die moralische Pflicht einer jeden menschlichen Gemeinschaft sein, ihrer Toten zu gedenken und an sie zu erinnern. Auch den Toten des Todesmarsches der Häftlinge des Konzentrationslagers Katzbach in unserer Region (Main-Kinzig-Kreis). Auch denen, die ohne Grab geblieben sind. Darum rufen wir zu würdigem Gedenken auf», so die Stadt.

Zu den Unterstützerinnen gehören u. a. der Landrat des Main-Kinzig-Kreises, Thorsten Stolz, sowie die Bürgermeisterinnen und Bürgermeister des Bürgermeisterkreisverbandes Main-Kinzig. Schirmherr ist Hessens Ministerpräsident Boris Rhein. Die Performance machte bereits Station in Maintal (2012 und 2024), Frankfurt und Hünfeld (2013), Fulda (2014), Gelnhausen (2015), Steinau (2016), Schlüchtern (2017), Ahl (2018), Langenselbold (2023) nun auch in Aufenau.

Dass Streck-Plath mit Filz arbeitet, ist kein Zufall. «Der Künstler sucht sein Thema und sein Material», beschreibt sie den Prozess. Bei einem Foto aus Auschwitz sei ihr klar geworden, dass es für sie Filz ist. Allerdings verwendet sie keinen Industriefilz, wie etwa der documenta-Künstler Joseph Beuys es tat, sondern sie filzt selbst, was viel Arbeit bedeutet. Filz für eine der Performance-Figuren anzufertigen, brauche zwei bis fünf Stunden, sagt sie. Inzwischen gibt es 45 solcher Figuren.

Ein schweres Thema in einem weichen Material, das mache die Verstrickungen besonders deutlich. Die Vergänglichkeit von Filz spiele eine Rolle, ebenso wie die Tatsache, dass sich Fehler bei der Herstellung kaum oder gar nicht mehr korrigieren ließen, oft gebe es Überraschungen.

Die Hoffnung von Ulrike Streck-Plath ist, dass mit ihrer Kunst Dinge tatsächlich «in Frieden kommen». Damit meint sie keinesfalls, dass die Geschehnisse vergessen werden sollten. Doch es gefiel ihr sehr, als ihr zwei Menschen nach der Performance unabhängig voneinander sagten, Dörnigheim sei heller geworden.

Portraitfoto von Ulrike Streck-Plath
«Die Kunst berührt Menschen oft dort, wo sie es gar nicht wollen.»
Ulrike Streck-Plath, Künstlerin

Ulrike Streck-Plath, die die Kunst nicht hauptberuflich macht, sieht alle Menschen als Schöpferwesen – das ist für sie auch die Verbindung zur Religion. Ihre Themen, auch in anderen Werken, liegen zwischen Leid und Geborgenheit. Die Sehnsucht nach völliger Geborgenheit erfülle sich auf Erden nicht, sagt sie. Und gerade ihr als fünfmaliger Mutter sei die Zerbrechlichkeit des Lebens stets bewusst: «Als Mutter weiß man von Anfang an: Ich kann dieses Kind verlieren.»

All das lasse sich künstlerisch ausdrücken: «Die Kunst berührt Menschen oft dort, wo sie es gar nicht wollen.» Sie ermögliche es aber auch, «Ganzsein und Heilsein zu spüren» – also eine Verbindung zu Gott, zum «All-Eins», wie sie sagt. Kunst, ist sie fest überzeugt, könne etwas zum Positiven verändern. Deswegen ärgert es sie auch, wenn Menschen die Fähigkeit abgesprochen werde, selbst künstlerisch tätig zu sein. «Macht», lautet daher Ulrike Streck-Plaths Appell, «doch einfach Kunst!»

Zur Person: Ulrike Streck-Plath (59) hat Kommunikationsdesign studiert und in Werbeagenturen gearbeitet, heute ist sie selbstständig. Mit ihrem Mann, Pfarrer Dr. Martin Streck, hat sie fünf Kinder. Neben der Kunst ist sie auch in der kirchlichen Chorarbeit tätig.

KZ Katzbach / Adlerwerke in Frankfurt am Main

Im August 1944 war in den Adlerwerken im Gallusviertel von Frankfurt am Main das Konzentrationslager mit Deckname «Katzbach» als Außenlager des KZ Natzweiler im Elsass errichtet worden. Zeitweilig waren dort über 1.200 Häftlinge gleichzeitig eingesperrt. Sie wurden im Panzerbau und der Munitionsproduktion eingesetzt. Der Großteil der Häftlinge kam aus Polen. Viele von ihnen hatten beim Warschauer Aufstand gegen die Wehrmacht gekämpft.

Das KZ Katzbach gilt als ein KZ mit besonders hoher Sterblichkeitsrate. Auf dem Hauptfriedhof in Frankfurt sind 528 Häftlinge in einem Massengrab beigesetzt, die in der kurzen Zeit von knapp 8 Monaten von den insgesamt 1.600 Häftlingen infolge der unmenschlichen Lebens- und Arbeitsbedingungen verstarben. Als die US-Amerikanischen Truppen von Westen kommend am 24. März 1945 den Rhein überquerten, wurde in einer Nachtaktion das Lager evakuiert.

Der Todesmarsch der Häftlinge des KZ war der letzte Versuch, die brutalen Verbrechen des NS-Regimes zu verheimlichen. Die Gefangenen – es sollen ca. 350 gewesen sein - sollten nicht als Zeugen von den Gräueltaten berichten können. Auf ihrem Weg von Frankfurt über Fechenheim, Dörnigheim, durch das Kinzigtal und Steinau, schließlich über Fulda nach Hünfeld wurden die Häftlinge bei kaltem Schneeregen vor allem in der Nacht durch die Städte und Dörfer getrieben. 280 Häftlinge kamen in Buchenwald an. Mindestens 50, womöglich sogar 70 Häftlinge sollen den Marsch nicht überlebt haben. Nur etwa 140 der insgesamt ca. 1.600 Häftlinge überlebten die Gefangenschaft im KZ und die Transporte oder Todesmärsche nach der Auflösung des KZ Katzbach, als die US-Armee anrückte.