In der Straßenbahn sitzen wir häufig auf dem gleichen Platz. In den Familien ist der Morgen zwischen aufstehen und verlassen des Hauses aller Familienmitglieder täglich gleich getaktet. Der morgendliche Kaffee ist für die meisten nicht wegzudenken – im Ablauf exakt an derselben Stelle. Kaffee oder Tee? Auch Gewohnheit. Es ist gut, dass wir nicht immer alles neu entscheiden müssen.
Managementratgeber sind voll von Appellen, dass sich jeder Mensch seine Morgen- oder Abendroutine suchen soll, um gut und produktiv durch den Tag zu kommen. Gewohnheiten erleichtern unseren Alltag, sparen Energie und lassen uns in unserer Komfortzone unterwegs sein. Eine Gewohnheit ist aber noch kein Ritual.
Ein Ritual entsteht, wenn wir unserer Routine eine spirituelle Dimension geben. Es kommt eine transzendente Wirklichkeit, eine Begegnung mit Gott, hinzu. Kleine Alltagsrituale helfen, dem Leben Sinn und Tiefe zu geben, gut bei uns zu sein und unsere Gottesbeziehung zu stärken. Alltagsrituale nehmen uns heraus aus Hetze und Stress und mitunter auch aus negativen Gefühlen. Sie können wie ein Kurzurlaub für die Seele sein.
Die Tagesstruktur bietet dazu unterschiedliche Möglichkeiten. Wenn Sie morgens auf der Bettkante sitzen, kann dies der Zeitpunkt sein, sich bewusst vor Gott zu stellen und ihn mit in den Tag zu nehmen. Sie können die Tageslosung lesen – Bibelverse für jeden Tag – und ein paar Minuten bei den Zeilen verweilen.
Der morgendliche Kaffee kann auch der Punkt sein, mit der warmen Tasse in der Hand und dem Geruch von Kaffee in der Nase an die Menschen zu denken, die es gerade schwer im Leben haben und die Sie Gott besonders ans Herz legen wollen. Weil der Gedanke, dass Gott bei ihnen ist auch Sie tragen kann.
Dankbar für die Schöpfung
Wer mittags die Gelegenheit zu einer längeren Pause hat, kann in dieser Zeit Freundschaften und Bekanntschaften pflegen. Verabreden Sie sich regelmäßig zum gemeinsamen Mittagessen. Tauschen Sie sich aus, wie es Ihnen geht, was gerade aktuell ist, und gehen Sie dann wieder an die Arbeit. Die beständige Tischgemeinschaft bestärkt.
Vielen Menschen tut der Anblick der Schöpfung gut. Wenn Sie dazugehören, dann ritualisieren Sie den Spaziergang zu Ihrer Lieblingsbank in der Natur, den Kauf oder das Sammeln von frischen Blumen am Wochenende. Die Dankbarkeit für die Schöpfung und alles, was in ihr lebt, kann erfüllend für den Alltag sein.
Ein gutes und bewährtes Alltagsritual ist ein abendlicher Rückblick auf den Tag. Die Exerzitientradition nennt es auch das „Gebet der liebenden Aufmerksamkeit“: Ich stelle mich dankbar in Gottes Gegenwart, ich bitte darum, dass ich den Tag mit Gottes Augen sehen kann, mit liebender Aufmerksamkeit gehe ich den Tag durch. Wo bin ich beschenkt worden? Wo tut Versöhnung not? Alles hat seinen Platz.
Auch das, was mich auf den kommenden Tag hin bewegt, kann ich bei Gott „gut sein lassen“. Liebende Aufmerksamkeit heißt, dass wir nicht immer selbstkritisch sein müssen. Gott schaut liebend auf uns, so dürfen wir uns auch betrachten. Und ja, ein Alltagsritual kann auch der sonntägliche „Tatort“ sein, der für Sie, als Paar oder mit Freunden eine Art „heilige Zeit“ ist, in der Sie in der Woche etwas gemeinsam machen – weil es Ihnen guttut und Gemeinschaft bildet.
Der Heilige Ignatius von Loyola war davon überzeugt, dass Gott in allen Dingen zu suchen und zu finden ist. Gehen Sie auf diese Entdeckungsreise in Ihren Alltag. Seien Sie kreativ! Schauen Sie, wo Ihr Platz im Alltag mit Gott ist und welche Situationen, in denen er uns begegnet, Ihnen guttun.
Über die Autorin
Die Autorin ist Referentin für Citypastoral in Kassel, eine katholische Einrichtung, und gehört dem Beirat von „blick in die kirche“ an.
Magazin als e-Paper
Das «blick in die kirche-magazin» bietet einem großen Lesepublikum Lebenshilfe- und Ratgeberthemen in unterhaltsamer Form. In einer Auflage von 250.000 Exemplaren liegt das Magazin vier Mal im Jahr den Tageszeitungen in Kurhessen-Waldeck bei und kann online unter blickindiekirche.de als e-Paper gelesen werden.