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Kassel / blick in die kirche, Fragen: Olaf Dellit
Veröffentlicht 19 Dez 2025

Vladimir Kornéev muss nach dem Interview noch Koffer packen. Einen Tag später gehe sein Flug nach Kanada, wo er dann auf Tour ist. Kornéev ist erfolgreicher Sänger und Schauspieler. Im Interview spricht er über die Liebe, den Glauben, Verzweiflung und die Musik.

Olaf Dellit: Ich würde gerne mit der schwierigsten Frage anfangen. Was ist Liebe?

Vladimir Kornéev: Im Grunde ist alles Liebe, alles besteht aus Liebe. Gott ist Liebe. Ich denke, dass Liebe auch weniger ein Gefühl ist als ein Zustand des Bewusstseins. Sie beginnt dort, wo man nicht mehr will, sondern einfach nur noch ist – miteinander oder mit etwas. Man könnte auch sagen: Liebe ist die höchste Form von Intelligenz. Echte Liebe erkennt, ohne zu urteilen. Und vielleicht ist sie auch das Einzige, das die Welt tatsächlich verändert.

Sie sind als Sänger und als Schauspieler erfolgreich. Welche Kunstform hat mehr mit Liebe zu tun?

Kornéev: Beides tue ich aus tiefster Liebe. Kunst ist durchdrungen von Liebe, sie ist ein großes Geschenk. Musik ist für mich die klingende Sprache Gottes. Sie ist ein Geschenk an die Menschen, weil ein Ton, eine Schwingung, nichts verlangt, sondern einfach da ist. Musik ist eine Sprache, die jeder Mensch versteht.

Ist Musik vielleicht die wahre Sprache der Liebe, weil man vieles gar nicht in Worte fassen kann?

Kornéev: Wenn ich singe, muss ich mich mit einer Liebe in mir verbinden. Die Töne gehören mir aber nicht. Es ist ein Durchlassen und ins absolute Vertrauen gehen. Und ich glaube, da gehört ganz viel Liebe dazu.

Und als Schauspieler?

Kornéev: Da muss ich natürlich auch in eine Liebe zur Rolle gehen. Ich bin immer der Verteidiger der Rolle und muss sie ganz tief verstehen. Das gilt vor allem für böse Menschen oder bösartige Charaktere, die darf man auf gar keinen Fall nur böse spielen – man muss sich in den Menschen als Ganzes hineinversetzen mit allen seinen Facetten.

Vladimir Kornéev ist erfolgreicher Sänger und Schauspieler

Vladimir Kornéev ist erfolgreicher Sänger und Schauspieler

Sie sind als Fünfjähriger aus Georgien geflohen und haben sehr gestottert. Mit der Kraft der Musik und der Sprache haben Sie das überwunden.

Kornéev: Ich habe gestottert, seit ich sprechen konnte, und war durch viele Kriegs- und Gewalterlebnisse traumatisiert. Dann kamen wir nach Deutschland, in ein fremdes Land, in dem man die Sprache nicht versteht und noch mehr Unsicherheit spürt. Wir wussten lange nicht, ob wir abgeschoben werden. Jeder Brief konnte bedeuten, dass wir zurückmüssen. Ich habe sehr viel Angst erlebt und denke, dass mein Nervensystem darauf mit Krämpfen reagiert hat und der Atem nicht fließen konnte.

Wie kam die Musik ins Spiel?

Kornéev: Mein Vater war Soldat. Ein General, der es sehr gut mit ihm meinte, hatte ihn in eine Kaserne in die DDR versetzt. Wir sind mit einer Militärmaschine hingeflogen und kurze Zeit später über die Grenze geflohen. Im Militärflughafen stand in einer Wartehalle ein altes Klavier. Ich kann mich daran erinnern, dass dort ein Soldat gespielt hat. Das war meine erste Begegnung mit einem echten Instrument. Ich habe Trost empfunden und große Begeisterung.

Wie ging es mit der Musik weiter?

Kornéev: Im Asylheim in Augsburg haben wir später eine Emigrantin aus Kiew kennengelernt, meine erste Klavierlehrerin. 
Das Klavier war für mich erst mal Musik, die gar keine Worte bilden darf. Ich habe viel geübt und gemerkt, dass ich ziemlich gut bin, das Klavier wurde ein bisschen Freund-Ersatz. Auch das Singen im Schulchor funktionierte für mich als Stotterer immer, da das Singen komplett andere Hirn-Areale anspricht als das Sprechen an sich. Ich habe Aufmerksamkeit bekommen, ohne dass ich sprechen musste. Das hat mir sehr geholfen.

Portraitfoto von Vladimir Kornéev
«Ich habe mich langsam wieder an den Glauben und an Jesus herangetastet.»
Vladimir Kornéev

Sie mussten einmal erleben, wie eine große Liebe in einem Unglück endete. Mögen Sie davon erzählen?

Kornéev: Ja. Ich war 25 und frisch verliebt. Und dann gab es einen Autounfall. Ich habe einen Abend vor meinem Konzert im BR-Funkhaus in München davon erfahren. Das hat mir sehr, sehr wehgetan; unheimlich wehgetan. Ich habe die ganze Nacht durch geweint und wollte das Konzert eigentlich absagen. Meine damalige Gesangslehrerin hat dann gesagt: Das machst du nicht. Und dann habe ich gesungen, auf Autopilot eigentlich.
Das war eine Zeit, in der ich viel durchgemacht habe. Ich hatte keinen guten Kontakt zu meinen Eltern. Das Studium war beendet. Alles war ungewiss und unsicher, und dann passiert so etwas. Ich hatte sehr wenig Gottvertrauen. Ich habe mich verraten und betrogen gefühlt.
Fast ein Jahr habe ich gebraucht, um damit klarzukommen. Und dann habe ich ein Lied geschrieben: „Weitergehn“. Das wurde zum Ausgangspunkt meines ersten Albums, das ich ein Jahr später genau in diesem Funkhaus aufgenommen habe. 
Ich liebe das Lied sehr. Es wurde jetzt ins Französische übersetzt und ich singe es bei den Piaf-Konzerten. Es gibt ja eine Parallele zu Édith Piaf, weil ihre große Liebe Marcel Cerdan bei einem Flugzeugabsturz ums Leben kam.

Hat es Ihnen Kraft gegeben, den Verlust in ein Lied umzusetzen?

Kornéev: Auf jeden Fall, ja. Mir ging es unfassbar schlecht, ich konnte kaum schlafen, hatte immer wieder Ahnungen, dass da noch Energie mit im Raum ist. Mich hat das nicht losgelassen. Eines Nachts habe ich mich ans Keyboard gesetzt und der Song kam einfach – ich habe ihn, glaube ich, in einer Stunde geschrieben.

In unserem Heft geht es auch um die Liebe Gottes. Sagt Ihnen das etwas?

Kornéev: Spezifisch zu Jesus Christus habe ich erst im Dezember vor einem Jahr gefunden. Ich bin katholisch getauft und aufgewachsen, und war auch in einem katholischen Benediktinergymnasium. Ich habe es sehr gemocht, von den Patres unterrichtet zu werden. Das waren richtig coole Leute. Aber als Kind begreift man die Tiefe der Bibel nicht, glaube ich.
In meinen Zwanzigern habe ich mich eher von Gott entfernt, weil ich wütend und sehr enttäuscht war. Im Dezember in Kanada ist auf der Orchestertour etwas Unschönes passiert: Ich habe herausgefunden, dass eine Person, der ich sehr vertraut hatte, ebendieses Vertrauen missbraucht hat. Die Enttäuschung hat mir den Boden unter den Füßen weggezogen und ich musste an diesem Tag singen, ein Weihnachtskonzert übrigens.

Und das war schwierig?

Kornéev: Schon im Soundcheck war die Stimme weg. Der Kehlkopf ist bei mir ein sehr aussagekräftiges Instrument, er reagiert auf Verrat oder Bösartigkeit sehr empfindlich. Das Konzert war ausverkauft, 2.000 Leute. Aber meine Atmung hat dichtgemacht.
Ich habe mich trotzdem umgezogen, fertig gemacht und bin mit der Produzentin zur Seitenbühne gegangen, während das Orchester die Ouvertüre spielte. Es ging nichts stimmlich. Ich wusste nicht, was ich tun soll. Dann bin ich auf die Knie gegangen, habe meine Hände gefaltet und gesagt: „Jesus Christus, wir haben uns lange nicht gesprochen, aber wenn es dich gibt, musst du mir bitte helfen. Ich bin dein Instrument, singe durch mich. Ich vertraue mich dir an! Das Konzert ist dir gewidmet, wir feiern deine Geburt. Also, bitte hilf mir.“ Dann bin ich rausgegangen und hatte das beste Konzert der Tour.

Zur Person
Screenshot der Website von Vladimir Kornéev

Vladimir Kornéev (38) stammt aus Georgien und floh im Alter von fünf Jahren mit seinen Eltern in die Bundesrepublik. Er absolvierte ein Schauspiel- und Gesangsstudium und ist in beiden Feldern erfolgreich. Er singt Chansons, russische und eigene Lieder, und tritt mit einem Edith-Piaf- und einem Kurt-Weill-Programm auf. Tourneen führen ihn regelmäßig nach Kanada. Als Schauspieler war er häufig in Krimis, von „Polizeiruf 110“ bis zum Tatort zu sehen sowie jüngst in der aufwendigen ARD-Serie „Hundertdreizehn“, hinzu kamen zahlreiche Bühnenengagements von Bremerhaven bis München. Kornéev lebt in Berlin.

War das ein Rückweg zum Glauben? 

Kornéev: Es war der Beginn einer Reise, würde ich sagen. Nach der Tour in Kanada war ich in Kolumbien im Urlaub und musste das Erlebte erst einmal verarbeiten – und auch eine große, lebensverändernde Entscheidung treffen. In Cartagena habe ich in einem Laden dieses Kreuz entdeckt, das ich jetzt umhängen habe. Es hat mich total angezogen. Das war auch die Zeit, in der ich mich langsam wieder an den Glauben und vor allem an Jesus herangetastet habe. An Ostern war ich in einer sehr schönen Messe in Augsburg und hatte ein ganz tolles Gespräch mit dem Priester. Er hat dieses Kreuz geweiht.
Das war ein Zugang zu Christus, der durch niemanden angeschoben oder gepredigt wurde. Es ist seitdem mein Gebet geblieben: Ich bin dein Instrument, spiel auf mir. Ich vertraue mich dir an, Du bist mein König, ich bin dein Diener.

Zum Schluss: Haben Sie ein Lieblings-Weihnachtslied?

Kornéev: „Cantique de Noël (Minuit, Chrétiens)“ ist wohl das mächtigste Weihnachtslied. Ich finde es so schön, weil es so groß und herrschaftlich ist und ich mit der Stimme dort alles machen kann. Es gibt diesen hohen Ton am Ende, der sehr stark sein muss und wo jeder darauf wartet, dass man ihn möglichst lange hält. Zwischendrin gibt es so viele Möglichkeiten, leise und laut zu sein. Es ist ein großes Festlied, das die Kraft von Jesus feiert.

Und ein Lieblings-Liebeslied?

Kornéev: Mein liebstes ist immer noch „La vie en rose“ von Édith Piaf, weil es über dieses Frisch-Verliebtsein spricht, dieses Betrunkensein von Liebe und gar nicht mehr wissen, wo einem der Kopf steht.  

Illustration eines Tannenzweigs mit rotem Herzanhänger und dem Titel „Liebe ist alles!“ auf dem Cover des Magazins „blick in die kirche“.
«Liebe ist alles!» als E-Paper

Die Weihnachtsausgabe des «blick in die kirche»-Magazins steht ganz im Zeichen der Liebe. Sänger und Schauspieler Vladimir Kornéev («Hundertdreizehn», «Polizeiruf 110») berichtet im Interview, wie Musik ihm half, das Stottern zu überwinden, was Liebe für ihn bedeutet und wie er den Verlust einer großen Liebe bewältigte. Das Heft stellt junge und alte, hetero- und homosexuelle Paare vor, erzählt von der Liebe zum Handwerk und blickt nach Indien. Es geht um die Rettung von 1.000 Jesidinnen und Jesiden aus dem Irak.

Und natürlich dreht sich das Heft um Weihnachten: Wie ist das in einem Gefängnis? Wie, wenn man alleine feiern will oder muss? Warum ist es trotz allem Streit schön, wenn die Familie sich an Weihnachten trifft? Und was steht noch einmal genau in der Bibel? Wie immer gibt es auch einen Hotelaufenthalt zu gewinnen – diesmal in Hanau inklusive Karten für die Brüder Grimm Festspiele.

Das «blick in die kirche-Magazin» ist die Publikumszeitschrift der Evangelischen Kirche von Kurhessen-Waldeck und liegt viermal im Jahr den Tageszeitungen auf dem Gebiet der Landeskirche kostenfrei bei. Die Druckauflage beträgt knapp 225.000 Exemplare, hinzu kommen E-Paper und Webseite.