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Eine Frau zeigt ihre Hand, auf der Stop geschrieben ist. Daneben steht der Schriftzug "Sexualisierte Gewalt".
Kassel / Redaktion ekkw.de
Veröffentlicht 17 Jan 2025

Im Januar 2024 wurden die Ergebnisse der Forschung zur Aufarbeitung von sexualisierter Gewalt und anderen Missbrauchsformen in der Evangelischen Kirche und Diakonie in Deutschland in der ForuM-Studie veröffentlicht. Ein unabhängiger Forschungsverbund hatte mit einem breit angelegten und unabhängigen Forschungsprojekt das Thema sexualisierte Gewalt in der evangelischen Kirche untersucht.

Dazu gehörte auch die Evangelische Kirche von Kurhessen-Waldeck (EKKW), die sich nicht erst seit Veröffentlichung der ForuM-Studie sexualisierter Gewalt in ihrem Bereich stellt. Neben der Unterstützung des Forschungsprojekts wurden in den vergangenen Jahren bereits viele Schritte unternommen, um sexualisierte Gewalt in den Gemeinden und Einrichtungen der Landeskirche zu verhindern und Menschen, denen sexualisierte Gewalt in kirchlichen Zusammenhängen widerfahren ist, zu unterstützen. Neben Prävention und Intervention wird viel darangesetzt, das Thema bzw. Fälle aufzuarbeiten.

Fachstelle und Anerkennungskommission

Dazu wurde im Jahr 2019 eine Fachstelle eingerichtet, bei der viele Fäden zusammenlaufen und an die sich Betroffene wenden können. Im selben Jahr hat die EKKW eine unabhängige Anerkennungskommission berufen, in der externe Fachleute, also keine Kirchenmitarbeitenden sitzen. Diese Fachleute prüfen Fälle und überlegen gemeinsam mit den Betroffenen, welche Unterstützung diese benötigen. Der Kommission gehören die Trauma-Therapeutin Friedegunde Bölt, der Richter im Ruhestand Dr. h.c. Peter Masuch und die ehemalige Leiterin von Pro Familia Kassel, Petra Zimmermann, an.

Systematische Überprüfung von Altfällen

Neben der Aktenrecherche für die Forum-Studie wurde 2022 eine systematische Überprüfung der Altfälle in die Wege geleitet, um mögliche strukturelle Defizite aufzudecken. Die ehemalige Kasseler Staatsanwältin Andrea Boesken und Jürgen Schuppner (Eschwege), früherer Vizepräsident des Landgerichts Mühlhausen, waren damit beauftragt, Altfälle rechtlich zu prüfen. Dabei überprüften sie auch die Straf- und Disziplinarverfahren.

Regionales Forschungsprojekt

Wissenschaftliche Unterstützung holt sich die EKKW auch im Einzelfall: Ein Team aus Kultur-, Rechts- und Sozialwissenschaftlerinnen der Universität Kassel forscht aktuell zu sexualisierter Gewalt in einer unserer Kirchengemeinden in den 1980er-Jahren. (Zum Artikel…)

Unabhängige regionale Aufarbeitungskommissionen

Zudem werden im März dieses Jahres die unabhängigen regionalen Aufarbeitungskommissionen (URAK) ihre Arbeit aufnehmen. In Hessen werden EKKW, EKHN und Diakonie Hessen eine gemeinsame Kommission bilden, in der neben kirchenunabhängigen Personen auch Betroffene mitarbeiten. Damit sollen deren Rechte im Sinne der Aufarbeitung gestärkt werden.

Wichtige Fragen und Antworten

Welche Präventionsmaßnahmen wurden ergriffen?

Die EKKW hat 2022 eine Regelung zum Schutz vor sexualisierter Gewalt beschlossen. Zusätzlich braucht es konkrete Verhaltensänderungen vor Ort in allen Einrichtungen der Landeskirche. Kirchengemeinden und Kirchenkreise sind rechtlich gesehen selbstständige Einrichtungen, müssen also jeweils ein eigenes Schutzkonzept beschließen oder sich dem Rahmenschutzkonzept der Landeskirche anschließen.

Zu den Präventionsmaßnahmen zählen neben der Installierung des Rahmenschutzkonzeptes auch Schulungen der Mitarbeitenden. Die haupt-, ehren- und nebenamtlichen Mitarbeitenden der EKKW wurden oder werden seit 2020 geschult, um sexualisierte Gewalt bzw. die Risiken ihrer Entstehung zu erkennen und Betroffenen professionelle Unterstützung zu vermitteln. Sie haben eine Selbstverpflichtungserklärung auf einen Verhaltenskodex unterzeichnet. Seither wurden mehr als 2.000 Mitarbeitende – Pfarrerinnen und Pfarrer, die Beschäftigten im Landeskirchenamt, in der Kirchenmusik und in der Jugendarbeit, aber auch Ehrenamtliche (Kirchenvorstände) durch einen Stab von rund 30 Multiplikatorinnen und Multiplikatoren geschult.

Wie wird im (Verdachts-)Fall von sexualisierter Gewalt interveniert?

Die EKKW nimmt jeden Verdachtsfall ernst und geht ihm nach. Jeder Fall wird der Kirchenleitung und bei strafrechtlicher Relevanz den staatlichen Stellen gemeldet (es sei denn, die Betroffenen untersagen das). Damit wird eine unabhängige, gründliche und sachbezogene Prüfung der Vorwürfe ermöglicht. Geht es um Kinder und Jugendliche, müssen oft auch das Jugendamt oder Fachberatungsstellen einbezogen werden, um das Kindswohl zu schützen. Bei Vorwürfen gegen kirchliche Mitarbeitende werden diese in der Regel bis zum Ende eines Verfahrens vom Dienst freigestellt. Arbeits- und disziplinarrechtliche Schritte werden unabhängig vom Strafrecht geprüft. (Mehr zum Thema…)

Haben sich seit Veröffentlichung der ForuM-Studie mehr Betroffene gemeldet?

Seit Veröffentlichung der ForuM-Studie im Januar 2024 Jahres lässt sich eine leichte Zunahme bei den Meldungen (Berichte von Grenzverletzungen, Übergriffen, Straftaten) feststellen. Gestiegen ist die Zahl der Betroffenen, die sich direkt an die Landeskirche oder an die Anerkennungskommission der EKKW gewendet haben. Zum Vergleich: Im Jahr 2023 hat die EKKW 21 Meldungen/23 Betroffene registriert, 2024 waren es 23 Meldungen/31 Betroffene. (Mehr zum Thema…)

Wie viele Fälle sind der EKKW insgesamt bekannt?

Für die ForuM-Studie hatte die Landeskirche seinerzeit 34 Fragebögen zu beschuldigten Personen bzw. Tätern und 76 Fragebögen zu betroffenen Personen gemeldet. Angefordert waren Fälle aus dem Zeitraum 1946 bis 2020. In Summe ergeben sich aus den für die ForuM-Studie gemeldeten 76 betroffenen Personen und den seither bekannt gewordenen Fällen 154 Betroffene von sexualisierter Gewalt in der EKKW (Stand 31.12.2024). Diese Zahl entspricht nicht der tatsächlichen Anzahl der Betroffenen: Die Dunkelziffer ist deutlich höher. Von sexualisierter Gewalt betroffene Personen werden daher weiterhin ermutigt, sich zu melden. Und auch die Zahl der beschuldigten Personen bzw. Täter ist höher als für die ForuM-Studie gemeldet: Sie liegt bei 101 Beschuldigten/Tatpersonen. (Hinweis: Hier wurde zu den für die ForuM-Studie bis inklusive 2020 gemeldeten Tatpersonen/Beschuldigten die Zahl der Meldungen von 2021 bis 24 addiert.)

Wie viele Betroffene wurden durch die Anerkennungskommission begleitet, wie viel wurde an Leistungen insgesamt ausgezahlt?

Die im Dezember 2019 gegründete unabhängige Anerkennungskommission (UAK) unserer Landeskirche (vormals Unterstützungskommission) hat seit ihrem Bestehen 23 Betroffene begleitet und 22 Anträge positiv beschieden. Bislang hat die EKKW 699.000 Euro an Anerkennungsleistungen gezahlt (Stand 31.10.2024). Diese Zahl bildet jedoch nicht die Zahl der Meldungen bzw. Betroffenen insgesamt ab. Seit Einrichtung der Fachstelle zum Schutz vor sexualisierter Gewalt in der EKKW vor rund fünf Jahren gab es 72 Meldungen (Berichte von Grenzverletzungen, Übergriffen, Straftaten). Die Zahl der Betroffenen liegt mit 83 in diesem Zeittraum (2020 bis 10/2024) etwas höher, denn hinter einer Tatperson/einem Beschuldigten verbergen sich mitunter mehrere Betroffene.

Was unternimmt die EKKW weiterhin, um sexualisierte Gewalt zu verhindern?

Die Landeskirche bemüht sich weiter nach Kräften, Risiken zu minimieren, wachsam und aufmerksam zu sein. Erste Erfolge sind sichtbar: Die Zahl von Beratungsanfragen, aber auch die Meldung von Verdachtsfällen hat seit Beginn der Präventionsschulungen zugenommen. Zugleich wissen wir, dass trotz aller Bemühungen weiterhin sexualisierte Gewalt geschehen kann. Dann ist es wichtig, dass es Strukturen für die Aufklärung und Verfolgung, vor allem aber die Unterstützung Betroffener, gibt. (Mehr zum Thema…)

ekkw.de/sexualisierte-gewalt

Informieren Sie sich in unserer Rubrik zum Thema umfassend darüber, was sexualisierte Gewalt ist, wer betroffen sein kann und was nach einem Übergriff getan werden kann. In der Rubrik finden sich die Kontaktmöglichkeiten zur Fachstelle zum Umgang mit sexualisierter Gewalt in der EKKW, bundesweite Hilfeangebote für verschiedene Zielgruppen und regionale Hilfeangebote im Gebiet unserer Landeskirche. Außerdem gibt es dort Informationen zu den Unabhängigen Anerkennungs- und Aufarbeitungskommissionen.

Hintergrund: ForuM-Studie

Ein unabhängiges Forscherteam veröffentlichte im Januar 2024 eine Studie über sexualisierte Gewalt in der evangelischen Kirche und der Diakonie. Es ist die erste bundesweite Studie dieser Art. Die Forscher gehen darin von mindestens 1.259 Beschuldigten, darunter 511 Pfarrpersonen, und mindestens 2.225 Betroffenen für den Bereich der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) und der Diakonie aus.
Die Studie wurde vom interdisziplinären Forschungsverbund «ForuM - Forschung zur Aufarbeitung von sexualisierter Gewalt und anderen Missbrauchsformen in der Evangelischen Kirche und Diakonie in Deutschland» erstellt. Die EKD hat die Studie mit 3,6 Millionen Euro gefördert. Der Forschungsverbund wurde von Martin Wazlawik von der Hochschule Hannover koordiniert.

Ziel der Studie war es, eine empirische Grundlage für die Aufarbeitung sexualisierter Gewalt in den 20 evangelischen Landeskirchen, der EKD und der Diakonie zu legen. Dazu wurden neben Fallzahlen auch strukturelle Ursachen für Missbrauch und der Umgang mit Betroffenen erforscht. Betroffene waren zum Teil auch selbst als Co-Forschende beteiligt oder wurden zu ihren Erfahrungen interviewt.