Nancy Etege ist 37 Jahre alt und wohnt in Auerbach im Erzgebirge. Sie lebt mit ihrer jüngeren Schwester Annabell, den zwei Söhnen Elias (14) und Finn (6) und ihrem Partner Thomas unter einem Dach. Ihn hatte Etege über ein Internetportal kennengelernt, als beide bereits eine Trennung hinter sich hatten. Nach dem ersten Treffen dauerte es noch ein halbes Jahr, bis sie ein Paar wurden. Etege arbeitete als Fachangestellte für Arbeitsförderung im Jobcenter.
Aus Sonnenschein wurde ganz viel Dunkelheit
Dann kam an einem 23. Dezember ein Anruf, der das Leben der Familie auf den Kopf stellte: Krebs in einer aggressiven Form, Chemo, Operationen – zu einer Zeit, als der gemeinsame Sohn noch gestillt wurde. «Auf einmal wurde aus Sonnenschein ganz viel Dunkelheit», sagt Nancy Etege. Kurze Zeit später erhielt ihre Mutter ebenfalls eine Krebsdiagnose: «Sie hat mir im Januar die Haare abgeschitten und ich ihr im Oktober», erzählt sie. Das sei geradezu surreal gewesen. Später bekam die Mutter auch noch Corona und verstarb daran.
Nach ihren eigenen Behandlungen gab es für Nancy Etege immer wieder Hoffnung, zwischenzeitlich arbeitete sie auch. Doch dann – wieder kurz vor Weihnachten – kam der Rückfall. Plötzlich hohes Fieber, eine Lungenentzündung, sie spuckte Blut. In mehreren Organen wurden Metastasen gefunden. Es war der Zeitpunkt, an dem sich Nancy Etege mit dem Gedanken vertraut machen musste, den Krebs nicht zu überleben.
Ihre Kinder und ihre Schwester würden im Fall ihres Todes familiär aufgefangen, ist die 37-Jährige überzeugt. Auch durch einen Verein in Chemnitz. Doch ein Rat ihrer Therapautin bewegte sie: «Versuchen Sie, ihren Kindern etwas zu hinterlassen.» Das sollte nicht irgendetwas sein, sondern die Erinnerungen eines ganzen Lebens.
Durch Spenden finanziert
Im Internet stieß die Auerbacherin auf das Familienhörbuch, das von einer gemeinnützigen Firma angeboten wird. Sie ermöglicht Müttern und Vätern, die eine lebensverkürzende Krankheit haben, ihre Erinnerungen als professionelles Hörbuch aufzuzeichnen und so zu bewahren. Die Finanzierung läuft über Spenden und Stiftungen, für die kranken Mütter und Väter kostet es nichts.
Nach der Kontaktaufnahme ging es für Nancy Etege schnell. Es gab ein ausführliches Gespräch, und einige Wochen später fuhr sie mit ihrem Partner und dem kleinen Sohn nach Hamburg. An drei Tagen wurden dort die Erinnerungen aufgezeichnet, begleitet von einer Autobiografin, einer Expertin für das Thema.
Bereits vorher hatte sich Etege Gedanken gemacht, was in ihre Biografie gehört. Zunächst hatte sie Sorge gehabt, viele Erinnerungen seien verschütt gegangen. Doch sie waren da. Es ging um die Geburten der Kinder, um die Trauer um ihre eigene Mutter, aber auch um die nicht immer ganz einfache Kindheit mit der Scheidung der Eltern und einem Vater, der als LKW-Fahrer viel unterwegs war. Ganz bewusst werden im Familienhörbuch schwierige Themen nicht ausgespart, die Kinder sollen ihre Mutter beim Anhören in allen Facetten erleben können.
Die drei Tage in Hamburg waren ertragreich. Das Hörbuch von Nancy Etege ist siebeneinhalb Stunden lang, unterteilt in 32 Kapitel. Zur Profi-Produktion gehört es, dass zu jedem Kapitel ein Stück Musik gestellt wird. Etege hat zu einem Kindheitskapitel «Ich wollte nie erwachsen sein» von Peter Maffay ausgewählt, zum Vorwort einen Song von Tom Rosenthal: «Go solo» («Geh allein»).
Die Aufnahme fand in einer besonderen Atmosphäre statt, erinnert sich Etege. Auf einem Stuhl gegenüber stand ein Foto ihrer Familie – und je nach Kapitel und Thema spricht sie auch einzelne Personen direkt an. So gibt es für den Jüngsten, Finn, altersgerechte Passagen, andere eignen sich eher für ein höheres Alter.
Die Stimme ist das, was ein Kind als erstes hört
Während des Einsprechens habe sie oft im Hinterkopf gehabt, dass ihre Kinder ihre Geschichte hören werden, wenn sie nicht mehr da ist, erzählt Nancy Etege. Wichtig ist ihr, dass ihre Familie sie selbst hören kann: «Die Stimme ist doch das, was ein Kind als erstes hört.»
Ihre Kinder an ihrem Leben teilhaben lassen und ihnen auch ein paar Botschaften mit auf den Weg geben, das will Nancy Etege. Zum Beispiel die, dass jeder und jede Fehler machen darf. Das Hörbuch sei das beste Geschenk, das sie ihrer Familie hinterlassen könne. Und bei über sieben Stunden und 32 Kapiteln bleibt ein einzelner Satz stehen: «Das Wichtigste, was ich meinen Kindern mitgeben will, ist, dass ich sie liebe.»
Das Familienhörbuch
Die Idee mit dem Familienhörbuch stammt von der Medizinjournalistin Judith Grümmer, die sich fragte, was sie ihren Kindern hinterlassen würde, sollte sie sterbenskrank sein. Ihre Antwort: «einen Kassettenrekorder vollquatschen.» Aus der Idee wurde eine gemeinnützige Gmbh, die im Jahr 2019 gegründet wurde. Die Firma arbeitet nicht gewinnorientiert und finanziert sich durch Spenden. Davon wird die professionelle Produktion der Hörbücher bezahlt, die rein ehrenamtlich nicht leistbar sei. Pro Hörbuch veranschlagen die Macher 100 Arbeitsstunden bzw. Kosten von 6.000 Euro.
Magazin als e-Paper
Das «blick in die kirche-magazin» bietet einem großen Lesepublikum viermal im Jahr ein buntes Angebot an Themen rund um Kirche und Diakonie, aber auch darüber hinaus. Jedes Heft hat ein Titelthema, das in unterschiedlichen Formen entfaltet wird. In Interviews, Reportagen, Berichten und geistlichen Texten informiert und unterhält die Redaktion die Leserinnen und Leser. Ergänzt wird das Angebot mit Ratgeber- und Lebenshilfethemen sowie dem beliebten Preisrätsel. In einer Auflage von 245.000 Exemplaren liegt das Magazin den Tageszeitungen in Kurhessen-Waldeck bei und kann online unter blickindiekirche.de als e-Paper gelesen werden.