«Es gibt keinen zentraleren Ort in Bad Hersfeld», sagt Pfarrer Frank-Nico Jaeger, der das Angebot mitinitiiert hat. Die Bank ist sichtbar, flankiert von einer Beach-Flag mit der Aufschrift «Evangelisch im Zentrum». Ein kleiner Tisch - mit Tischdecke, Kaffee, Tee, Plätzchen und Gemeindebriefen aus allen Gemeinden - macht deutlich: Hier geht es um Gastfreundschaft, nicht um Mission.
Kaffee, Kalender und Gespräche auf Augenhöhe
«Das wichtigste Utensil ist mein Terminkalender», sagt Jaeger. Denn viele Gespräche auf der Bank sind oft nur der Anfang. «Da gibt es Leute, die dir bei der ersten Tasse Kaffee erzählen, wie schön sie dein Angebot finden. Und dann erzählen sie dir manchmal bei der zweiten Tasse davon, dass es gerade nicht so rosig im Leben ist. Dann frage ich: Wollen wir uns nicht an einem anderen Ort verabreden?» Aus dem spontanen Austausch entstehen oft Folgetermine an wesentlich ruhigeren Orten mit mehr Zeit.
Das Angebot läuft im Sommer sechs Wochen lang jeweils freitags von 10 bis 12 Uhr. «Wir könnten auch bis 14 Uhr dort sitzen und es wären Leute da», sagt Jaeger. Die Resonanz ist groß, der Bedarf offenbar ebenso. Die Gespräche dauern meist etwa 15 Minuten, manchmal sitzen drei Menschen gleichzeitig auf der Bank. «Allein habe ich dort eigentlich noch nie gesessen. Wenn es um 10 Uhr losgeht, kommen sofort Leute.»

Pfarrer Jaeger (l.) im Gespräch mit zwei Gästen auf der Bank. Im Vordergrund ist die Fahne zu sehen, die auf das Angebot weithin sichbar hinweist.
Wer kommt, bleibt – manchmal für Jahre
Die Menschen, die sich auf die Bank setzen, sind so unterschiedlich wie das Leben selbst. «Ganz normale Leute, wie du und ich», sagt Jaeger. «Manchmal sind es Mütter von Bräuten, die fragen, ob es noch etwas zu bedenken gibt. Da sagt dann jemand: ‚Ich bin die Mutter von so und so, die nächste Woche bei Ihnen heiratet.‘» Es gibt Stammgäste, die einfach einen Kaffee trinken wollen, und Menschen, die zum ersten Mal überhaupt mit Kirche in Berührung kommen.
Nicht alle Begegnungen sind leicht. «Manchmal kommen Leute vorbei, die einem sagen wollen, wie doof sie dich finden oder die Kirche generell.» Die geht es dann um Geld, Missbrauch, Macht – und das ist für Jaeger auch okay. Er hört zu. Andere erzählen von Krankheit, Trauer, Einsamkeit. «Es gibt viele vereinzelte und einsame Personen, die kaum jemanden haben. Die sind dann froh, dass da jemand sitzt und einfach mal zuhört.»
Ein Mann, der Jaeger besonders in Erinnerung geblieben ist, hatte 20 Jahre lang niemandem davon erzählt, wie sehr ihn der Tod seiner Frau belastet. «Ich habe ihn angesprochen und ihm einen Kaffee angeboten – das mache ich sonst eigentlich nicht. Aber bei ihm hatte ich das Gefühl: Frag mal. Und dann hat er erzählt. Seitdem kommt er regelmäßig zur Bank.»

Kirche jenseits der Mauern
Für Jaeger ist die Bank ein Symbol für eine Kirche, die sich zeigt – jenseits von Mauern und Schwellen. «Ich glaube, dass Kirche für viele ein fremder Ort ist», sagt er. «Sie steht da in der Mitte des Dorfes. Aber was darin passiert, ist vielen unklar. Weihnachten, Ostern, Taufe – das kennt man. Aber dass Kirche ein Ort der Begegnung ist, wissen viele nicht.»
Die Bank verändert das. «Da sitzt einer von denen – ganz frei, ganz offen. Das macht es leichter, sich auf Augenhöhe zu begegnen.» Die Atmosphäre ist bewusst freundlich gestaltet: «Wir wollen nichts nehmen, auch keine Spenden. Wir bieten Offenheit und Zuwendung.»
Audio-Box zum Thema
Auf eine Bank setzen und reden – mitten in der Innenstadt von Bad Hersfeld. Da sitzt nämlich jeden Freitag für zwei Stunden Pfarrer Frank-Nico Jaeger mit seinem Team. Die Bank ist eine Einladung zum Hinsetzen, Durchatmen und Reden. Und das kommt gut an. Ein Beitrag von Radio-Redakteur Tobias Stübing.
Raum für Diskussionen
Auch gesellschaftspolitische Themen kommen zur Sprache. «Ich werde oft gefragt, wie ich zu den Entwicklungen in Gaza und Israel stehe oder zum Ukrainekrieg. Die Menschen wollen wissen, was du denkst – und sie wollen diskutieren. Dabei ist man nicht immer einer Meinung. Die Leute können das aushalten.»
Damit sich alle Beteiligten wohlfühlen, schaut der Küster der Gemeinde regelmäßig vorbei. «Herr Terminski ist unser Backup», sagt Jaeger. «Er schaut alle 15 bis 20 Minuten nach, ob alles okay ist. Das gibt ein gutes Hintergrundgefühl.» Bedrohungen oder unangenehme Situationen habe es bislang nicht gegeben. «Noch nie wurde ich dort bedroht oder irgendwie dumm angemacht.»
EKD-Initiative VerständigungsOrte

Die Evangelische Kirche in Deutschland empfiehlt das Bad Hersfelder Angebot im Rahmen der Initiative «#VerständigungsOrte – Wir. Reden. Hier.» zum Nachmachen. Mit der Initiative werden Kirchengemeinden und Einrichtungen dazu aufgerufen, Orte für Dialog zu schaffen, an denen Menschen mit unterschiedlichen Ansichten zusammenkommen und sich über gesellschaftliche Probleme austauschen können.
Vom Gespräch zur Gemeinschaft
Die Bank ist ein Ort, an dem Vertrauen wachsen kann – auch über die Dauer eines Gesprächs hinaus. «Oft kommt es nach einem Gespräch auf der Bank zu einem Gottesdienstbesuch am Sonntag danach», erzählt Jaeger. «Mir kommt das dann fast wie ein Gegenbesuch vor. Die Menschen sagen: ‚Ach, wir waren ja am Freitag auf der Bank.‘»
Das Angebot wird von einer «Koalition der Willigen» im Kooperationsraum Hersfeld Mitte getragen, berichtet Jaeger weiter. Neben ihm sind Pröpstin Sabine Kropf-Brandau, Pfarrerin Silke Kohlwes, die Vikarin und Ehrenamtliche aus der Gemeinde beteiligt. «Unsere Kirchenvorstandsvorsitzende macht auch mit», sagt Jaeger. Die Bischöfin der Landeskirche hat ihren Besuch für den 12. September angekündigt.
«Das Angebot ist sehr intensiv und alleine kaum durchzuhalten», so der Pfarrer. «Deshalb verteilen wir es mittlerweile auf unterschiedliche Schultern.» Auch Kolleginnen und Kollegen aus dem weiteren Umfeld des Kooperationsraums waren bereits beteiligt. Trotz Stellenstreichungen und knapper Ressourcen soll das Format lebendig bleiben – getragen vom Engagement und der Überzeugung aller Beteiligten.
Bob Dylan als Wunsch-Gast
Wenn Jaeger die Wahl hätte, würde er gerne mal mit Bob Dylan auf der Bank sitzen. Der Musiker ist vom Judentum zum Christentum konvertiert und der Pfarrer würde gerne hören, wie es dazu kam. «Ich würde wissen wollen, wie er so lebt. Ich mag seine Texte und seine Religiösität. Ich bin ein großer Bob Dylan Fan.»

Frank-Nico Jaeger ist seit 2014 Pfarrer in Bad Hersfeld. Ursprünglich stammt er aus dem Münsterland – nach Kurhessen-Waldeck hat ihn die Liebe geführt. Der zweifache Familienvater liebt Musik von Pink Floyd, läuft regelmäßig und viel, und schätzt vor allem die persönlichen Begegnungen in seinem Beruf. Seine wichtigste Lebenserfahrung: «Du kannst nicht tiefer fallen als nur in Gottes Hand – egal was passiert.» Diese Zuversicht trägt ihn durch Krisen und prägt seine seelsorgerliche Haltung.
Bad Hersfeld ist für Jaeger mehr als nur ein Arbeitsort. «Die Stadt ist lebenswert, bietet tolle Möglichkeiten und eine offene Gesellschaft, die der Kirche wohlgesonnen ist.» Sollte sich beruflich etwas verändern, steht für ihn fest: «Ich möchte mit meiner Familie hierbleiben.»