Eine sehr junge Dame – meine Tochter – und eine ziemlich viel ältere – eine frisch verwitwete Chorfreundin – erklärten mir vor einigen Jahren in etwa dasselbe. «Du weißt, ich hab FOMO», klagte das Kind vor einem Wochenende. Eine Party, eine kurze Reise, Besuch von Freunden, zugleich liefen im Kino Filme, die man gesehen haben musste, und es waren Menschen in der Stadt, die sie treffen wollte: FOMO «Fear Of Missing Out», die Angst, etwas zu verpassen.
Die Qual der Wahl in Zeiten ständiger Verfügbarkeit
Sich entscheiden! Heute ungleich schwieriger als früher. Soziale Medien mit ihrer eiskalten Geschwindigkeit lassen zu viele Dinge zeitgleich als relevant erscheinen. Irgendwas wirkt immer toller als das, was man selbst gerade unternimmt. Und es wird zwangsläufig verpasst – wenn man sich entscheidet. Der Druck, zumindest medial zu verfolgen, was noch alles möglich wäre, ist immens. Forscher weisen nach, dass dies negative psychische Konsequenzen hat, Stress und Erschöpfung auslöst.
Meine beinahe 80-jährige Freundin hatte sich ähnlich, aber positiver geäußert. «Ich möchte jetzt nichts mehr verpassen», erklärte sie mir auf meine Frage, was sie denn nun schon wieder auf einen Musikkurs, zu einer Bildungsreise, in die Arme ihrer Großfamilie mit Oma-Pflichten treibe. Sie hatte jahrelang ihren kranken geliebten Mann gepflegt; nach seinem Tod und selbst nicht mehr die Jüngste, war sie voller Tatendrang, die Zeit wahrhaftig auszukosten. «Carpe diem. Wer weiß, wie lange mir bleibt», sagte sie lächelnd.
Vier Ruhestandstypen
Noch nie gab es eine solch «junge» alte Generation wie die heutigen Boomer: Menschen, die mit Glück im Ruhestand noch fit sind und eine hohe Lebenserwartung haben. Britta Laubvogel, Buchautorin aus Friedberg, begleitet Ältere in Seminaren im Prozess des Loslösens vom Arbeitsalltag, hinein in – ja, was? Es gibt ebenso viele Facetten des Ausstiegs wie es Menschen gibt, erklärt sie.
Die Bedürfnisse seien verschieden; allerdings zeichneten sich vier Grundtypen ab – betont Wolfgang Kuhn, ehemaliger Lehrer, der sich derzeit zum Nachberufstrainer ausbilden lässt: Da sind die Befreiten, die nach dem Berufskorsett nun erstmal die Füße hochlegen und genießen wollen: Nichtstun!
Die Unermüdlichen hingegen möchten weitermachen wie immer und leben ihre beruflichen Kompetenzen an anderer Stelle unvermindert aus.
Schließlich bleiben die Nachholer, die endlich aufgeschobene Dinge erleben wollen; jeder kennt beispielsweise Campingbus-Rentner, die kaum noch an ihrer Meldeadresse anzutreffen sind und neugierig die Welt bereisen. Letzter Fall: die Engagierten, die im Ehrenamt ihre Zeit, ihr Wissen für andere einsetzen.
Ideen entstehen im Nichtstun
Für alle aber gilt, was Britta Laubvogel so beschreibt: Sie müssen einen gewissen Identitäts- und Bedeutungsverlust verkraften. Den Abschiedsschmerz zuzulassen, bleibe keinem erspart, brauche aber Zeit.
Loslassen. Bevor man sich in Neues stürzt, sich erst neu finden. «Ideen entstehen im Nichtstun», lehre die Erfahrung. All das ist natürlich nur möglich für Leute, deren Ruhegeld für Entscheidungen dieser Art ausreicht. Doch auch viel Geld und freie Zeit täuschten nicht darüber hinweg, dass jeder Mensch «im Tiefsten nach Sinn sucht».
Ehrenamt statt Überdruss
Zu viel Wohlergehen könne in Überdruss kippen, man habe zwar wenig verpasst, aber nichts wirklich Erfüllendes erlebt. So ist Britta Laubvogels Beobachtung, dass sich unerwartet viele «junge Alte» gern ehrenamtlich einbringen. Da kommen neue Erfahrungen und Kontakte wie von selbst zustande, der Lebensabschnitt kann bewusst gestaltet werden.
Was bleibt: Sinn, Dankbarkeit und Humor
Wolfgang Kuhn formuliert es so: «Etwas finden, für das man morgens gern aufsteht.» Das Leben ist endlich, und auch diese Aufgabe sollte man nun in Ruhe angehen: sich mit der eigenen Endlichkeit auseinandersetzen.
Die 80-jährige Psychologin und Bestsellerautorin Verena Kast betonte kürzlich in einem Interview, wie wichtig dabei die Fähigkeiten Dankbarkeit und Humor seien. Sich an die guten Erlebnisse erinnern, sie aufschreiben – und auskosten, dass man im Alter emotional stabiler wird. Ja, die Lebenszeit wird kürzer – aber dieser Aspekt hilft zu entscheiden, was wirklich noch wichtig ist.

«Alles hat seine Zeit» als E-Paper
Mit Höflichkeit, Freundlichkeit und Respekt möchte ZDF-Star Horst Lichter seine Zeit füllen. Das sagte er im großen Interview mit dem aktuellen blick in die kirche-Magazin. Das Titelthema «Alles hat seine Zeit» greift ein Bibelwort aus dem Alten Testament auf – und ist dennoch hochaktuell, wie die Beiträge im Heft zeigen: Wann ist die richtige Zeit für Ehe und Kinder? Wie nutzt man die Zeit im Alter am besten? Wie prägen Jahreszeiten und Wetter den Zeitplan in der Landwirtschaft? Und welches Verhältnis zu Minuten und Sekunden hat Weltklasseläuferin Dr. Laura Hottenrott?
Diese und viele andere Fragen greift das Magazin auf. Leserinnen und Leser erfahren außerdem, was es mit dem «Stunden-Nachschlag» auf sich hat, wo mehr als 30 Turmuhrwerke ticken – und an welcher Kirche gleich sechs Sonnenuhren angebracht sind. Vorgestellt wird auch die imposante Kaufunger Stiftskirche, die genau 1.000 Jahre alt ist. Zudem gibt es ein Wiedersehen mit der Kinderbuchheldin Momo und ihrem Kampf gegen die Zeitdiebe – sowie einen vertiefenden Blick in die Bibel.
Das blick in die kirche-Magazin erscheint vierteljährlich in einer Auflage von 225.000 Exemplaren als Beilage der regionalen Tageszeitungen in Kurhessen-Waldeck. Es bietet Interviews, Reportagen, geistliche Impulse sowie Lebenshilfe und Ratgeberthemen – ergänzt durch ein beliebtes Preisrätsel.