Ausgangpunkt des Forschungsprojektes waren Übergriffe durch einen Pfarrer der Evangelischen Kirche von Kurhessen-Waldeck (EKKW), der 2022 von einem kirchlichen Gericht wegen sexualisierter Gewalt an Kindern und Jugendlichen in den 1980er-Jahren verurteilt worden war, was den Verlust der bestehenden Versorgungsansprüche und ein Tätigkeitsverbot in der evangelischen Kirche bedeutet. Disziplinarrechtlich ist der Fall abgeschlossen, der Landeskirche war indes an einer systemischen Aufarbeitung aus unabhängiger wissenschaftlicher Perspektive gelegen, teilte die landeskirchliche Pressestelle mit.
27 Interviews mit Zeitzeuginnen und -zeugen
Die Studie fragt nach Ermöglichungsbedingungen sexualisierter Gewalt und dabei insbesondere nach täterschützenden Strukturen und Mechanismen, erläuterten die Projektleiterinnen Prof. Dr. Mechthild Bereswill, Fachgebiet Soziologie sozialer Differenzierung und Soziokultur, und Prof. Dr. Theresia Höynck, Fachgebiet Recht der Kindheit und der Jugend an der Universität Kassel. Sie stellten zentrale Befunde gemeinsam mit den wissenschaftlichen Mitarbeiterinnen Fanny Petermann und Stella Schwarz im Kasseler Haus der Kirche vor.
Die Forscherinnen hatten 27 Interviews mit Zeitzeuginnen und -zeugen geführt und Zeitdokumente ausgewertet. Sie beschrieben das Zusammenspiel verschiedener Faktoren, in deren Kontext sexualisierte Gewalt möglich wurde: die gesellschaftlichen Entwicklungen der späten 1970er- und 1980er-Jahre, die Reform- und Aufbruchsstimmung, der Wandel innerhalb der Kirchengemeinde, konkrete Veränderungen in der Konfirmanden- und Jugendarbeit, die Rolle von Pfarrpersonen, die Bedeutung von Gerüchten bis hin zu Macht- und Abhängigkeitsverhältnissen.
Download des Projektberichts

Bereswill, Mechthild; Höynck, Theresia; Petermann, Fanny; Schwarz, Stella (2025): Sexualisierte Gewalt durch einen hessischen evangelischen Gemeindepfarrer in den 1980er Jahren. Projektbericht. Kassel: Universität Kassel, Fachbereich Humanwissenschaften, Institut für Sozialwesen.
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Bischöfin: Es fehlten Regeln und Maßstäbe, um sexualisierte Gewalt zu benennen
«Die Studie zeigt, wie gesellschaftlicher Wandel und Veränderungen in einer Gemeinde als befreiend von autoritären Strukturen und Beziehungsgeflechten verstanden wurden und damit Regeln und Maßstäbe fehlten, um grenzverletzendes Verhalten und Gewalt als solche zu benennen und zu verfolgen», so die Bischöfin. Zudem sei deutlich geworden, wie beziehungsorientierte Arbeit mit Jugendlichen, «verbunden mit einer als charismatisch, aber auch als manipulativ beschriebenen Persönlichkeit» Gelegenheiten für sexualisierte Gewalt schaffen kann.

Bischöfin Hofmann wirbt für klare Regeln zu Nähe und Distanz, die in der Präventionsarbeit der Landeskirche bereits verankert seien. Zudem gelte es, Menschen zu bestärken, «Grenzen zu setzen, sprachfähig zu werden über das, was sie nicht möchten, und ihr Selbstvertrauen zu stärken». Dies geschehe durch Schulungen und soll durch Konzepte sexueller Bildung in den verschiedenen Strukturen der Landeskirche weiter gefördert werden. Ferner rege die Studie zu einem anderen Umgang mit Gerüchten an, so die Bischöfin: «Es gilt, sie als Hinweis auf mögliche Gewalt ernst zu nehmen, ohne damit Verleumdung oder Mobbing zu befördern. In diesem Sinne müssen wir unsere Interventionsprozesse reflektieren.»
Die Bischöfin hofft, dass die Studie jene, die von sexualisierter Gewalt auf dem weiteren Berufsweg des Täters betroffen waren oder diese wahrgenommen haben, dazu ermutigt, sich bei der Fachstelle oder der Unabhängigen Anerkennungskommission (UAK) der EKKW zu melden. Auch die Frage nach der Rolle von Vorgesetzten und kirchenleitenden Personen müsse genauer untersucht werden, machte sie deutlich.
Statement der Bischöfin im Wortlaut

Statement von Bischöfin Dr. Beate Hofmann zur Studie der Universität Kassel «Sexualisierte Gewalt durch einen hessischen evangelischen Gemeindepfarrer in den 1980er-Jahren» am 4. November 2025, Download als PDF-Dokument
«Unsere Kirche hat schwerwiegende Fehler gemacht»
«Uns als gegenwärtige Kirchenleitung ist bewusst, dass unsere Kirche schwerwiegende Fehler gemacht hat. Durch kirchenleitendes Versagen ist großes Leid nicht verhindert, sondern verlängert worden. Verantwortliche haben nicht – oder nicht zum Wohl der Betroffenen – gehandelt; sie haben weggeschaut, bagatellisiert und vertuscht. Und unsere Strukturen haben dieses Versagen ermöglicht. Deshalb braucht es hier weitere Aufarbeitung», resümierte die Bischöfin. Auch wenn es inzwischen eine stärkere Sensibilisierung gebe, fänden sexualisierte Gewalt und Missbrauch weiterhin statt. «Mit dieser Tatsache müssen wir umgehen und bringen darum intensiv Prävention, Intervention und Aufarbeitung voran», machte die Bischöfin deutlich. Sie betonte: «Dabei stehen die Bedürfnisse betroffener Personen und das Bemühen um sichere Räume bei uns im Fokus.»
Öffentliche Veranstaltung zur Studie am 18. November
Interessierte haben am 18. November, 18 Uhr, die Möglichkeit, sich über die Studie zu informieren. Bei einer öffentlichen Veranstaltung in der Neuen Denkerei in Kassel (Friedrichsstraße 28) werden die Wissenschaftlerinnen die Studienergebnisse vorstellen und einordnen. An dieser Veranstaltung beteiligen sich Bischöfin Dr. Hofmann, Prälat Burkhard zur Nieden und Sabine Kresse, die Leiterin der Fachstelle zum Umgang mit sexualisierter Gewalt in der EKKW.

Übergabe der Studie am 27. Oktober 2025 in den Räumlichkeiten der Universität Kassel (v.l.): Stella Schwarz, Fanny Petermann, Prof. Mechthild Bereswill, Prof. Theresia Höynck, Bischöfin Beate Hofmann, Prälat Burkhard zur Nieden
Projektteam der Uni Kassel und kirchliche Beteiligte
Die Projektleiterinnen Prof. Dr. Mechthild Bereswill (Fachgebiet Soziologie sozialer Differenzierung und Soziokultur) und Prof. Dr. Theresia Höynck (Fachgebiet Recht der Kindheit und der Jugend) von der Universität Kassel stellten die Studie am 4. November 2025 gemeinsam mit den wissenschaftlichen Mitarbeiterinnen Fanny Petermann und Stella Schwarz bei einem Pressegespräch im Hau der Kirche in Kassel vor. Im Anschluss sprachen Bischöfin Dr. Hofmann sowie Prälat Burkhard zur Nieden. Auch die Leiterin der Fachstelle zum Umgang mit sexualisierter Gewalt in der EKKW, Sabine Kresse, stand für Fragen zur Verfügung. Übergeben wurde die Studie am 27. Oktober 2025 in den Räumlichkeiten der Universität Kassel.
Weitere Informationen zu den Hintergründen des Falls sind auf ekkw.de hier zu finden:
Hintergrund und Kontakt

Die EKKW stellt sich dem Thema sexualisierte Gewalt und setzt sich für wirksamen Schutz und für Aufklärung ein. Auch die Aufarbeitung schon länger zurückliegender Vorfälle ist ihr ein Anliegen, um Betroffene zu unterstützen. Dies tut sie auch mithilfe einer Ende 2019 gegründeten, von der Kirche unabhängigen Anerkennungskommission. Ihr gehören ein Richter im Ruhestand, eine Trauma-Therapeutin und eine beratungserfahrene Fachkraft an, die eigenständig über Unterstützungsleistungen und Anerkennungszahlungen entscheiden können. Kontakt: anerkennungskommission@ekkw.de













