Zwei Leitsätze haben Dr. Lutz Friedrichs in den vergangenen acht Jahren besonders begleitet. Der erste lautet: «Bleib neugierig!» Und der zweite: «Lass‘ es uns ausprobieren!» Denn Mut war nötig bei dem, was sich der Direktor des Studienseminars der Evangelischen Kirche von Kurhessen-Waldeck (EKKW) zum Amtsantritt 2017 vorgenommen hatte: nichts weniger, als die Ausbildung zum Pfarrberuf neu zu denken und ein innovatives Konzept umzusetzen. Das ist ihm, so viel sei vorweggenommen, gelungen. Am 25. August wird Friedrichs, Liebhaber von Literatur und Film, nun aus seinem Dienst unter dem Motto «Ersetze Angst durch Neugier» (Steven Spielberg) verabschiedet.
Ausbildung neu gedacht – für Haupt- und Ehrenamt
«Ich hatte den Eindruck, dass das alte System an seine Grenzen gekommen ist», schildert Lutz Friedrichs rückblickend. Sein Ziel war, einen neuen Ansatz zu finden, um Vikarinnen und Vikare gut auf den sich stark wandelnden Pfarrberuf vorzubereiten und ihnen mehr Freiheiten zu ermöglichen. Elementar und flexibel – so sollte die Ausbildung sein. Übrigens nicht nur die der angehenden Pfarrerinnen und Pfarrer. Auch Ehrenamtliche sollten flexibel ausgebildet werden und selbst entscheiden, ob sie ihren Schwerpunkt etwa in der Gottesdienstarbeit in Altenheimen oder beispielsweise in der Hospiz-, Kita- oder Konfirmandenarbeit sehen. «Die Konzentration auf den 10-Uhr-Gottesdienst am Sonntagmorgen hat keine Zukunft», fasst Friedrichs zusammen.

Prälat würdigt Vikariats-Neukonzeption unter Lutz Friedrichs
Der Prälat der Evangelischen Kirche von Kurhessen-Waldeck, Burkhard zur Nieden, würdigt die Arbeit von Lutz Friedrichs: «Lutz Friedrichs verbindet umfangreiche Bildung mit großer Analysefähigkeit. Er hat die Zeichen der Zeit richtig gedeutet und ist mit der Neukonzeption des Vikariats ins Offene hinausgegangen. Der Erfolg gibt ihm recht. Ich freue mich sehr, dass wir dadurch in beträchtlicher Zahl kluge und innovative junge Kolleg*innen für unsere Landeskirche gewinnen.»
Das Studienseminar als theologisches Zentrum
Im Oktober 2016, ein Jahr, bevor Friedrichs seinen Dienst antrat, war aus dem ehemaligen Predigerseminar der EKKW das «Evangelische Studienseminar» geworden. Auf dem Gelände am Gesundbrunnen Hofgeismar sind inzwischen neben einer umfangreichen Beratung im Bereich Gottesdienst verschiedene Formen der theologischen Aus-, Fort- und Weiterbildung unter einem Dach zusammengefasst: die Ausbildung von Vikarinnen und Vikaren, die Fortbildung von Pfarrpersonen, die Aus- und Fortbildung von Prädikantinnen und Prädikanten, von Lektorinnen und Lektoren und die von Mitarbeiterinnen des Kindergottesdienstes.
evangelisches-studienseminar-hofgeismar.de

Das Evangelische Studienseminar Hofgeismar ist die zentrale Ausbildungsstätte für Pfarrerinnen und Pfarrer der Evangelischen Kirche von Kurhessen-Waldeck. Gegründet am 5. Oktober 1891 als «Predigerseminar», befindet es sich bis heute im historischen «Friedrichsbad» im Park des Gesundbrunnens. Das Seminar setzt auf interprofessionelle Zusammenarbeit und Offenheit für Vielfalt und unterschiedliche Perspektiven.
Erfolge und Perspektiven für die Kirche von morgen
Friedrichs Mut, die Ausbildung zum Pfarrerberuf vom Kopf auf die Füße zu stellen, wurde belohnt. Trotz starker Einbrüche bei den Theologiestudierenden waren die Vikariats-Kurse in den vergangenen Jahren nicht nur voll, sondern mitunter übervoll. Die modernisierte kurhessische Ausbildung zog und zieht auch Auszubildende aus anderen Landeskirchen an. Als außerordentlich erfolgreich beschreibt Friedrichs zudem die Ehrenamtsarbeit: «Dass sie zunimmt, ist auch ein Signal, dass sich Ehrenamtliche für ihre Kirche vor Ort einsetzen wollen.» Eben da liege die Zukunft der Kirche: im Nebeneinander von Haupt- und Ehrenamt und in der Möglichkeit des Quereinstiegs. Durch multiprofessionelles Arbeiten erhöht sich die Qualität der Arbeit, ist Friedrichs überzeugt. Es steuere zudem der Gefahr der «Selbstherrlichkeit» des Pfarrberufs entgegen, der lange Zeit isoliert betrachtet worden sei. Der scheidende Direktor stellt mit Blick auf andere Ämter und Berufe klar: «Wir sind aufeinander angewiesen.»
Dankbarkeit und Ausblick
Wenn er nun auf die letzten acht Berufsjahre zurückschaut, dann auch mit Dankbarkeit für die Team-Arbeit im Studienseminar mit seinen derzeit 19 Mitarbeitenden, das er als «kreativen Sozialraum» beschreibt: «Es ist die Offenheit für Veränderung, die uns verbindet.» Dankbar sei er auch für den Vertrauensvorschuss, den ihm die Kirchenleitung zum Amtsantritt gewährt und ein Umkrempeln des Bestehenden möglich gemacht habe. Zurücklehnen wird sich Lutz Friedrichs indes noch nicht: Vor ihm liegt ein Studiensemester, in dem er seine Erfahrungen im Blick auf kirchliche Berufe für die EKKW auswerten wird. Im November 2026 folgt dann mit 63 Jahren der Eintritt in den Ruhestand. Bange ist ihm nicht, wenn er auf die Zukunft (s)einer kleiner werdenden Kirche blickt. «Ich habe den Eindruck, dass Kirche bereit ist, sich zu verändern. Das ist eine Chance – so kann sie lebendig bleiben.»

Zur Person:
Prof. Dr. Lutz Friedrichs ist 1963 in Kassel geboren und in Schauenburg und Zierenberg aufgewachsen. Er hat Theologie in Göttingen und Basel studiert und wurde 1997 in Marburg promoviert. Sein Vikariat absolvierte Friedrichs in Großseelheim. Es folgten seine erste Pfarrstelle in Heringen an der Werra und der Wechsel zur EKD nach Hannover. Dort leitete er von 2001 bis 2009 die Arbeitsstelle Gottesdienst. In diese Zeit fällt auch seine Habilitation. 2009 kehrte Friedrichs nach Kassel zurück und wurde neben seiner Tätigkeit als Studienleiter am damaligen Predigerseminar Referent für Theologie, Gottesdienst und Kirchenmusik im Landeskirchenamt. Seit Oktober 2017 ist er Direktor des Evangelischen Studienseminars in Hofgeismar.
Neben seiner hauptamtlichen Tätigkeit lehrt Friedrichs das Fach Praktische Theologie an der Theologischen Fakultät der Georg-August Universität in Göttingen. Er war Mitherausgeber der renommierten Zeitschrift «Pastoraltheologie». Darüber hinaus engagierte sich der Theologe in verschiedenen landeskirchlichen Gremien und Arbeitsgruppen.