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Bischöfin Dr. Beate Hofmann (r.) mit epd-Redakeurin Helga Kristina Kothe und epd-Chefredakteur Karsten Frerichs

Im Interview: Bischöfin Dr. Beate Hofmann (r.) mit epd-Redakeurin Helga Kristina Kothe und epd-Chefredakteur Karsten Frerichs in ihrem Büro im Landeskirchenamt in Kassel.

Kassel / Redaktion epd
Veröffentlicht 04 Mär 2025

Im Interview spricht die Bischöfin der Evangelischen Kirche von Kurhessen-Waldeck (EKKW) darüber, wie Kirche zukunftsfähig wird, warum der Begriff Volkskirche noch nicht ad acta gelegt werden kann und welche Formen des Kircheseins nötig sind, um Menschen in einer zunehmend pluralistischen Gesellschaft anzusprechen. Mit Blick auf die Mitgliederentwicklung wünscht sich Bischöfin Dr. Hofmann in dem Gespräch konsequentere Reformen in der evangelischen Kirche und plädiert dafür, Pfarrerinnen und Pfarrer nicht mehr zu verbeamten. Auch die Struktur mit 20 evangelischen Landeskirchen in Deutschland ist aus ihrer Sicht zu hinterfragen. Das Interview führten Helga Kristina Kothe und Karsten Frerichs vom Evangelischen Pressedienst (epd).

Frau Bischöfin Hofmann, Sie sprachen auf der Synode ihrer kurhessischen Landeskirche im November von einer «Volkskirche im Übergang zu etwas Neuem». Wie wird Kirche zukunftsfähig?

Bischöfin Dr. Beate Hofmann: Indem sie sich der Wirklichkeit stellt. Entscheidend für uns ist, sich ehrlich zu machen und zu realisieren, wie sich die Rahmenbedingungen verändern werden. Das Geld, die Menschen, die Mitarbeitenden werden weniger. Das bedeutet, wir müssen Gebäude loslassen, weil wir nicht mehr alle erhalten können und auch nicht mehr alle brauchen. Wir müssen Kirche mit weniger Hauptamtlichen denken und uns ganz anders um ehrenamtliches Engagement bemühen, dafür werben und dazu einladen, Bedingungen dafür schaffen. Wir müssen unsere Bilder von bestimmten Berufen in der Kirche verändern. Wir verändern die Art, wie Verwaltung arbeitet. Wir schreiben eine neue Verfassung. Wir überprüfen alle Strukturen.

2021/2022 hat es in Kurhessen einen Verständigungsprozess zum Auftrag der Kirche gegeben, an dem sich viele Menschen beteiligt haben. Was sind die wichtigsten Erkenntnisse?

Bischöfin Hofmann: Immer wieder wurden die gleichen Schwerpunkte genannt, allerdings mit unterschiedlicher Gewichtung. Für die einen ist es wichtig, Räume für Religion zu öffnen und über den Glauben zu sprechen, für die anderen ist es die Lebenshilfe und die anwaltschaftliche Rolle in Kirche und Gesellschaft, für die dritten sind es Gemeinschaftserfahrungen und Lebensbegleitung. Dies kann sich auch biografisch verschieben. Wir sind herausgefordert, im Blick zu behalten, dass wir für unterschiedliche Menschen Unterschiedliches sind, und das zu bewahren, auch wenn wir kleiner werden.

Sie haben dazu aufgefordert, dass Kirche lernen müsse, «minderheitlich» zu werden und betont, dass es nicht überall das gleiche kirchliche Leben geben wird. Was heißt das konkret?

Bischöfin Hofmann: Als ich 2019 nach Kassel kam, traf ich auf einen Reformprozess, der bereits seit vier Jahren lief. Sein Leitmotiv lautete «Volkskirche qualitativ weiterentwickeln». Das beinhaltet die Vorstellung von: «Es geht immer so weiter.» Und ich erlebe, dass bei vielen Menschen die Überzeugung «Wir sind Volkskirche» sehr stark verankert ist. Ich denke, wir müssen das differenzieren: Es gibt Aspekte von Volkskirche, die ich für ganz wichtig halte. Zum Beispiel genau diese Pluralitätsfähigkeit, die in der Volkskirche drinsteckt, also unterschiedliche Bindungsformen zu akzeptieren.

Aber es gibt auch Aspekte, wo man sagen muss: Davon müssen wir uns verabschieden. Wir sind nicht mehr die Kirche der Mehrheit des Volkes oder ein selbstverständlicher Teil des Lebens vieler Menschen in diesem Land. Wir haben nach wie vor eine öffentliche Rolle. Aber sie ist nicht mehr selbstverständlich. Sie muss an manchen Stellen erarbeitet, manchmal auch erstritten werden. Und es hängt davon ab, wie wir diese Rolle wahrnehmen, ob wir darin glaubwürdig sind und einen überzeugenden Beitrag leisten.

Minderheitlich werden heißt: Stellt euch darauf ein, wir sind das Salz in der Suppe, aber nicht mehr der Hauptbestandteil. Es braucht andere Bilder.

Bischöfin Dr. Beate Hofmann

Sie sagen, es braucht andere Bilder: Sollte man sich dann aufgrund dieses Missverständnisses, was Sie gerade anschaulich beschrieben haben, von dem Begriff Volkskirche verabschieden?

Bischöfin Hofmann: Deshalb spreche ich von einer «Volkskirche im Übergang zu etwas Neuem». Ich finde es im Moment schwierig, das eine treffende Bild zu finden. Deshalb habe ich geschaut, wie andere Kirchen, die eher Kirchen in einer Minderheitssituation sind, sich beschreiben. Da spielt der Begriff der Diaspora eine große Rolle. Ich bin selbst in der evangelischen Diaspora in Oberbayern aufgewachsen. Ich weiß, dass das nicht unbedingt bedeutet, dass man nur noch der kleine verlorene Haufen ist, sondern dass man auch als minderheitliche Kirche, als kleinere Gruppe sichtbar und hörbar sein und wichtige Impulse geben kann.

Aber den einen neuen Begriff, den haben wir noch nicht. Und deswegen finde ich es auch nicht so einfach, den Begriff Volkskirche jetzt ad acta zu legen, weil dann vielleicht bei vielen die Idee aufkommt, wir werden so etwas wie eine Freikirche und eine klare Bekenntnisgemeinschaft: Alle sind dort hochverbunden und engagiert, und die anderen lassen wir hinter uns. Den Weg möchte ich nicht gehen.

Klar ist: Die Säkularisierung können wir nicht aufhalten. Vielmehr braucht es einen Spagat: Kirchesein mit denen zu leben, die sich uns verbunden fühlen, und gleichzeitig müssen wir uns um die bemühen, die über Austritt nachdenken oder ausgetreten sind.

Mit welchen Konzepten hat Kirche denn aktuell Erfolg?

Bischöfin Hofmann: Wir erleben Segensreiches mit Segen. Überall dort, wo wir Gelegenheiten schaffen, dass Menschen mit dem Segen Gottes in Kontakt kommen, machen wir sehr berührende Erfahrungen und spüren, dass es einen Hunger nach solchen Erfahrungen gibt. Die Landesgartenschau 2023 in Fulda war dafür ein eindrückliches Beispiel. Wir erleben zudem die Auferstehung der Kirchenmusik nach der Corona-Pandemie; viele Chöre haben einen großen Zulauf. Und ich bin überzeugt, dass wir im Bereich der Konfirmandenarbeit und in den Schulen eine gute und sehr wichtige Arbeit machen.

Welche Formen von Kirchesein braucht es, um Menschen in einer zunehmend pluralistischen Gesellschaft anzusprechen, in der Religion keine große Rolle mehr spielt?

Bischöfin Hofmann: Die Herausforderung ist, dass wir eine sehr vielfältige Gesellschaft haben, mit sehr unterschiedlichen Lebensstilen. Letztendlich muss man für jeden etwas finden, verschiedene Formate schaffen, unterschiedliche Geschichten erzählen. Auch wir werden vielfältiger und gleichzeitig weniger. Kirche in Vielfalt heißt für mich deshalb auch auszuhalten, dass wir nicht allen überall alles sein können. Wir müssen exemplarischer arbeiten und zentrale Kontaktflächen finden. Dabei spielen die Konfirmandenarbeit, die Kasualien und die Kirchenmusik, die Diakonie und die Zusammenarbeit mit ihr eine wichtige Rolle.

Es geht auch um Kommunikation. Zu Beginn der Corona-Pandemie war die Frage, ob die Kirche jetzt ins Digitale geht. Inzwischen ist klar, dass das Digitale eine Ergänzung, aber kein Ersatz ist. Die Stärke der Kirche liegt in der Begegnung von Angesicht zu Angesicht. Die Pandemie hat uns noch einmal deutlich vor Augen geführt, wie wichtig es ist, mit Menschen in Kontakt zu sein, sich gegenüberzusitzen, sich zu spüren und Reaktionen wahrzunehmen. Gleichzeitig erleben wir, dass im digitalen Bereich Kommunikationschancen liegen. Die Chat-Seelsorge boomt und liegt mir sehr am Herzen. Ich halte es für wichtig, das digitale Gut zu nutzen, um über Kirche zu informieren und über Religion zu sprechen.

Portraitfoto von Bischöfin Dr. Beate Hofmann

Zur Person: Beate Hofmann

Die Theologin Dr. Beate Hofmann (61) steht seit 2019 als Bischöfin an der Spitze der Evangelischen Kirche von Kurhessen-Waldeck. Sie ist die erste Frau an der Spitze der Landeskirche, der 692.000 evangelische Christinnen und Christen angehören und die ihren geografischen Schwerpunkt in Nord- und Osthessen hat. Sitz der Bischöfin ist Kassel.

Beate Hofmann wurde in Bad Tölz geboren und wirkte nach Studium und Vikariat zunächst von 1993 bis 1996 als Pfarrerin in München. 1999 promovierte sie als wissenschaftliche Mitarbeiterin der Universität München. Von 1998 bis 2003 war sie theologische Studienleiterin der Diakonie Neuendettelsau, von 2003 bis 2013 Professorin für Gemeindepädagogik an der Evangelischen Hochschule Nürnberg. 2012 erfolgte ihre Habilitation, seit 2013 war Hofmann Professorin für Diakoniewissenschaft und Diakoniemanagement an der kirchlichen Hochschule Wuppertal/Bethel.

Frau Bischöfin, die Evangelische Kirche im Rheinland hat kürzlich entschieden, dass sie Pfarrerinnen und Pfarrer nicht mehr als Beamte beschäftigen will. Schon viele Jahre wird in den 20 Landeskirchen wegen der sinkenden Finanzkraft darüber gesprochen. Wie ist die Beschlusslage in der Evangelischen Kirche von Kurhessen-Waldeck?

Bischöfin Hofmann: Einen konkreten Beschluss gibt es noch nicht, aber eine Änderung der Anstellungsverhältnisse ist einer unserer Eckpunkte für die Haushaltskonsolidierung, und wir prüfen das. Das hat aber nicht nur finanzielle Gründe. Der Pfarrberuf sollte in der Zukunft aus unserer Sicht anders verstanden werden. Privatrechtliche Anstellungsverhältnisse sind auch im Blick auf die zukünftigen finanziellen Verpflichtungen verlässlicher.

Lassen Sie uns zunächst auf die finanzielle Seite blicken. Was spart die kurhessische Kirche, wenn Pfarrpersonen keine Beamten mehr sind?

Bischöfin Hofmann: Zunächst einmal nichts, weil für eine angestellte Person vom ersten Tag an Sozialversicherungsbeträge zu zahlen sind. Entscheidend ist die langfristige Perspektive: Jede Ordination ist ein goldener Handschlag über mehrere Millionen Euro aufs Leben gerechnet. Die Frage ist schlichtweg: Können wir im Jahr 2060 oder 2070 jemandem seine Pension zahlen? Können wir das noch garantieren? Oder ist es da nicht sinnvoller, wir gehen in den Systemwechsel, wir gehen generell in die allgemeine Rentenversicherung und treten damit Verantwortung für die Absicherung im Alter an die Versicherungsgemeinschaft ab?

Was bedeutet es für das Treueverhältnis von Menschen im Pfarrdienst zur Kirche, wenn sie Angestellte und keine Beamten sind?

Bischöfin Hofmann: Ich glaube, der zentrale Gedanke am Beamtenverhältnis war immer die Alimentationsidee. Ich bezahle einen Menschen dafür, dass er rund um die Uhr im Dienst der Kirche steht. Aber das verändert sich gerade: Eine Pfarrerin oder ein Pfarrer ist nicht mehr sieben Tage die Woche für 24 Stunden ansprechbar. Das ist in den größer werdenden pastoralen Räumen überhaupt nicht mehr zu leisten.

Auch die Kommunikation hat sich verändert. Früher haben die Leute am Pfarrhaus vor der Tür gestanden, heute laufen 98 Prozent des Austauschs über Telefon und E-Mail. Dann spielt ein Dienstsitz in einem Pfarrhaus auch keine große Rolle mehr.

Die Frage ist doch: Mit welchem inneren Feuer und mit welcher inneren Haltung arbeite ich für die Kirche? Es gibt sehr engagierte Gemeindereferentinnen, Diakoninnen und Kirchenmusiker im Angestelltenverhältnis. Ist es angemessen, demgegenüber von den Pfarrerinnen und Pfarrern ein besonderes Treueverhältnis zu fordern? Eigentlich erwarte ich von allen Treue zur Kirche.

Bischöfin Dr. Beate Hofmann (r.) mit Helga Kristina Kothe und Karsten Frerichs vom epd

Bischöfin Dr. Beate Hofmann (r.) mit Helga Kristina Kothe und Karsten Frerichs vom epd

Sie haben mehrfach betont, dass Sie sich bei der Anstellung von Pfarrerinnen und Pfarrern eine enge Abstimmung unter den 20 Landeskirchen in der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) wünschen. Die rheinische Kirche will jetzt grundsätzlich nicht mehr verbeamten. Andernorts gibt es bereits Ausnahmen von der Verbeamtung, oft bei Befristungen oder Projektstellen. Ein einheitliches Handeln ist da nicht zu sehen.

Bischöfin Hofmann: Das stimmt. Das Reformtempo ist in der EKD bei allen notwendigen Veränderungen sehr verschieden. Es gibt Landeskirchen wie die unsere, die angesichts von  Mitgliederrückgang und Einnahmeverlusten entschlossen handeln, andere sind noch zögerlicher und noch nicht so stark unter Druck. Aber die Prognosen sind eindeutig: Wir müssen unsere Strukturen ändern, wenn wir auch als kleinere Kirche handlungsfähig bleiben wollen.

Seit 2012 gibt es unverändert 20 Landeskirchen. Damals gab es 23,3 Millionen Protestanten in Deutschland, heute sind es 18,6 Millionen. Der Trend wird sich fortsetzen. Stellt sich da nicht die Frage nach einer noch stärkeren Zusammenarbeit bis hin zu Fusionen?

Bischöfin Hofmann: Aus meiner Sicht ja. Und ich gehe auch fest davon aus, dass sich da Dinge verändern werden. An manchen Stellen ist das System der 20 Landeskirchen aus der Zeit gefallen. Das kann man keinem mehr erklären.

Offen ist für mich: Entsteht eine Großkirche und die Landeskirchen hören auf zu existieren? Oder entsteht ein anderes Konzept von Föderalismus?

Wie bewegt sich dabei die kurhessische Kirche?

Bischöfin Hofmann: Wir reden im Moment mit unterschiedlichen Nachbarn: Hessen-Nassau, Pfalz, mitteldeutsche Kirche. Mit der Evangelischen Kirche in Mitteldeutschland gibt es starke kulturelle Ähnlichkeiten, und von deren Umgang mit Kirchengebäuden in Thüringen können wir viel lernen und dabei auch kooperieren. Mit der Evangelischen Kirchen in Hessen und Nassau verbindet uns natürlich das Bundesland Hessen.

Wenn es gut läuft, arbeiten wir themenbezogen mit unterschiedlichen Partnern zusammen, und die einzelne Landeskirche wird immer unwichtiger werden. Dann wird es irgendwann einen Punkt geben, wo man sagt: So, und jetzt lasst uns noch mal neu denken. Aktuell in offizielle Fusionsverhandlungen zu gehen, scheint mir mit so viel Aufwand verbunden zu sein, dass ich denke: Lasst uns lieber erst mal inhaltlich und kulturell zusammenwachsen und dann sehen, welche Strukturen sich ergeben.