Die rot-weiße Keramikscherbe stammt von der Nordseeinsel Pellworm mitten im Wattenmeer.

Die rot-weiße Keramikscherbe stammt von der Nordseeinsel Pellworm mitten im Wattenmeer.

blick in die kirche / Burkhard zur Nieden
Veröffentlicht 04 Okt 2024

«Wissen Sie was, ich gebe Ihnen eine Scherbe mit», sagt der alte Bauer auf Pellworm. Er ist regional bekannt, da er seit vielen Jahren das Watt nach Fundstücken absucht und diese ausstellt.

Die Insel war früher wesentlich größer. Im Jahr 1634 versank die Insel Alt-Nordstrand in einer großen Flut. Viele Menschen ertranken. Pellworm ist nur ein kleiner Rest des früheren Landes. Die Überreste der versunkenen Höfe auf ihren Warften sind bis heute im Watt zu entdecken. Der Bauer geht also regelmäßig bei Ebbe hinaus und sucht, ob die Flut etwas freigespült hat. Und er findet viel: Scherben von Tellern und Töpfen, Kacheln von Öfen, zerbrochenes Glas, sogar Spielzeug aus Holz. Alles hat etwa 400 Jahre im Meer gelegen und ist berührend Zeuge für das Leben der damaligen Bewohner, das in vielem vertraut erscheint. Aber eben auch Zeuge für die Katastrophe.

Mir fallen die rot-weißen Keramikscherben auf. Ich kenne solche aus meiner Heimat in Nordhessen. Und tatsächlich kann er dies bestätigen. «Das ist Werra-Keramik. Die stammt aus Wanfried oder Großalmerode und wurde damals weserabwärts verschifft und an die wohlhabenden Bauern auf den Inseln als gutes Geschirr verkauft. Da kommen Sie her? – Wissen Sie was, ich gebe Ihnen eine Scherbe mit.»

Jetzt liegt die Scherbe auf meinem Schreibtisch. Sie erinnert mich daran, wie schön unsere Herbsturlaube auf Pellworm waren. Sie schürt die Vorfreude auf den nächsten Urlaub dort. Aber da ist noch mehr. Nach 400 Jahren ist die Tellerscherbe wieder in ihre Heimat zurückgekehrt. Sie steht für handwerkliche Kunst. Für Handel und Austausch. Für behaglichen Alltag, fröhliche Feste. Für Untergang. Und für Hoffnung.

Sie erinnert mich daran, dass alles einmal ein Ende hat. Aber dass damit nicht alles zu Ende ist. Dass das Unverhoffte wahrwerden kann. Dass alles letztlich in Gottes Hand steht. Gott sei Dank!

Burkhard zur Nieden

Zur Person

Burkhard zur Nieden (61) ist als Prälat der Evangelischen Kirche von Kurhessen-Waldeck theologischer Stellvertreter der Bischöfin udn leitet das Dezernat Theologisches Personal und Gemeindentwicklung des Landeskirchenamtes.

Titelplatt der Ausgane "Erinnere dich" der Ausgabe 10/24 des Magazins "blick in die kirche"
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