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Das Bild zeigt drei Soldaten in Tarnuniform und Helmen, die im hohen Gras eines Feldes liegen. Einer trägt ein blaues Übungsgewehr. Im Hintergrund ist ein orangefarbener Hubschrauber in der Luft zu sehen, dahinter eine Baumreihe und ein weiter Himmel mit Wolken.

Bundeswehrausbildung nahe Fritzlar: Soldaten beobachten im Rahmen einer multinationalen Ausbildung den Anflug eines Rettungshubschraubers.

Frankfurt am Main / Redaktion epd, ekkw.de
Veröffentlicht 15 Okt 2025

Seit Beginn der russischen Invasion in der Ukraine 2022 habe die Zahl der Anfragen bei Beratungsstellen wie der EAK deutlich zugenommen, erklärte Müller-Langsdorf, die im Zentrum Oekumene der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau und der Evangelischen Kirche von Kurhessen-Waldeck tätig ist. Während zuvor jährlich nur wenige Hundert Anfragen eingingen, waren es im Jahr 2024 bereits fast 3.000.

Ängste bei Ungedienten und Angehörigen

Besonders stark gewachsen sei die Gruppe der Ungedienten und deren Angehörigen. In Beratungsgesprächen nehme sie vor allem Ängste, so die Pfarrerin im Gespräch mit dem Evangelischen Pressedienst (epd). Sie erläutere das mögliche Wehrdienstverfahren und weise auf das grundgesetzlich verbriefte Recht auf Kriegsdienstverweigerung hin.

Verweigerung: Vorbereitung kann sinnvoll sein

Ob eine frühzeitige Verweigerung sinnvoll sei, hänge vom Einzelfall ab. Verweigern könne nur, wer tauglich gemustert sei – und derzeit finde keine flächendeckende Musterung statt. Dennoch könne es hilfreich sein, die eigenen Verweigerungsgründe schriftlich vorzubereiten. «Denn dieser Besinnungsaufsatz ist ja schon eine Arbeit besonderer Art», sagte Müller-Langsdorf. Die persönliche Haltung müsse darin klar erkennbar sein. Wer sich dabei von Künstlicher Intelligenz wie ChatGPT helfen lasse, müsse aktuell damit rechnen, dass dies auffällt.

Mehrheit junger Menschen lehnt Wehrpflicht ab

Eine Mehrheit junger Erwachsener lehnt einer Umfrage zufolge die Rückkehr zur Wehrpflicht ab. 61 Prozent sehen darin einen erheblichen Eingriff in die persönlichen Grundrechte, wie eine von Greenpeace beauftragte repräsentative Umfrage unter 16- bis 25-Jährigen zeigt. Rund 57 Prozent lehnen eine Rückkehr zur Wehrpflicht gänzlich ab, nur 5 Prozent antworteten mit «Weiß nicht».

Der Umfrage zufolge wünschen sich rund 74 Prozent der Befragten eine aktive Einbindung in die politische Diskussion. Kritisch sehen die Befragten die einseitige Verpflichtung junger Männer: Rund 59 Prozent empfindet das als ungerecht. Nur rund 40 Prozent der befragten jungen Frauen und Männer wären bereit, einen Wehrdienst zu leisten, und rund 54 Prozent würden den Dienst an der Waffe verweigern. Die Hälfte der Befragten fühle sich durch die aktuelle Debatte über den Wehrdienst persönlich bedroht.

Die repräsentative Umfrage basiert auf einem Online-Fragebogen des Meinungsforschungsunternehmens Civey, den 1.000 16- bis 25-Jährige zwischen dem 16. und dem 17. September 2025 ausgefüllt haben.

Kaum Beratungsbedarf bei aktiven Soldaten

Die Zahl aktiver Soldaten, die nachträglich verweigern wollen, sei laut Müller-Langsdorf kaum gestiegen. Bei ihnen stünden weniger Kriegsängste im Vordergrund, sondern eher gesundheitliche Gründe oder berufliche Unzufriedenheit. In Gesprächen äußerten Soldaten häufig differenzierte Kritik an Auslandseinsätzen wie in Afghanistan. Viele hätten bei ihrer Entscheidung zur Verteidigung des Landes nicht an solche Einsätze gedacht.

Wehrdienst-Debatte zu einseitig militärisch

Die aktuelle Diskussion über die deutsche Verteidigungsfähigkeit sei zu stark auf den militärischen Aspekt fokussiert, kritisierte die Pfarrerin. «Zur Debatte gehört die Verantwortung der Bürgerinnen und Bürger für den Schutz des Staats», sagte sie. Diese könne sowohl militärisch als auch zivil wahrgenommen werden.

Appell für stärkere Einbindung und zivile Alternativen

Müller-Langsdorf forderte, auch jene Menschen stärker in die Debatte einzubeziehen, die ein möglicher Wehrdienst betreffe. Derzeit liege der Fokus vor allem darauf, den Dienst in der Bundeswehr attraktiver zu gestalten. «Ich wünschte mir, dass mehr Geld auch in die nichtmilitärische Verteidigung des Landes fließen würde», sagte sie. Bereiche wie der Katastrophenschutz seien ebenfalls unterbesetzt und unterfinanziert.

Das Bild zeigt die deutsche Nationalflagge in Schwarz-Rot-Gold, die an einem hohen Mast vor dem Reichstagsgebäude in Berlin weht. Rechts im Bild ist die Fassade des Reichstags mit der Inschrift „Dem Deutschen Volke“ und klassizistischen Säulen sowie Reliefs erkennbar.

Hintergrund: Neues Wehrdienstgesetz

Der Wehrdienst wurde 2011 ausgesetzt, abgeschafft ist er damit nicht. Die schwarz-rote Bundesregierung will als Antwort auf äußere Bedrohung, vor allem durch Russland, wieder eine Form des Wehrdiensts einführen.

Das im August vom Kabinett auf den Weg gebrachte Wehrdienst-Gesetz von Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) sieht vor, dass junge Männer ab 2026 einen Fragebogen ausfüllen sollen, in dem sie angeben sollen, ob sie zum Dienst in der Bundeswehr bereit sind. Für Frauen ist das Ausfüllen freiwillig. Eingezogen werden soll dann zunächst auf freiwilliger Basis. Die Union war damit aber unzufrieden und drängte auf eine automatische Einführung der Wehrpflicht, wenn bis zu einem bestimmten Zeitpunkt nicht genug Freiwillige gefunden werden. Das wiederum lehnte die SPD ab.

Der Koalitionsstreit um den neuen Wehrdienst ist am Dienstag eskaliert. Ein Kompromissvorschlag mit einem möglichen Losverfahren zur Rekrutierung stieß auf heftigen Widerstand in der SPD-Bundestagsfraktion. Die Idee: Bei zu wenigen Freiwilligen soll unter den Befragten gelost werden, wer gemustert und gegebenenfalls zum Wehrdienst verpflichtet wird. Eine geplante Pressekonferenz zur Vorstellung der Pläne wurde kurzfristig abgesagt.

Trotz des Streits will die Koalition den Gesetzentwurf nun im Bundestag beraten. Beide Seiten betonten am späten Abend ihren Willen, das Gesetz wie geplant am Donnerstag ins Parlament einzubringen. Daran schließen sich üblicherweise weitere Beratungen mit Sachverständigenanhörung an, bevor endgültig abgestimmt wird.

Die Bundeswehr benötigt etwa 80.000 zusätzliche aktive Soldaten, um den Anforderungen der NATO gerecht zu werden. Diese hält eine Truppenstärke von rund 260.000 für notwendig, um einem möglichen Angriff – etwa durch Russland – standhalten zu können. Derzeit verfügt die Bundeswehr laut Tagesschau-Informationen über rund 183.000 aktive Soldatinnen und Soldaten.