«Europa ringt darum, nicht auseinanderzubrechen», mahnte die Schweizer Theologin Rita Famos, die zur neuen geschäftsführenden Präsidentin der Gemeinschaft Evangelischer Kirchen in Europa (GEKE) gewählt wurde. Die Kirchengemeinschaft, der auch die Evangelische Kirche von Kurhessen-Waldeck (EKKW) angehört, kam vom 27. August bis zum 2. September 2024 zu ihrer 9. Vollversammlung im rumänischen Sibiu zusammen.
Die Bewältigung der Bedrohung durch den Angriffskrieg Russlands in der Ukraine, die Frage nach dem Umgang mit den vielen Migrantinnen und Migranten, die nach Europa kommen, der Graben zwischen Wohlstand und Armut - «das und noch vieles Weiteres führen zu Konfrontation und Spaltung», so Präsidentin Famos: «Die GEKE-Kirchen sind Teil dieses Europas und stehen nicht jenseits der Probleme und Herausforderungen.»
Ökumenedezernent: GEKE durch Fragen der Ethik auf harte Probe gestellt
Bei der Vollversammlung sei deutlich geworden, dass die Kirchengemeinschaft durch Fragen der Ethik auf eine harte Probe gestellt werde, so Dr. Diethelm Meißner, Dezernent für Diakonie und Ökumene. Er vertrat die EKKW bei der Vollversammlung. Zu den zentralen Fragen gehörten: «Welche Einstellungen haben wir als evangelische Kirchen zu Fragen von Gender und Sexualität? Welche Bedeutung hat für uns als Kirchen die Demokratie? Wie schauen wir auf Fragen von Krieg und Frieden – in der Ukraine, aber auch in Nahost?»
Während der Versammlung sei es gelungen, gute Wege zu finden, um auch mit unterschiedlichen Einstellungen zu diesen Fragen die Einheit aufrechtzuerhalten, zeigte sich der Dezernent im ekkw.de-Interview zuversichtlich. Begleitet wurde Dezernent Meißner von der Theologin und Wissenschaftlichen Mitarbeiterin Pia Dieling, die an der Universität Osnabrück zu Theologien von Migrationskirchen forscht.
Drei Fragen an...
Dr. Diethelm Meißner, Dezernent für Diakonie und Ökumene, nahm als Delegierter der Evangelischen Kirche von Kurhessen-Waldeck (EKKW) an der Versammlung teil und antwortet auf drei Fragen zum Thema.
Die Gemeinschaft Evangelischer Kirchen in Europa wurde 1973 gegründet, damals noch unter dem Namen «Leuenberger Kirchengemeinschaft». Mit der Verabschiedung der Erklärung auf dem Leuenberg bei Basel wurde eine seit der Reformation im 16. Jahrhundert bestehende, mehr als 450 Jahre währende Trennung innerhalb der evangelischen Kirchen beendet. Die Mitgliedskirchen gewähren sich aufgrund dieses historischen Dokuments Kanzel- und Abendmahlsgemeinschaft.
Gemeinschaft ist «sehr protestantisches Modell der Ökumene»
«Ich denke, es ist wichtig zu erkennen, dass Leuenberg von Natur aus ein sehr protestantisches Modell der Ökumene ist», sagte der scheidende geschäftsführende GEKE-Präsident John Bradbury von der «Vereinigten Reformierten Kirche» mit Sitz in London. Er erwarte nicht, dass etwa die römisch-katholische Tradition dies einfach übernehmen kann. Der britische Theologe regte an, über andere Möglichkeiten für eine kirchliche Einheit in versöhnter Verschiedenheit nachzudenken.
Russischer Lutheraner-Bischof setzt sich für Frieden in Ukraine ein
Der stellvertretende Erzbischof der Lutheraner in Russland, Anton Tichomirow, hat sich für einen Frieden in der von Moskaus Truppen überfallenen Ukraine stark gemacht. «Als Christen sind wir grundsätzlich gegen jegliche kriegerische Handlung», sagte er auf der Vollversammlung. «Wir beten für den Frieden», so Tichomirow.
Der Erzbischof betonte, dass seine Kirche die Beziehungen zu den Christen in der angegriffenen Ukraine nicht abgebrochen habe. Zudem helfe seine Kirche den Menschen, die durch den Krieg in Not geraten seien, dabei handele es sich um Ukrainer und Russen. Er unterstrich jedoch, dass seine Kirche in Russland beheimatet sei. Sie könnten sich nicht einfach von Russland lösen.
Olexsonder Gross von der Deutschen Evangelisch-Lutherischen Kirche in der Ukraine erinnerte an Tod, Leid und Zerstörung in seinem Land, die der russische Großangriff vom Februar 2022 verursacht habe. Der Präsident der Synode der Kirche, betonte, dass es lange dauern werde, bevor eine Aussöhnung zwischen Russen und Ukrainern stattfinden werde. Die Deutsche Evangelisch-Lutherische Kirche in der Ukraine wurde die bei der Vollversammlung in Sibiu in die GEKE aufgenommen.
EKHN-Vize künftig im Rat der Kirchengemeinschaft
Die stellvertretende Kirchenpräsidentin der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau (EKHN), Ulrike Scherf, ist bei der Vollversammlung in den Rat der GEKE gewählt worden. Gemeinsam mit zwölf weiteren Ratsmitgliedern wird sie in den kommenden sechs Jahren die Geschicke der europäischen Kirchengemeinschaft verantwortlich mitgestalten.
GEKE - Gemeinschaft von rund 100 Kirchen
Der Kirchengemeinschaft gehören fast 100 lutherische, methodistische, reformierte und unierte Kirchen aus mehr als 30 Ländern in Europa und Lateinamerika an. Damit vertritt der Dachverband nach eigenen Angaben rund 40 Millionen Protestanten. Die Vollversammlung tritt in der Regel alle sechs Jahre zusammen, zuletzt 2018 in Basel.
Auf der Vollversammlung in Sibiu wurden zudem vier neue Mitgliedskirchen willkommen geheißen: die Evangelisch-Lutherische Kirche in Georgien, die Deutsche Evangelisch-Lutherische Kirche in der Ukraine, die lutherische Kirche von Island sowie die Deutsche Evangelisch-Lutherische Kirche in Lettland.
Wie die GEKE weiter mitteilte, hat sich zum ersten Mal eine Kirche entschieden, die Kirchengemeinschaft zu verlassen. Es handelt sich um die Evangelisch-Lutherische Kirche in Lettland, die als weltweit erste lutherische Kirche die Frauenordination rückgängig machte. Mit der Aufnahme der kleinen Deutschen Evangelisch-Lutherischen Kirche in Lettland bleibe die GEKE-Präsenz in dem baltischen Staat jedoch bewahrt, hieß es weiter.