Es gibt das Klischee, Clowns seien tatsächlich tiefernste, traurige Menschen. Vermutlich stimmt das nicht, aber diesem Clown ist seine Erschöpfung anzumerken. Kein Wunder, denn Anatoli Michaelis ist immer wieder im Kriegseinsatz – mit seinen ganz eigenen Mitteln.
Michaelis wurde in der Ukraine geboren, wo er Musiker wurde, fünf Jahre lang mit einem Zirkus reiste und dort Trompete spielte, unter anderem für die Arbeiter, die nach der Reaktorkatastrophe in Tschernobyl eingesetzt waren. Sein Weg führte ihn nach Deutschland, in Weimar studierte er Musik und lernte seine Viola kennen. „Das war Schicksal“, sagt er. Mittlerweile sind sie seit 28 Jahren verheiratet.
Der Musik und Weimar sind beide treu geblieben, er unterrichtet an einer Musikschule in Jena, sie arbeitet als Klavierlehrerin unter anderem mit blinden Schülerinnen und Schülern. Und sie treten als „Anatolis musikalischer Zirkus“ auf, oft auch gemeinsam mit Tochter Paulina.
Doch dann griff Russland die Ukraine an, Anatoli Michaelis' Heimatland, und er fragte sich: „Wie kann man in diesem Krieg helfen?“ Seine Antwort ist Humor und Musik. Die erste Gelegenheit ergab sich, als seine Tochter, die in Freiburg Tanz unterrichtet, von ukrainischen Kriegswaisen hörte, die dort Unterschlupf gefunden hatten. Zwischen den Wohncontainern gab Familie Michaelis ein Konzert.
Dass der heute 62-Jährige überhaupt Clown wurde, war eher Zufall, wie er erzählt. Zwar war er durch seine Arbeit in der Kapelle mit der Zirkuswelt vertraut, aber eben als Musiker. Vor 25 Jahren fragte ihn ein Freund, ob er nicht bei den Jazztagen Freiberg als Clown auftreten könne. „Er hat gesehen, dass ich gut mit Kindern umgehen kann“, sagt Michaelis.
Nach dem Konzert im Flüchtlingscamp sprach sich herum, dass es da eine kleine Zirkusfamilie gab, die es ukrainischen Kindern ermöglichte, ein paar Stunden auf andere Gedanken zu kommen – immer mehr Anfragen kamen, bald auch über Deutschland hinaus. So reiste Anatoli Michaelis nach Polen und bald in die Ukraine selbst, oft begleitet von seiner Frau, manchmal alleine. Alles auf eigene Kosten, im Urlaub und ohne eine Organisation im Rücken.
Eine Kinderbibliothek in Lwiw in der Westukraine, ein Urlaubscamp, das jetzt Binnenflüchtlinge beherbergt, eine große Mutter-Kind-Klinik in Kiew; dort und an vielen anderen Orten ist er aufgetreten. Acht Reisen waren es bisher, viermal war Viola Michaelis dabei – oder fünfmal? „Wir haben aufgehört zu zählen“, sagt sie. Und im Sommer will er wieder unterwegs sein.
»So ein dankbares Publikum haben wir noch nie gesehen.«
Anatoli und Viola Michaelis lernen den Krieg hautnah kennen. Manchmal muss ein Auftritt abgebrochen oder verschoben werden, weil es Bombenalarm gibt. Auch im Luftschutzkeller hat der Clown schon seine Späße gemacht. Von den Menschen, mit denen beide sprechen, hören sie viele Geschichten von Tod und Leid, von Krieg und Trauer – oft fließen Tränen. Das ist zermürbend, auch für die, die zuhören.
Und doch ziehen sie immer wieder los. Es gebe, sagt Viola Michaelis, ein großes Bedürfnis, einmal abzuschalten. Besonders die Kinder seien völlig begeistert. Und Anatoli Michaelis sagt: „So ein dankbares Publikum haben wir noch nie gesehen.“ Immer wieder hörten sie, wie gut ihre Arbeit den Menschen tue. Doch der Clown, der Fröhlichkeit und Freude bringen will, bemerkt in der Ukraine Ernüchterung und sogar eine gewisse Gewöhnung an den Krieg. In Deutschland sei das noch deutlicher, sagt seine Frau. Sie findet das schlimm: „Unglaublich, dass man sich an so etwas gewöhnen kann!“
Und so packt Anatoli Michaelis wieder und wieder seine Trompete ein, setzt die rote Nase auf und zieht in das Kriegsgebiet, zu dem seine Heimat gemacht wurde. Die Überzeugung, dass Kultur wichtig ist, überrascht bei einem Musikerehepaar nicht. Aber sie erleben auch, wie in der Ukraine – wo immer das möglich ist – Konzerte gegeben werden, Bibliotheken und Museen öffnen. „Der Puls des Lebens“, sagt Viola Michaelis, „ist stark.“
Musik, Humor und Poesie – ist das vielleicht sogar überlebenswichtig? Für einen Moment in unserem Gespräch treten die Mühen der Auftritte und die schlechten Nachrichten in den Hintergrund. Beide nicken vehement: „Definitiv!“
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