Landgrafschaft Hessen, 30er-Jahre des 16. Jahrhunderts: Es herrscht Streit zwischen den Protestanten und der Täuferbewegung. In der hessischen Kirche ist ein Machtvakuum entstanden. Seit die katholische Kirche kaum noch Einfluss hat, fehlt es an Autoritäten: In den protestantischen Gemeinden gibt es so gut wie keine Regelungen. Darum werfen die Täufer den Lutheranern ein liederliches Gemeindeleben vor – Trunksucht, Hurerei und Sündhaftigkeit. Umgekehrt bezeichnen die Protestanten die Täufer als Häretiker: Denn sie lehnen die Säuglingstaufe ab, weil kleine Kinder sich nicht bewusst fürs Christentum entscheiden könnten – das widerspricht dem Verständnis, dass die Taufe ein reiner Gnadenakt ist.
Der hessische Landgraf Philipp I., ein Anhänger Luthers, steht vor Schwierigkeiten. Der Kaiser hat zwar erlaubt, Andersgläubige hinzurichten und viele Landesherren tun das auch. Aber Philipp ist das zuwider; eine «Extrakirche» will er jedoch auch nicht dulden, dann auf diese hätte er wohl weniger Einfluss.
Der Landgraf beauftragt den Straßburger Reformator Martin Bucer – ein Talent der Diplomatie. Bei einem Treffen in Marburg spricht er mit den Täufern. In der Folge entsteht im Jahr 1539 die Ziegenhainer Kirchenzuchtordnung für die Gemeinden: Verdiente Mitglieder sollten «Älteste» werden – ein Amt, das es auch in Zuchtordnungen anderer reformatorischer Länder gibt. Die Ältesten sollen den Prediger prüfen und gegen «falsches Verleumden treulich verteidigen». Entsprechend können sie auch die Gemeindeglieder «züchtigen», bis hin zum Ausschluss vom Abendmahl
Und dann – der Geniestreich für die Lösung des Taufkonflikts: Alle getauften Jugendlichen besuchen einen Katechismus-Unterricht. Im Frühling treten sie mit Eltern und Paten vor die Gemeinde und lassen sich prüfen. Sie werden konfirmiert und dürfen zum Abendmahl gehen: Die Konfirmation ist ein Bekenntnis zum Glauben im mündigen Alter, auf Grundlage von Luthers Katechismus – beide Seiten sind zufrieden. Die Konfirmation war 200 Jahre eher eine lokale Tradition. Erst durch Philip Jakob Spener, dem «Vater des Pietismus», verbreitete sie sich weltweit. So wurde sie zum «segensreichsten Geschenk der hessischen Reformationsgeschichte an die Welt», wie es einst der kurhessische Bischof Martin Hein ausdrückte.
«Ordnung der christlichen Kirchenzucht für die Kirchen im Fürstentum Hessen»
«Ziegenhainer (Kirchen-) Zuchtordnung» aus dem Jahre 1539 in einer Übertragung von Prof. Dr. Christian Zippert in den heutigen Sprachgebrauch aus dem Jahr 1989:
« [...] Zum dritten sollen die Ältesten der Kirche samt den Dienern des Wortes einrichten und daran sein, daß alle Kinder, wenn sie des Alters wegen fähig sein können, zu dem Katechismus-Unterricht geschickt werden. Diesen Katechismus-Unterricht kann man auch an jedem Ort gut zu solcher Zeit halten, daß ein jeglicher unbeschwert sein würde, seine Kinder dazu zu schicken.
Es ist auch die Obrigkeit schuldig, daß sie auch durch Ihr Amt alle dazu anhalte; denn wenn sie einem jeden Menschen die Seinen in seine Gewalt und Gehorsam bringen und darin halten soll, wie viel mehr gebührt ihr, darauf zu sehen, daß Christus dem Herrn die, die durch ihn erschaffen und darüber hinaus ihm auch in der heiligen Taufe übergeben und eingeleibt sind, durch sie zugeführt und in ihm zu leben auferzogen
werden.
Es sollen die Ältesten und Prediger auch darauf sehen, daß die Kinder, die nun durch den Katechismus-Unterricht im christlichen Verständnis so weit gebracht sind, daß man sie billig zum Tisch des Herrn zulassen sollte, auf ein hohes Fest wie Ostern, Pfingsten und Weihnachten vor aller Gemeinde dem Pfarrer an dazu verordnetem Ort von ihren Eltern und Paten vorgestellt werden; dabei sollen die
Ältesten und alle anderen Diener des Wortes um ihn stehen.
Da soll der Pfarrer diese Kinder über die wichtigsten Stücke des christlichen Glaubens befragen. Und nachdem die Kinder darauf geantwortet, sich da auch öffentlich Christus dem Herrn und seiner Kirche ergeben haben, soll der Pfarrer die Gemeinde vermahnen, den Herrn für diese Kinder um Beständigkeit und Mehrung des Heiligen Geistes zu bitten und solches Gebet mit einem Kollektengebet beschließen.
Nach dem allen soll dann der Pfarrer diesen Kindern die Hände auflegen und sie so im Namen des Herrn konfirmieren und zu christlicher Gemeinschaft bestätigen, sie darauf auch zum Tisch des Herrn gehen heißen, mit angehängter Vermahnung, sich im Gehorsam des Evangeliums treulich zu halten und christliche Zucht und Strafe von allen und jeden Christen, vor allem aber von den Seelsorgern allezeit gutwillig aufzunehmen und ihnen gehorsam Folge zu leisten. [...]»
(Quelle: Evangelischer Kirchenkreis Schwalm-Eder / Dekanat Ziegenhain)
Gesamter Text zum Download
Den gesamten Text der Übertragung von Prof. Dr. Christian Zippert in dieser Ausgabe der Zeitschrift «blick in die kirche» aus dem Jahr 1989.